10. Juli 2017 / Walter Feldbacher
Landesaufnahme(n): Von Erdölbohrversuchen, einem 15.000 Liter Weinfass für die Sowjetunion und einem „Tortenkaiser“ am Kirchplatz – ein medienhistorischer Expeditionsbericht
Unsere erste Ausfahrt im Rahmen der „Landesaufnahme II“ führt uns nicht zu den bekannten Leitbetrieben der steirischen Wirtschaft. Nicht die Hochöfen der obersteirischen Industrie oder das weststeirische Kohle- und Glasrevier, sondern die agrarisch und von Handwerksbetrieben geprägte Südsteiermark steht diesmal am Dienstreiseplan. Kein Firmenarchiv mit Rollregalen erwartet uns, Feldforschung im wahrsten Sinne des Wortes ist angesagt.
Und dennoch: Am Ende des Tages freuen wir uns über drei mittels historischer Fotografien gut dokumentierte Wirtschaftsgeschichten aus dieser Region, Mosaiksteine für eine medienhistorische Industrie- und Gewerbelandkarte der Steiermark. Nachstehender Expeditionsbericht soll Einblick in die Arbeit der „Landaufnehmer“ geben:
Erdölfieber im unteren Murtal
Vor wenigen Wochen meldete sich der pensionierte Landwirt Karl Pilch, er hätte da eine „kleine Geschichte“, die vielleicht für das Universalmuseum Joanneum interessant sein könnte. Von unserem Projekt „Landesaufnahme II“ wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts. „Es gehe um die Erdölbohrversuche Anfang der 1950er Jahre in Perbersdorf. Er habe gerade erst einen der letzten noch lebenden Arbeiter dieser Bohrstation getroffen. Dieser habe ihm auch einige Fotos von damals gezeigt.“
Wir treffen Karl Pilch in Perbersdorf, er führt uns zunächst hinaus auf die Felder im Grenzgebiet der Gemeinden St. Veit in der Südsteiermark und Murfeld und zeigt uns jene Stelle, an dem einst die Bohrtürme in die Höhe ragten. Nichts erinnert hier mehr an „Ölfelder“. Mais, wohin das Auge reicht, zwischendurch ein Kürbisacker. Das steirische Kürbiskernöl ist auch das einzig wahre „schwarze Gold der Steiermark“ geblieben. Karl Pilch begleitet uns noch zu Stefan Leicht, Jahrgang 1928, nach Lichendorf, der als junger Mann bei diesem Projekt Arbeit gefunden hat.
Doch lassen wir die beiden Herrn in einem Video von Max Wegscheidler selbst erzählen:
Arbeiter bei den Erdölbohrversuchen in Perbersdorf, 1952, Slg. Grundits, Unbekannter Fotograf
Die Erdölbohrversuche in Perbersdorf fanden auch in der Presse ihren Niederschlag: So schreibt die Süd-Ost Tagespost vom 12.11. 1952, Seite 8, zur Erdölförderung bei Perbersdorf: „Der große Bohrturm bei Perbersdorf, ein massives Stahlgerüst, ist inzwischen fertiggestellt worden. In 2000 Meter Tiefe soll man auf ein größeres Ölfeld gestoßen sein.“
Am 10.05.1953 berichtet selbiges Blatt, Seite 19, über die Erdölsuche in Radkersburg:
„Nun wurde in längerer Bauzeit ein 42 Meter hoher Bohrturm aufgestellt….Die derzeitigen Bohrharbeiten stehen, ebenso wie die bisherigen Bohrversuche, unter fachmännischer Leitung von Ölsachverständigen der holländischen Ölsuchunternehmung van Sickle, die auf Grund eines Vertrages mit der österreichischen Regierung ihre Bodenuntersuchungen durchführten……Die bisher erschienenen kurzen Zeitungsnotizen haben in der Bevölkerung lebhaftes Interesse für die Bohrungen im Bezirk Radkersburg erweckt und verursachen ständig einen Zulauf zahlreicher Neugieriger.“
Diese spannende Wirtschaftsgeschichte macht deutlich, dass es hierzu noch einer differenzierten Kontextualisierung und wissenschaftlichen „Tiefenbohrung“ durch das Institut für Geschichte, Fachbereich Zeitgeschichte (Karl-Franzens- Universität Graz) – einer der Partner der Landesaufnahme II – bedarf.
