23. November 2019 / Alina Lerch

Was passiert eigentlich in Flavia Solva, Barbara Porod?

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Barbara Porod, Chefkuratorin der Provinzialrömischen Sammlung aus der Abteilung Archäologie und Münzkabinett, erzählt bei einem kleinen Ausflug nach Flavia Solva aus dem Nähkästchen.

Wie sind Sie zum Universalmuseum Joanneum bzw. Flavia Solva gekommen?

Ich bin im Jahr 2005 als Fachpraktikantin ans UMJ gekommen, seit 2010 habe ich mich auf die Römerzeit spezialisiert.

Wie sehen Ihre Aufgaben aus?

Ich bin zuständig für die Betreuung von Anfragen und die wissenschaftliche Betreuung von allem, was in den Bereich des Antikenkabinetts und der Römerzeit fällt. Außerdem arbeite ich gerade an der Erforschung der sogenannten norisch-pannonischen Frauentracht, einem Phänomen römerzeitlicher Selbstdarstellung, und bin auch bei unserer Hauszeitschrift „Schild von Steier“ in der Redaktion. Vor zwei Jahren fand ein großer Kongress zur provinzialrömischen Plastik statt, da habe ich gemeinsam mit Peter Scherrer von der Uni Graz dieses Jahr den Kongressband herausgegeben, was somit auch ein großer Teil meiner Arbeit war.

Kommen die Leute mit Fundstücken zu Ihnen? Wie läuft so etwas genau ab?

Manchmal kommen Leute vorbei und wollen Artefakte bestimmt haben, also wissen, wie alt etwas ist oder was es überhaupt sein könnte. Im Normalfall kommen ältere Personen mit Dingen, die sie vor langer Zeit gekauft haben. Allerdings kommt das recht selten vor. Heute war tatsächlich jemand da, der 1961 mit dem Auto das Mittelmeer umrundet hat und in der Türkei einen kleinen Kopf einer Marmorstatuette gekauft hat, der tatsächlich römerzeitlich ist. Da die Ausfuhr von Antiken in vielen Ländern, auch in Griechenland und der Türkei, streng verboten ist, suchen uns nur wenige Besitzerinnen und Besitzer illegal ausgeführter Objekte auf.

Wir kaufen so gut wie nichts an, da eigentlich selten etwas angeboten wird, das eine einwandfreie Herkunft besitzt. Wir haben zudem gerade einen Römerstein geschenkt bekommen, der sich seit Jahrzehnten in Privatbesitz befunden hat, das ist eine wirklich außergewöhnliche Sache! Als Museum haben wir die besten Voraussetzungen, auch große Objekte wie Römersteine sicher für die Zukunft aufzubewahren. Wir sehen uns als Archiv für die Vor- und Frühgeschichte der Steiermark. In Wagna wird das römerzeitliche Erbe mitunter als Belastung empfunden, da man beispielsweise bei einem Hausbau oft auch auf römische Überreste achten muss. Der Neubau von REWE in der Marburger Straße war aber ein Glücksfall, da ist zusammen mit dem Denkmalamt und einer Grabungsfirma alles optimal gelaufen. Billa/Bipa hat auch die Konservierung der Funde mit einer Spende finanziert und so konnten wir die Objekte in optimalem Zustand in die Sammlung übernehmen.

Mehr dazu: https://www.museum-joanneum.at/flavia-solva/ueber-uns/fundort-baustelle

Was waren die spannendsten Funde, die zu Ihnen gebracht wurden?

Einer der aufregendsten Funde wurde dieses Jahr gebracht. Da hat jemand ein neolithisches Artefakt, ein sogenanntes Kykladenidol, anschauen lassen wollen. Das ist eine kleine Steinfigur, ungefähr 6000 Jahre alt, wahrscheinlich aus Kleinasien, im Wert von mehreren Tausend Euro. Der Finder wusste nicht, was er da vor sich hatte. Zuerst war er bei den Kolleginnen und Kollegen in der Mineralogie, die ihn zu uns weitergeschickt haben. Vor ungefähr 10 Jahren hat eine Familie aus Graz einen Torso von einem, wie sich herausgestellt hat, römischen Kaiser in einer Türfüllung gefunden – also im Zwischenraum von zwei Türen. Der wurde dann bei Sotheby’s um mehr als 7 Millionen Dollar versteigert (https://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2010/antiquities-n08644/lot.37.html?locale=en ).

Ich persönlich hätte es schöner gefunden, wenn der Torso nach Kroatien, woher er ursprünglich stammt, zurückgehen hätte können.

Was passiert in Flavia Solva?

