Treffen mit Katja Ikäläinen (Senior Planning Officer des Museum of Contemporary Art Kiasma)

14. Februar 2024 / Katia Huemer

Museen neu denken

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Mit Erasmus+ nach Helsinki

Die 17 SDGs (Nachhaltigkeitsziele, definiert von der UNO, die sie als Ziel bis 2030 festgelegt hat) klingen ehrgeizig: Keine Armut. Kein Hunger. Weniger Ungleichheiten. Bezahlbare und saubere Energie. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. Und so weiter. Nicht alle, aber viele der Sustainable Development Goals beziehen sich auf den Klimawandel (z. B. SDG 14: Maßnahmen zum Klimaschutz) und den Verlust von Biodiversität (z. B. SDG 15: Leben unter Wasser) – Problemfelder mit tendenziell negativem Trend, die besorgniserregende Ausmaße annehmen. So ist es nicht verwunderlich, dass die SDGs vielfach unter Kritik stehen. Zu viele, zu wenige, teilweise widersprüchlich, es fehlen die rechtlichen Rahmenbedingungen, ihre Verwirklichung schreitet viel zu langsam voran.

Fest steht: Bislang ist noch kein einziges Land auf der Welt auf festem Kurs in die richtige Richtung, die uns und vor allem den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten sichern würde. Tatsächlich passiert der Wandel zu langsam, doch die Festlegung globaler Ziele ist ein wichtiges und relevantes Mittel, um auf die Dringlichkeit der Themen wieder und wieder hinzuweisen. Doch wo anfangen, wenn die Probleme so groß sind, so unbewältigbar scheinen? Wie wäre es mit: „bei uns selbst“?

Sustainable Development Goals

 

Also folgte ich der Einladung von Evelyn Kaindl vom Steirischen Museumsverband MUSIS, an einem von der EU geförderten Mobilitätsprogramm (Erasmus+) teilzunehmen. Das Ziel des Programms: die 17 SDGs in der eigenen Museumsarbeit zu implementieren. In Kleingruppen, verbunden mit den gastgebenden Institutionen in den jeweiligen EU-Ländern, sollten wir unsere Reisen mit dem Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit organisieren, Museen besuchen, uns mit Kolleg*innen austauschen und vernetzen und nicht zuletzt untereinander diskutieren, reflektieren, uns gegenseitig über Missstände und Probleme berichten oder auf Best-Practice-Beispiele aufmerksam machen.

Meine Reisegefährtinnen: Ursula Pintz aus dem Tempelmuseum Frauenberg und Dagmar Brauchart vom Verein zur kulturellen Nachversorgung – LeibnitzKULT. Unser gemeinsames Ziel: Helsinki, Finnland – leider eines der wenigen Reiseziele im Projekt, das tatsächlich nur sehr schwer mit anderen Verkehrsmitteln als dem „Klimakiller“ Flugzeug zu erreichen ist. Also flogen wir am 21.7. von Wien nach Helsinki – mit schlechtem Gewissen und dennoch dem guten Gefühl, eine sinnvolle Flugreise angetreten zu haben.

Erster Abend in Helsinki – Regen, aber mit Stil, Foto: Katia Huemer

 

Kultur macht Klima – Tallinn und Helsinki

Estlands Hauptstadt liegt bekanntlich nur einen Katzensprung von Helsinki entfernt (80 km bzw. 43 Seemeilen oder etwa 2,5 Fährstunden über den Finnischen Meerbusen), also nutzten wir die Gelegenheit, auch gleich Tallinn zu besichtigen – übrigens „Green Capital of Europe 2023“. An augenscheinlichen Best-Practice-Beispielen zu unserem Thema fehlt es hier nicht. Zahlreiche Projekte wie „Green Tracks“, Urban Gardening am Rathausplatz und im Kreativbezirk Telliskivi oder das kostenlose Nutzen des öffentlichen Verkehrs für Einwohner*innen machen Tallinn zu einem Vorreiter für nachhaltige Stadtentwicklung (SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden).

