Leinwandbindung, Flachs/Leinen, Kettdichte 10-11 Fd/cm, Schussdichte 9-10 Fd/cm.

23. August 2021 / Renate Einsiedl

Wozu ein Zelt?

Konservieren & Restaurieren | Museum für Geschichte | Museumseinblicke

Zelte sind Teil der militärischen Infrastruktur. Leicht und beweglich, schnell zu errichten, gewähren sie einen gewissen Schutz für Menschen und Güter.

Johann Christian Brand (1722‒1795), Porträt eines jungen Offiziers im Feldlager (Leutnant François Joseph van der Cruyce?), Öl auf Eisenblech, 30 x 32 cm, Alte Galerie/UMJ, Inv.-Nr. 552

Leicht und beweglich, schnell zu errichten, gewähren sie einen gewissen Schutz für Menschen und Güter. Militärzelte sind in unseren Breiten schon im Mittelalter belegt, aber erst seit dem 15. Jahrhundert werden sie in ihren Formen vielfältiger, ihre Größen unterscheiden sich nun massiv: Kleinen einteiligen Dachzelten stehen mehr als zehn Meter lange mehrteilige Zelte gegenüber. Die kleinen Zelte sind als Mannschafts- und Truppenzelte im Einsatz. Die großen Zelte sind im Inneren gefüttert, außen farbig gestaltet und dekoriert. Sie dienen als Unterkünfte für die ranghohen Militärs, werden als Küche, Speisesaal oder für Feldgottesdienste genutzt.

Auch in der neuzeitlichen Steiermark sind Zelte in unterschiedlichen militärischen Kontexten im Einsatz. So werden sie im Rahmen von Musterungen als kleine, mobile Architekturen mitgeführt und schützen den Musterungsstab während der stundenlangen Prozeduren vor Regen und Sonne. Zelte können in der Neuzeit nicht einfach im Katalog bestellt werden. Es gibt Zelt- und Fahnenschneider, die regelmäßig von der steirischen Landschaft beauftragt werden. Die Verordneten geben die Bestellung in Graz auf. Zelte und Fahnen werden dann an die Militärgrenze geschickt oder für Landesaufgebote gebraucht.

Truppenzelt, Mitte 18. Jahrhundert, Landeszeughaus/UMJ, Ausstellungsansicht, Foto: Nikola Milatovic

Militärzelte sind selten erhalten. Das Interesse, so schlichte Gebrauchsgegenstände zu sichern, war gering. Und doch besitzt das Landeszeughaus fünf Zelte aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
In den 1970er-Jahren befasste sich die Textilhistorikerin Dr. Ruth Bleckwenn mit dem Bestand, dokumentierte diesen und versuchte, Funktion und Datierungen einzugrenzen. [1]
Die Nummerierung der Zelte stammt, nach dem Duktus der Schrift zu urteilen, wohl aus dem 19. Jahrhundert. Drei der Zelte sind mit Dach- und Wandteilen mehrteilig aufgebaut. Die Zelte Nr. 4 und Nr. 5 sind einteilige Dachzelte. Aufgrund der Größe kann nur das kleinste Zelt ‒ Nr. 5 (Die Zelte wurden mit den Nummern 1 bis 5 bezeichnet), hier eine schematischen Darstellung (Bleckwenn 1967) ‒ in der Ausstellung gezeigt werden.

Zeichnung: Fritz Günther Melzner, in: Bleckwenn 1976.

Die Zeltwand wurde aus 12 Schnittteilen (2 Eingangsteile, 4 Apsidenteile, 6 gerade Seiten) genäht. Die Schnitteile wurden teils aus kleineren Gewebestücken, aber mit möglichst unsichtbaren Nähten zusammengesetzt.

Die Verbindungsnähte (Die Nähte wurden mit Rückstichen, Saumstichen und Überwindlingstichen ausgeführt) dieser Teile sowie der Dachfirst sind dekorativ mit Streifen bzw. einem gebogten Dekorstreifen aus blauem Leinengewebe besetzt. Auch die Innenseite des Zeltes ist in der oberen Hälfte mit blauem Gewebe gefüttert.
Hanfgurte verstärken innen die Zeltkante. Hier sind in regelmäßigen Abständen 18 Zeltschlaufen in mit Lederflecken verstärkte Bohrlöcher eingezogen.

Leinwandbindung, Flachs/Leinen, Kettdichte 10-11 Fd/cm, Schussdichte 9-10 Fd/cm.

Wie kommt unser Zelt in die Ausstellung?