Aus dem Familienalbum eines Fassbindermeisters
In Priebing bei Weinburg empfängt uns Augustin Ploder, Jahrgang 1932, Fassbindermeister in Ruhe, im Kreise seiner Familie.
Im Jahre 1962 hat er die Meisterprüfung für das Fassbindergewerbe abgelegt und den von seinem Vater Franz Ploder in den späten 1920er Jahren gegründeten Betrieb übernommen. Fünfzehn Jahre führte er dieses Gewerbe weiter, ehe er sich ganz auf den Weinhandel konzentrierte.
Heute lässt sich auf seinem Hof kaum mehr etwas von der einstigen „Betriebsamkeit“ einer Fassbinderei erahnen, seine Enkelin holt noch ein altes Firmenschild mit fast völlig verblasstem Schriftzug hervor. Augustin Ploder blättert in seinem Familienalbum und erzählt uns seine Wirtschaftsgeschichte(n): „Ein Arzt aus dem nahen St. Peter am Ottersbach habe seinerzeit die Aufnahmen von der Fassbinderei gemacht. Auch jene von einem 15.000 Liter Weinfass, welches 1959 in seinem Betrieb für die Lieferung von Rotwein in die Sowjetunion zur Wiedergutmachung hergestellt worden ist.“
Album Ploder
Eine der Fotografien führt uns auf die Spur eines noch heute bestehenden Fassbinderbetriebes mit Tischlerei in Thien bei Gnas. Johann Hütter, der Großvater des heutigen Fassbindermeisters Johann Hütter (in dritter Generation) hat nämlich in den 1930er Jahren bei der Firma Ploder in Priebing sein Handwerk erlernt. Bei der Firma Hütter lagert auch die schon verschollen geglaubte Innungsfahne der steirischen Fassbinder. Diese trägt den Spruch: “Wir überlegen reiflich, was wir fässlich darstellen”.
Der „Tortenkaiser“ gewährt fotografische Einblicke
Die Hitze des Tages verlangt schließlich nach einer Einkehr im „Cafe Konditorei Kaiser“ in St. Veit am Vogau. Konditormeister Helmut Kaiser kredenzt uns nicht nur köstliches Eis, sondern kann auch viel zur Geschichte seines Betriebes erzählen:
„Mein Vater Josef Kaiser kam mittel- und staatenlos aus der Region Batschka als heimatvertriebener Donauschwabe aus englischer Kriegsgefangenschaft nach St. Veit am Vogau, wo er zunächst als Knecht bei einigen Bauern arbeitete. 1955 eröffnete er mit seiner Gattin im sog. „Paul-Haus“ eine kleine Konditorei, Lebzelterei und Wachszieherei. Mehlspeisen und Lebkuchen wurden gebacken, Eis gefroren, Grablichter gegossen und Kerzen gezogen. Die Waren brachte er mit seiner Puch-Beiwagenmaschine in die umliegenden Dörfer. 1963 konnte schließlich ein eigenes Geschäfts- und Wohnhaus eröffnet werden. Wegen Platzmangel im Lokal kam 1964 die damalige Jugend auf die Idee, den Kohlenraum im Keller auszuräumen und mit Gartenmöbel und einer Musikbox auszustatten: der „Kaiserkeller“ als Disco war geboren. 1966 bauten wir eine 2-bahnige Kegelbahn, die großen Anklang fand……….“
Helmut Kaiser verfügt neben einer umfangreichen Fotosammlung – beinahe zu jedem Foto weiß er eine kleine Geschichte zu erzählen – auch über einige von ihm selbst produzierte 8mm Filme zu kulturellen Veranstaltungen im Dorf. Er ist gerade dabei, diese schrittweise zu digitalisieren.
Einige seiner Fotografien dürfen wir Ihnen nun im Rahmen der „Landesaufnahme II“ präsentieren:
Für weitere Informationen: Hier geht’s zur Website der “Landesaufnahme” – Ein Projekt der Multimedialen Sammlungen
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