Im architektonisch beeindruckenden KUMU – Eesti Kunstimuuseum – stellte die Ausstellung Art in the Age of the Anthropocene interessante Zusammenhänge zwischen dem Museumsbetrieb (dessen Anteil an Emissionen ja nicht gerade gering ist) und der menschengemachten Klimakrise am Beispiel estischer Kunstgeschichte her. Der reflexive und zugleich vermittelnde Umgang mit der eigenen Klimabilanz ist inspirierend.

Mit an Schneestangen erinnernde „Fahnen“ ziehen die Ausstellungsmacher*innen eine eigene, selbstreflektierte Klimabilanz, Foto: Katia Huemer

 

Die darauffolgenden Tage in Helsinki waren gefüllt mit zahlreichen Museumsbesuchen (KIASMA – Finnish National Gallery, HAM – Helsinki Art Museum, Amos Rex Kunstmuseum, Helsinki Designmuseum, Seurasaari Freilichtmuseum, KAMU – Stadtmuseum Espoo, EMMA – Museum of Modern Art Espoo usw.) und vielen anregenden Gesprächen mit Kolleg*innen der jeweiligen Institutionen. Besonderer Dank gilt unseren Hosts Lea Värtinen und Saara Pouru vom Seurasaari Museum, die für uns Kontakte zu anderen Intuitionen herstellten, uns mehr als gastfreundlich betreuten und – nicht zuletzt – uns Einblicke in die Nachhaltigkeitsstrategie der finnischen Nationalmuseen gewährten.

 

Neue Richtungen

Als besonderes Highlight im reichhaltigen Kulturprogramm der Stadt sei die Helsinki Biennale erwähnt, die 2023 zum zweiten Mal auf der malerischen, naturbelassenen Insel Vallisaari sowie im HAM – Helsinki Art Museum stattfindet. Der Titel New Directions May Emerge entstammt einem Zitat der Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing und schlägt vor, von der „art of noticing“, also der Kunst des Bemerkens, auszugehen, um durch aufmerksame Beobachtung anderer Menschen, Tiere, Pflanzen und Wesen neue Wege zu finden, in der Welt zu leben und sie im besten Fall zu verstehen.

Ein Best-Practice-Beispiel für die Umsetzung etlicher SDGs zugleich (etwa 5, 9, 10, 11, 12, 13, 16, 17 …) ist die Oodi Zentralbibliothek von Helsinki – „eine Ode an die Gemeinschaft“. Helsinkis „neues Wohnzimmer“ ist nicht nur ein architektonisches Highlight, es besticht vor allem durch das Konzept gemeinschaftlicher Nutzung. „Everyone has the right to be at the library. Idle hanging out is allowed, even encouraged. Racism and discrimination have no place at the library. Oodi is our common living room”, erklärt eine Tafel im Inneren des Gebäudes die wichtigste Spielregel, an die sich – so wirkt es zumindest auf uns Beobachterinnen des Geschehens – auch jede*r hält.

Wir sehen Jugendliche, die mit Freund*innen am Boden sitzen, jausnen und Brettspiele spielen; Leute in Anzug und Krawatte, die in gläsernen Sitzungszimmern Besprechungen durchführen; Kinder und Erwachsene, die das umfangreiche Angebot von Spielkonsolen nutzen; andere, die mit Overlock-Nähmaschinen, 3-D- Druckern oder Lasercuttern arbeiten; wieder andere, die im Tonstudio Gitarren würgen oder die Küche nutzen, um gemeinsam mit Freund*innen zu kochen. (Und ja, manche kommen auch zum Lesen in die Bibliothek.) Was für ein toller Ort gelebter Inklusion und Teilhabe!

Gelebte Gemeinschaft: Im Oodi ist jede*r willkommen. Auch die Toiletten sind (wie meistens in Finnland) für alle – Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern werden hier keine gemacht, Fotos: Katia Huemer

 