Jedes Jahr gestalte ich das „Schaufenster in die Römerzeit“ neu. Neu bedeutet, dass eine andere Geschichte erzählt wird und neue Ausstellungsstücke präsentiert werden. Ein Lob geht hier an Leo Kreisel-Strauß, der sich jedes Jahr übertrifft und der kleinen Ausstellung einen völlig neuen Look gibt. Im Gebäude befindet sich ein Kaffeehaus, das im Sommer sehr gut besucht wird, und die Besucherinnen und Besucher können vor Ort mit ihrem Eis die Ausstellung, die rund um den Eissalon geht, ansehen. Genau das ist hier unsere Zielgruppe: Die Besucherinnen und Besucher der Region sollen einen kleinen Mehrwert mit Römerschwerpunkt haben, während sie ihr Eis genießen. Manchmal kommt die Kritik, dass es sich bei Flavia Solva nicht um ein „richtiges“ Museum mit Ticketschalter und Souvenirshop handelt, aber das können wir hier derzeit nicht anbieten. Der größte Plan für die Zukunft ist die komplette wissenschaftliche Bearbeitung der Funde aus 140 Jahren Ausgrabungstätigkeit, eine Serie von Büchern, die den aktuellen Forschungsstand zeigen.

Mehr über Flavia Solva: https://www.museum-joanneum.at/flavia-solva/ueber-uns  

Das Kaffeehaus in Flavia Solva – ob die Römer auch so eine Eisdiele hatten?

Das Ausstellungsdesign 2019

Gibt es Veranstaltungen, Workshops oder Führungen vor Ort?

Ja, es kommt vor, dass Gruppen von Multiplikatoren nach Solva fahren und im Vorhinein einen Führungstermin anfragen, das mache ich natürlich gerne. Die Kolleginnen von der Abteilung für Besucher/innen haben heuer auch wieder Workshops angeboten. Das ist auch für die Zukunft geplant, vor allem für Schulklassen in den letzten zwei Monaten des Schuljahres. Es ist eine schöne Möglichkeit, das Areal mit Veranstaltungen zu beleben – wie bei der Langen Nacht der Museen, wo wir seit zwei Jahren wieder mitmachen.

Wird mit Museen in der Gegend zusammengearbeitet?

Traditionell wird zusammengearbeitet mit dem Tempelmuseum am Frauenberg und dem Hallstattzeitlichen Museum in Großklein. Es wird aufeinander verwiesen, wir sind Leihgeber – wir arbeiten sehr gerne mit den Kolleginnen und Kollegen in der Region zusammen.

https://www.museum-joanneum.at/flavia-solva/ueber-uns/partner-links

Hier sollen auch in der Zukunft Workshops für Schüler/innen stattfinden – mit frisch restaurierten Toiletten (mit Dank an die Kolleginnen und Kollegen von den Referaten Logistik und Facility Management).

Wie stehen Sie zu 3-D-Rekonstruktionen oder Virtual-Reality-Anwendungen im archäologischen Bereich?

Das kann sehr unterschiedlich ausschauen. Eine VR-Anwendung, bei der sämtliche Gebäude sozusagen rekonstruiert werden und man sich wie in einem Shooter Game durchbewegen kann, halte ich für entbehrlich. Man müsste hier in Solva zu jeder Oberfläche, jeder Farbe, jeder Fenster- und Türöffnung, zu jeder Geschosshöhe etwas erfinden, das wir nicht wissenschaftlich belegen können. Wir müssten also absichtlich etwas Falsches darstellen, und das halte ich für unethisch den Besucherinnen und Besuchern gegenüber, die ja im Museum ein gewissen Wahrheitsanspruch haben dürfen.

Wir betreiben hier Wissenschaft, für rein Fiktionales gibt es geeignetere Medien wie etwa Filme. Gamification kann ich mir aber auf vielen verschiedenen Ebenen sehr wohl vorstellen, etwa als LARP-artiges Quiz oder als Escape-Room-Szenario. Und natürlich gibt es großartige Möglichkeiten von VR, um zum Beispiel etwas begehen zu können, was eigentlich nicht zugänglich ist, wie die Höhlen von Altamira in Spanien. In Flavia Solva könnte man mit AR zusätzliche Informationen geben, auch ohne Gebäuderekonstruktionen. Da könnte man beispielsweise für den Radtourismus Routen entwickeln zu sichtbaren Resten, nicht nur zur Archäologie, sondern auch zur jüngeren Geschichte, und so historische Landschaften besser verstehbar machen.

Das Antefix – ein Stirnziegel in Form einer Theatermaske – scheint zum Leben erweckt worden zu sein.
Weitere Infos: https://www.museum-joanneum.at/flavia-solva/ausstellungen/ausstellungen/antefix

Ein geschützter Einblick in die römische Stadt.

Text und Fotos: Alina Lerch

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