UMJ/Lisa Witschnig

21. Juni 2024 / Elisabeth Schlögl

„Entsammeln – Kann das weg?“ Ein Werkstattgespräch im Museumsforum Steiermark

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Entsammelt wird im Museum ja meist hinter vorgehaltener Hand und im Verborgenen, aber unsere Veranstaltung widmete sich diesem „Tabuthema“ ganz unverblümt: Am 21. Mai 2024 ging es um Arten und Wege, Richtlinien und Leitfäden für das korrekte Ausscheiden von Objekten aus der eigenen Sammlung, um rechtlich-ethische Grundlagen für den Prozess und innovative Wege des Entsammelns am Beispiel des partizipativ angelegten Projekts „#Altsuchtneu – das Regionalmuseum Chüechlihus entsammelt, mach mit!“. Kommen Sie mit in unsere Werkstatt mit Carmen Simon und Elisabeth Schlögl!

Nahezu 50 Teilnehmer*innen fanden sich bei diesem Werkstattgespräch ein, um sich mit dem Thema „Entsammeln“ und der Frage „Kann das weg?“ auseinanderzusetzen.

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Carmen Simon, Leiterin des Regionalmuseums Chüechlihus, reiste aus der Schweiz an, um über Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrem partizipativen Entsammlungsprojekt #Altsuchtneu“ im Regionalmuseum Chüechlihus zu berichten. Besonders erfreulich auch im Sinne unserer Bestrebungen für Nachwuchs im Museum: Museologin Bernadette Biedermann gesellte sich mit ihren Studierenden des Instituts für Kunst- und Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz zu uns ins Joanneumsviertel. Dort fand unsere Veranstaltung live statt – und wir schalteten uns aus ganz Österreich und Deutschland via Zoom dazu.

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Elisabeth Schlögl, Leiterin des Museumsforums Steiermark, führte ins Thema ein: Darf ein Museum überhaupt Objekte ausscheiden oder steht das „Entsammeln“ im Widerspruch zum Bewahrungsauftrag in der ICOM-Museumsdefinition? Wie legt man den Prozess des Entsammelns „richtig“ an und was gilt es dabei zu bedenken?
Nach einer kurzen Begriffsdefinition, ethischen und rechtlichen Grundlagen der Objektausscheidung (Stichwort Denkmalschutz u. a.) ging es um Dos & Don’ts, Motivationen und Gründe für oder gegen das Entsammeln. Hilfreiche Entscheidungskriterien, Empfehlungen sowie Leitfäden, aber auch Arten, wie Objekte und unter welchen Voraussetzungen endgültig aus der Sammlung ausgesondert werden dürfen/sollen, standen dabei im Mittelpunkt.

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Das A und O beim Entsammeln

Ein wichtiges Learning vorweg: Das A und O beim Entsammeln ist es, Vereinbarungen über Abläufe festzuschreiben, diese Abläufe mindestens nach dem Vier-Augen-Prinzip zu verifizieren und sie während des Prozesses stets gemeinsam mit Leitbild und Sammlungskonzept fest im Blick zu halten.
Das Sammlungskonzept hilft im Sammlungsalltag zu entscheiden, was gesammelt wird und was nicht. So werden nicht in die Sammlung passende Objekte erst gar nicht angenommen und laufen weder Gefahr, in der Ecke zu verstauben, noch irgendwann – inventarisiert oder nicht – mehr oder weniger kompliziert entsammelt werden zu müssen.

Workshop „Sammeln mit Konzept“

Das Museumsforum Steiermark unterstützt steirische Museen mit dem kostenfrei buchbaren Workshop „Sammeln mit Konzept“ [https://www.museum-joanneum.at/museumsforum/sammlungskonzept]: Im Team, im Museum, an 2 Tagen anhand von 5 Fragen dreht sich alles um die eigene Sammlung: Wo gibt es Lücken, Desiderate und Dubletten?
Elisabeth Schlögl moderiert, die Teilnehmer*innen und Teams erarbeiten die Inhalte und am Ende steht die Rohfassung eines Sammlungskonzepts: Warum sammle ich, wie – und für wen? Was wird gesammelt? Wo wird gesammelt – wie schaut die Sammlungsnachbarschaft aus? Was fehlt in meiner Sammlung, was soll ich entsammeln – und wie gehe ich dabei richtig vor?
Gemeinsam mit dem Team wird im Workshop auch der individuell passende Prozess für das Entsammeln designt.

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Leitfäden und Richtlinien

Wer sich reinknien und vorher ins Thema vertiefen möchte, dem legt Elisabeth Schlögl folgende online verfügbare Literatur ans Herz:

Einen bemerkenswerten Zugang verfolgt die Museums Association, die Deakzession mit Nachhaltigkeit und Klimaverantwortung sowie mit der Verantwortung für nachkommende Generationen und für die Objekte selbst verknüpft: Denn rund 90 % der Sammlung großer Museen verharren ungezeigt – in oft übervollen, aber dafür gekühlten Depots …

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#Altsuchtneu – das Regionalmuseum Chüechlihus entsammelt, mach mit!“

Wie bereits eingangs erwähnt, geschieht das „Deakzessionieren“ häufig im Verborgenen und ohne öffentliche Kommunikation. Das Wort selbst ist für die große Allgemeinheit inhaltlich auch schwer nachvollziehbar.
#deakzession – schon davon gehört? Nicht so in der Schweiz: Carmen Simon, seit 2021 Direktorin im Regionalmuseum Chüechlihus, geht einen anderen, völlig neuen Weg. Der Entsammlungs-Prozess in einem der größten Schweizer Regionalmuseen geschieht öffentlich und unter Beteiligung der Bevölkerung.

