Ausstellungsansicht, Foto: UMJ/N. Lackner

19. Juli 2014 / Roman Grabner

Mit Günter Brus im Wohnzimmer – Teil 2

Kunst- & Naturvermittlung | Museumseinblicke | Neue Galerie mit BRUSEUM

Walter Benjamin hat dem Sammler ein Leben zwischen Zufall und System unterstellt und sah damit dessen Obsession und Reflexion verknüpft mit dem Flanieren und Archivieren. Wann und wo kamen die Sammlerinnen und Sammler das erste Mal mit Werken von Günter Brus in Kontakt und warum haben sie begonnen, diese zu sammeln?

Die Blogserie zur Ausstellung Der private Blick. Werke von Günter Brus in steirischen Privatsammlungen beleuchtet den Hintergrund der Bilder und verfolgt den privaten Blick zurück zum Anfang: Warum hat sich eine Sammlerin oder ein Sammler für dieses eine Werk entschieden und welche Geschichte steckt hinter dem Bild? Eine Annäherung an die Sammlerleidenschaft in einzelnen Bildern und zugleich ein Ausstellungsparcour in Etappen!

Die Kardinäle der Unzucht oder La Croce del Veneto, 1973/74

Im Jahr 1972 – Günter Brus ist nach seiner Verurteilung in Österreich seit drei Jahren im deutschen Exil – lernt er in Berlin den italienischen Sammler und Galeristen Francesco Conz kennen. Brus schreibt im Rückblick: „Wir hießen ihn willkommen, zumal er ausrief: ‚Ich freue mich, sie kennenzulernen, maestro!‘ Offensichtlich war mein Ruf, meistgehaßter Österreicher zu sein, bis Venetien vorgedrungen. Conz liebte Außenseiter und Meistgehaßte.“[1]

Dieser Francsco Conz mietet im selben Jahr einen Palazzo in der kleinen mittelalterlichen Stadt Asolo, um Künstler und Künstlerinnen aus der Fluxus- und Performance-Szene ins Veneto einzuladen, dort eine Zeit lang zu leben und vor Ort Aktionen, Happenings und Arbeiten auszuführen. Als einen der ersten lädt er Günter Brus ein und beauftragt ihn, neun Tafelbilder für einen sakralähnlichen Raum anzufertigen.

Diese ungewöhnliche Arbeit, die als geschlossenes Ganzes zu verstehen ist, war ursprünglich als eine Art Freskenmalerei geplant. In Temperafarben, Bleistift und Buntstiften arbeitet Brus schließlich auf vorgegebenen Holztafeln in den Maßen 130 x 90 cm, die in ihrer Form auf die Absichten des Auftraggebers verweisen. Nach Beendigung der Arbeit erhält der Zyklus den Titel Die Kardinäle der Unzucht, um später unter dem weiter gefassten Titel La Croce del Veneto zu firmieren.

Ein neuer Zyklus entsteht

Die neun Bilder sind für Brus ungewöhnlich statisch und streng aufgebaut und arbeiten mit klassischen Kompositionsprinzipien wie der Symmetrie und dem obligatorischen Ausblick auf die Landschaft. Die altarartigen Bildtafeln zeigen Kirchensymbole, wie die leitmotivisch verwendete Bischofsmitra, die mit Geschlechtsorganen verschmolzen werden und eine den Katholizismus und dessen rigide Sexualmoral attackierende Haltung offenbaren. Die immanente Verletzungsthematik und die zahlreichen vulvaförmigen Öffnungen künden von Macht, Gewalt, Obsession und sexuellem Missbrauch. Der Zyklus ist zudem geprägt von zahlreichen Gegensatzpaaren, die für das weitere Schaffen von Brus wichtig sind, wie zum Beispiel Schönheit und Grausamkeit, Lust und Gewalt, Konvention und Ungebundenheit, Innenwelt und Außenwelt, Leben und Tod.

In ihrer schonungslosen Darstellung sind die Kardinäle der Unzucht als Ausläufer des Aktionismus zu sehen und markieren zugleich eine zentrale Zwischenstation auf dem Weg zum zeichnerisch-literarischen Werk, das sich in der seriellen Aneinanderreihung der neun Tafeln und ihrer räumlichen Inszenierung bereits andeutet. Wegen finanzieller Schwierigkeiten kann die ursprüngliche Installation vor Ort von Francesco Conz nicht realisiert werden und das Kreuz Venetiens verlässt Anfang der 1980er-Jahre Asolo. Der Bilderzyklus wird daraufhin von der Galerie Heike Curtze präsentiert und gelangt schließlich in die Sammlung des Museums Moderner Kunst in Wien.

 

Ausstellungen

1986 findet im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien unter dem Titel Der Überblick die erste Retrospektive von Brus statt, die in Folge auch nach Düsseldorf und München reist. Essentieller Bestandteil der Ausstellung ist auch der Zyklus La Croce del Veneto. Auf Einladung des Notars Helmut Czerny, des großen Mäzens der Neuen Galerie Graz, besucht der anonyme Sammler, um dessen Arbeit es hier geht, die Ausstellung im Lenbachhaus in München. „[…] dort sind die Kardinäle der Unzucht gehängt und diese Arbeit hat mich derart fasziniert, dass ich mir gleich zwei Brus-Bücher gekauft habe und diese studiert habe. Das war sinngemäß die Initialzündung für mich für die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst.“ Viele Jahre und Kunstankäufe später gelingt es dem Sammler, eine Vorzeichnung zum 6. Bild des Zyklus zu erwerben, das den Titel Bischofsmusik II trägt. Das Werk zeigt einen nackten kirchlichen Würdenträger, der eine vulvaförmige Verletzung am Rücken aufweist, die mit zwei Riemen zusammengebunden ist. Im Tafelbild scheint ein Blutstrahl aus der vaginalen Wunder zu strömen, in der Vorzeichnung wirkt es eher, als würde die Figur von einem gebogenen Objekt aufgespießt oder penetriert werden.

Im Original ein Hochformat hat der Sammler die Zeichnung zu seinem Kardinal der Unzucht vermutlich aufgrund der Signatur des Künstlers, die an der Längsseite verläuft, als Querformat installiert. In dieser Form hängt es in seinem unmittelbaren Lebensumfeld an prominenter Stelle und für die nächsten Monate in der Ausstellung Der private Blick im BRUSEUM.

 

Günter Brus, Art des Giftes, Dauer der Vergiftung, Sitz der Schmerzen, Foto: UMJ/N. Lackner

Günter Brus, Art des Giftes, Dauer der Vergiftung, Sitz der Schmerzen, Foto: UMJ/N. Lackner

 

Eine Randnotiz am Ende: Das Motiv der Bischofsmusik I, dem 4. Bild des Zyklus, findet sich als Darstellung übrigens zwei Räume zuvor in der Edition Art des Giftes, Dauer der Vergiftung, Sitz der Schmerzen.

Bereits erschienene Beiträge zur Ausstellung Der private Blick:
Teil 1: Mit Günter Brus im Wohnzimmer

[1] Literarischer Vorlass, XVI 800_1-3, BRUSEUM/Neue Galerie Graz, UMJ

Kategorie: Kunst- & Naturvermittlung | Museumseinblicke | Neue Galerie mit BRUSEUM
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