8. September 2020 / Bettina Habsburg-Lothringen
“Ich kehre ein klein wenig zufriedener in die Gegenwart zurück …“
Bettina Habsburg-Lothringen: Sehr geehrter Herr Professor Kubinzky, seit wann sammeln Sie Ansichtskarten zur Steiermark?
Karl A. Kubinzky: Ich sammle, seitdem ich mich als Kind daran erinnern kann. Die Objekte meiner Wahl haben sich inzwischen geändert. Die Steiermark gehört spätestens seit dem Gymnasium, also seit rund 70 Jahren, bevorzugt dazu. Geschichte und Geografie gehörten zu den wenigen Schulfächern, in denen ich brillierte. Das, verbunden mit meinem Beruf als Soziologe an der Universität und meinem Lebensumfeld, ergab die Sammelambition für Graz und die Steiermark.
“Ich sammle, seitdem ich mich als Kind daran erinnern kann.”
Wie umfangreich ist die Sammlung zur Steiermark? Wie setzt sie sich – zum Beispiel hinsichtlich der vertretenen Zeiten oder Orte – zusammen?
Meine Sammelobjekte – vom großen Ölbild bis zum Foto und der Ansichtskarte, Letztere sind zugegebenerweise die weit überwiegende Mehrheit – habe ich nie gezählt. Da tut es mir um die Zeit leid. Aber die Steiermark ist sicher mit weit mehr als 10.000 Objekten vertreten. Ich habe eine ABC-Orte-Ordnung zu organisieren versucht. Aber so ganz einfach ist das nicht. Die Gemeindegrenzen und -Namen ändern sich und oft überschreiten Abbildungen den Raum einer Gemeinde. Wie ist das zum Beispiel mit Schlössern, die bekannter als die Gemeinden sind? Soll das Stift Rein unter „E“ nach der Gemeinde Eisbach oder Göss unter Leoben eingeteilt werden?
Tatsächlich war das auch eine der nicht einfachen Fragen im Zusammenhang mit der Ausstellung und Publikation. Und bezüglich der Zahl stehen wir im Digitalisierungsprojekt derzeit bei knapp 13.000 Ansichtskarten, wobei bemerkt werden muss, dass Sie seit unseren ersten Gesprächen zur Ausstellung nicht aufgehört haben, immer neue Karten zu erwerben. Liegt der Teilsammlung zur Steiermark eigentlich eine bewusste Entscheidung zugrunde? So im Sinne von: „Ab heute sammle ich auch die Steiermark“? Oder ergab sich das zufällig, weil sich zum Beispiel in einem Konvolut zu Graz auch einzelne Stücke zur Steiermark fanden?
Für mich bilden die Landeshauptstadt Graz und das Bundesland Steiermark, das ehemalige Kronland, eine Einheit. Persönliche Nähe und lokales Interesse motiviert den Sammler. Aber ich habe selbstverständlich auch beispielsweise eine umfangreiche Sammlung zu Niederösterreich oder „Böhmen“, der Heimat meines Vaters.
Folgen Sie in der Entwicklung der Sammlung einem Konzept? Suchen Sie gezielt nach Ansichten oder Orten oder nehmen Sie auf, was Ihnen unterkommt und Sie persönlich anspricht?
Gute Frage! Die Sammel- und Kaufentscheidung fällt in einer Mischung von Emotion und Realitätsbezug. Manchmal ist das Erjagen wichtiger als das Besitzen. Manchmal lasse ich mich zum Erwerb provozieren. Mitunter ist es die Freude an „schönen und/oder interessanten“ Objekten. Hin und wieder versage ich mich einer Abbildung.
“Manchmal ist das Erjagen wichtiger als das Besitzen.”
Woher kommen die Karten? Kaufen Sie im Internet oder auf dem Flohmarkt, erwerben Sie ganze Sammlungen? Und gibt es da – über die letzten Jahre betrachtet – eine Entwicklung, was die Herkunft der einzelnen Stücke angeht? Gab es zum Beispiel eine Verschiebung in Richtung Internet?