Hätä keinon keksii – Notfall findet den Weg

Nach einer Woche intensive Eindrücke und vieler Ideen zurück im Arbeitsalltag. Ich frage mich: Was bleibt? Was nehme ich mit für meine eigene Arbeit, für das „eigene“ Museum? Welche der vielen Inspirationen lassen sich für das Kunsthaus umsetzen? Was ist bei mir „hängengeblieben“? Da sind die kleinen Dinge wie Abstellplätze für Kinderwägen, genderneutrale Toiletten, Sticker, die für das Abfüllen von Wasser in eigene Trinkflaschen oder für das Benutzen der Treppen anstelle des Aufzugs werben. Die infrastrukturellen Beispiele, die über das Museum hinausgehen in den Stadtraum wirken – das gut ausgebaute und niederschwellige City Bike System von Helsinki und Espoo, die freien Öffis in Tallinn oder auch ein öffentlich nutzbarer Tanzboden vor dem Designmuseum (schließlich wurde der Tango – fast – in Finnland erfunden). Und natürlich die spannenden Gespräche und Einblicke in die nicht so sichtbaren Maßnahmen zum Klimaschutz, die von den Institutionen gesetzt werden.

73% der CO2-Emissionen, die eines der besuchten Museen erzeugt (so haben wir erfahren), entstehen durch die Klimatisierung der Räume und Lagerflächen. Allein durch das Wechseln zu Windenergie, also zu erneuerbarer Energie, konnte bereits ein Vielfaches der Emissionen reduziert werden. (Das nächstgrößte Problemfeld betrifft übrigens das Transportwesen und die Reisetätigkeit.)

„Hätä keinon keksii“ lautet eine finnische Redewendung. Notfall findet den Weg. Was so viel bedeutet wie: Dinge werden immer in letzter Minute oder in einer kritischen Situation gelöst. Wollen wir hoffen, dass der finnische Optimismus, der aus dieser Weisheit spricht, auch in Bezug auf den Klimanotstand begründet ist.

 

Reiseroute

  • Fr, 21.7. – Anreise mit Bus, Flugzeug und Zug von Graz über Wien nach Helsinki
  • Sa, 22.7. – Tagesausflug mit der Fähre nach Tallinn, Estland (Green Capital of Europa 2023); Besuch des VABAMU – Museum of Occupations and Freedom, der Telliskivi Creative City, des KUMU Art Museum; Stadtrundgang inkl. Domberg und ausgiebiger Aufenthalt im urban gardening/libraryProjekt im Rahmen von Green Capital of Europe („Green Tracks“)
  • So, 23.7. – Besichtigung der Festung von Suomenlinna und Besuch der Helsinki Bienaali (New Directions May Emerge) auf der Insel Vallisaari; Fischmarkt und Sauna
  • Mo, 24.7. – Besuch des Oodi (Zentralbibliothek Helsinki), des Musiikkitalo (Konzerthaus Helsinki), der Temppeliaukio-Kirche, der Kamppi -Kapelle, des Designmuseums Helsinkis; Stadtrundfahrt mit Fahrrädern und Boot, Erkunden der Second Hand Infrastruktur Helsinkis; Saunabesuch (Allas Seapool)
  • Di, 25.7. – Treffen mit Katja Ikäläinen (Senior Planning Officer des Museum of Contemporary Art Kiasma) zum Thema “Green Handprint”-Strategie der Finnish National Art Gallery; Treffen mit Reetta Heiskanen (Direktorin des Helsinki Kaupunginmuseo/Helsinki City Museum); Besuch im Designmuseum Helsinki und HAM – Helsinki Art Museum
  • Mi, 26.7. – Tagesausflug mit der Metro nach Espoo; Treffen mit Jenni Siltainsuu (Museum Educator im KAMU, Espoo City Museum); Treffen mit Maija Eränen (Customer Service Manager im EMMA -Espoo Museum of Modern Art); Radtour nach Westend Espoo; Konzertbesuch im Musiikkitalo und erneuter Besuch des Oodi (Zentralbibliothek Helsinki)
  • Do, 27.7. – Besuch bei unseren Hosts im Seurasaaren ulkomuseo; Austausch über SDGs und die Nachhaltigkeitsstrategie des National Museum of Finland; Besuch des Amos Rex Kunstmuseums
  • Fr, 28.7. – Treffen mit Arija Miller (Direktorin des Helsinki Art Museum) und Kuratorin für Public Projects Paula Corte; Besuch der Helsinki Biennale und der Ausstellung Shared Space im HAM; Heimreise

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