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Schon bei der Objektauswahl, aber auch bei der Entscheidung, was mit den entsammelten Objekten geschieht und in wessen Eigentum sie wandern, haben die Emmentaler ein großes Wörtchen mitzureden: Für die Bevölkerung wird die Sammlung ja schließlich aufbewahrt, lautet einer der Ansätze des partizipativen Projekts: Wer sammelt, muss entsammeln und eine Sammlung ist immer in Bewegung. Die Auswahl-, Bewerbungs- und Abstimmungsprozesse werden verstärkt und vor allem transparent kommuniziert.

 

Wie kam’s? Ausgangslage.
Carmen Simon ist seit 15 Jahren in der Schweizer Museumslandschaft in verschiedenen Funktionen in und für Museen unterschiedlichster Größen in der gesamten Schweiz tätig. Weshalb Regionalmuseen wie das Regionalmuseum Chüechlihus für sie persönlich so interessant sind, lässt uns die dynamisch-sympathische Museumschefin auch gleich wissen: Mitten im Ort und mitten in der Gesellschaft gelegen, tragen Regionalmuseen ein ungeheures Potenzial in sich. In kleineren Museen in den Regionen gäbe es auch häufig idente Voraussetzungen wie damals im Regionalmuseum  Chüechlihus: Gesammelt wurde lange Zeit mit Eigeninteresse und fehlendem Konzept, sodass der Bezug zum Hier und Jetzt und zur Bevölkerung verloren ging.  Außerdem war die Sammlung von 25.0000 Objekten auf mehrere Plätze verteilt und wie so oft nur teilweise ausgestellt.

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Generaldepot in Sicht: Sammlungsinventur!
Konkreter Anlass für diese groß angelegte „Inventur“ war die Aussicht auf ein Generaldepot und damit einhergehend die Zukunftsvision des Regionalmuseums Chüechlihus als Werkstatt und Ort der Teilhabe, als konsumfreier Raum, wo das gemeinsame kulturelle Erbe verhandelt und bewahrt werden kann.

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Entsammeln in drei Phasen – der Objektrat
Und so ging es ab 2021 in jeweils drei Phasen an die „Entsammlungsrunden“. In der AUSWAHLPHASE wurden die zu entsammelnden Objekte bestimmt; zuerst durch das Museum, den Objektrat und via Abstimmung auch durch die Bevölkerung (online oder beim Museumsbesuch).
„Warum soll dieses oder jenes Objekt die Sammlung verlassen?“ Teilweise legte die Bevölkerung ein Veto ein und lieferte manchmal auch gleich einen interessanten neuen Objektkontext mit. In der darauffolgenden BEWERBUNGSPHASE wurden die besten Ideen für die „Nachnutzung“ bzw. Weiterverwendung des Objekts eingereicht und in der ABSTIMMUNGSPHASE noch über die besten Ideen abgestimmt – und die neuen Besitzer*innen gefunden.

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DEAKZESSION ENTSAMMELN. 10 Gründe dafür – und einer dagegen
Sämtliche Gründe, die im oben genannten Booklet (hg. v. Regionalmuseum Chüechlihus, Langnau 2023) für die „partizipative Entsammlung“ nachzulesen sind, münden darin, „dass das Museum und seine Sammlung an Relevanz und Legitimation gewinnen. Wenn das mal keine guten Aussichten sind“: Die Objekte werden, um ihnen gegenüber die angemessene Sorgfaltspflicht einzuhalten und den gebührenden Respekt zu zollen, in ein „drittes Leben“ entlassen – aus den Depots heraus in völlig neue Kontexte und Funktionen. In allen Phasen wird Beziehungsarbeit geleistet, zum Nachdenken angeregt und die Bindung der Bevölkerung an das Kulturerbe, das Museum, die Museumsarbeit intensiviert. Die Sammlung wird geschärft und der Prozess der Deakzession noch sorgfältiger betrieben.

 

Der eine Grund dagegen – so viel sei an dieser Stelle noch verraten – wäre der Aufwand. Denn selbst in der Schweiz, wo Mitbestimmung an der Tagesordnung steht, sind partizipative Projekte wie dieses keine Selbstläufer. Auch dort bedarf es intensivster Kommunikation – und nebenher geht das nicht: Das Format „Entsammeln“ ist seit 2021 (Jahres-)Programm im Regionalmuseum Chüechlihus.
Aktuell findet der letzte Aufruf zur Bewerbungsphase für Emmentaler Kulturgut statt – Bewerbungen sind herzlich willkommen!

www.entsammeln.ch

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