Wachsen ab einer gewissen Größe Sammlungen von allein? So einfach ist das nicht. Alle Möglichkeiten sind für den engagierten Sammler erlaubt. Erben, geschenkt bekommen, finden, tauschen, kaufen, ersteigern, ausleihen … Ich kenne meine Haupthändler und die kennen mich. Sicher spielen „Tauschtage“ – wohl besser: Kaufausstellungen – und seit Jahren das Internet seine große Rolle. Beispielsweise eine seltene und interessante Abbildung von einem Händler aus den USA direkt zu erwerben, ist Erfolg für „Sammler und Jäger“.
Welche Bedeutung hat für Sie die Sammlung von Ansichtskarten, auch im Vergleich zur wesentlich umfangreicheren Graz-Sammlung?
Vielleicht stellt einmal ein Psychiater die Gründe dafür fest, aber alle Sammelobjekte sind mir wichtig, manche allerdings wichtiger! Wenn wir schon über Motive sprechen. Bitte halten Sie mich höchstens mäßig für verrückt. Aber der Sammler erwirbt das abgebildete Objekt real. Ich kann kurzfristig und fantasievoll eine Reise in eine andere Zeit und Welt antreten. Ich erfreue mich nostalgisch an den farbigen und kompakten Siedlungen, so wie sie auf Colorchomkarten dargestellt sind. Ich blende jedes „Wenn und Aber“ kurz aus. Von diesem Ausflug kann ich unbeschädigt in die Gegenwart zurückkehren.
“Bitte halten Sie mich höchstens mäßig für verrückt.”
Sie sprechen hier von einem lustvollen Stöbern und Eintauchen. Befassen Sie sich mit der Sammlung auch wissenschaftlich? Recherchieren und publizieren Sie auch zu den Steiermark-Beständen?
Ja, selbstverständlich. Natürlich befasse ich mich nicht mit jedem Bild und immer gleich intensiv. Sonst wäre ich nur ein zwar erfolgreicher, aber simpler Sammler. Ich bin ein ausgebildeter, akademisch qualifizierter Historiker und Geograf. Ich weiß nachzuforschen und zu dokumentieren. So gibt es viele einschlägige Publikationen – allen voran über die Grazbilder meiner Sammlung – und auch etwas über die Steiermark, so über den Bezirk Deutschlandsberg. Wenn Sie mir etwas Zeit lassen, gibt es über jedes Bild auch eine einschlägige Story.
In Anbetracht von rund 13.000 Ansichten: Gibt es Lieblingsstücke, Lieblingsorte oder -zeiten, wenn Sie an die Steiermark-Karten denken?
Einerseits sind immer die zuletzt erworbenen Stücke aktuell am interessantesten. Andererseits bin ich stolz auf seltene und interessante Ansichten. Meine Sammlung ist so umfangreich, dass ich auch hin und wieder bei mir Entdeckungen machen kann.
“Ich kann mich, modisch formuliert, hineinbeamen und kehre ein klein wenig zufriedener in die Gegenwart zurück.”
Lassen Sie uns am Ende noch kurz zur Ausstellung kommen. „Immer schön!“ widmet sich dem photochromen Bestand, der aktuell bei ca. 2.500 Stück liegt. Diese Fokussierung liegt angesichts des Umfangs der Sammlung durchaus nahe, sie wurde aber auch von Ihnen selbst im Zuge der Ausstellungskonzeption konkret vorgeschlagen. Warum? Sprechen Sie die photochromen Karten besonders an und falls ja, weshalb ist das so?
Ja, das ist für mich ein besonderer Schatz. Die um 1900 noch recht kompakt begrenzten Ortschaften mit ihren fotografisch exakt aufgenommenen Details, meist von einer Anhöhe her, faszinieren mich. Die händisch vorbereitete Kolorierung täuscht – verbessert – einen Blick in eine andere, längst vergangene Welt vor. Ich kann mich, modisch formuliert, hineinbeamen und kehre ein klein wenig zufriedener in die Gegenwart zurück. So warten noch Hunderte nicht publizierte Colorchromkarten, steirische und auch andere auf ihre Publikation. Ich lasse gerne andere an meinen Schätzen Anteil haben. Ich danke auch dem Joanneum für die Chance einer Teilöffnung meiner Sammlung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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