Jedes Ausstellungsobjekt muss in der konservatorischen Vorbereitung ein standardisiertes Prozedere durchlaufen.
Objektdaten, Materialität, Konstruktion und der Zustand des Objektes müssen erhoben, eventuelle konservatorische Maßnahmen geplant und durchgeführt werden.
In vielen Fällen benötigen die Objekte Ausstellungsbehelfe. Textilien sind oft besonders anspruchsvoll, denn ohne stützende Elemente nehmen sie nur selten die dreidimensionale Form ein, die wir von ihnen erwarten.

Probeaufstellung im August 2020

Dachzelte wie Nr. 5 werden mit zwei senkrechten Stangen (bei der Apsis-Zeltstange kann ein Dorn durch eine Bohrung im Zelt geführt und hier die Sturmleine eingehängt werden. Über dem Zelteingang wird die Leine durch eine Schlaufe gezogen), die über Sturmleinen abgespannt sind, errichtet. Die am Saum befindlichen Schlaufen werden in Zeltheringe eingehängt und spannen so die Zeltwände auf.

Weder Zeltstangen noch Heringe sind bei unserem Zelt erhalten. Ihre Höhe und Distanz sowie die Position von alternativen Bodenpflöcken, die im Ausstellungsraum die Zeltschlaufen halten, wurden hier vermessen.

Bei der Apsis-Zeltstange kann ein Dorn durch eine Bohrung im Zelt geführt und hier die Sturmleine eingehängt werden. Über dem Zelteingang wird die Leine durch eine Schlaufe gezogen.

Als erste konservatorische Maßnahme wurde das Zelt innen und außen abgesaugt. Im Durchlicht konnte der Zustand der Zeltwände überprüft werden.
Es zeigte sich, dass die Zugbelastungen am Dachfirst und in Verlängerung der Zeltschlaufen das Gewebe stark beanspruchen.
Daher hat das Zelt eine zusätzliche Stütze durch eine waagreche Firststange erhalten.

Wie geht es Zelt Nr. 5?

Vor allem im Saumbereich finden sich mehrere historische Reparaturen, die mit mehr oder weniger geübter Hand ausgeführt worden waren. Von den 18 Zeltschlaufen sind viele erneuert, lediglich 8, eine davon inklusive der Lederverstärkung, sind im Originalzustand erhalten.

Erneuerte Schlaufen und erneuerte Lederflecken liegen in unterschiedlicher Kombination vor.

Das Zelt war schon in den 1990er-Jahren einer konservatorischen Bearbeitung unterzogen worden.
Damals wurden fehlende Lederverstärkungsflecken und Zeltschlaufen erneuert, einige fragile Stellen des Zeltwandgewebes wurden zudem mit Stützgeweben unterlegt.

Konservatorische Maßnahmen:

  1. Die grobe Reparaturnaht über Zeltschlaufe 13 führt zu Spannungsbelastungen. Daher wurde entschieden, die Altreparatur zu entnehmen und den Riss durch ein stützendes Gewebe zu sichern.
    Am Beginn der Arbeit steht die Entfernung der straffen, groben Nähte. Die verformten, wirr liegenden Fäden an der Risskante werden anschließend unter feuchtem Nebel, der mit einem Ultraschallgerät (Aerosol-Generator AGS 2000 der Firma Becker Preservotec) erzeugt wird, möglichst parallel ausgelegt.Der Riss wird mit einem Stück Leinenstoff unterlegt. Das Stützgewebe wird hier auf der Rückseite des Zeltgewebes positioniert. Zeltgewebe und Stützstoff werden mit Spannstichen verbunden. Mithilfe von Schablonen können die einzelnen Stiche versetzt und mit gleichmäßigem Abstand gearbeitet werden. Zugleich werden die ungesicherten, gerissenen bzw. ungebunden vorliegenden Rissfadenenden mit Spannstichen mit dem Stützgewebe verbunden. Hier werden die Nähte aber in geringerem Abstand gesetzt. 

    Spannstichnähte werden in der Textilrestaurierung häufig angewandt: Man führt die Nähnadel mit dem Faden durch die zu verbindenden Gewebelagen auf die Oberseite des Objekts. Hier überspannt man einen definierten Bereich und sticht wieder durch die Gewebelagen auf die Rückseite. Auf dem Rückweg zum Nahtanfang „überfängt“ und fixiert man damit den zuvor gespannten Faden mit kleinen Stichen. Der Faden wird dabei durch dasselbe Aus- und Einstichloch und nur über den Spannstichfaden geführt.
    Über den Zeltschlaufen ist die Zugbelastung besonders hoch. Daher wird hier ein Stück Hanfgurt eingefügt, das als zusätzliche Verstärkung dient. Auf der Farbkarte liegt die Nähnadel mit dem seidenen Nähfaden.

    Die Gewebefäden des blauen Leinenstreifens, der als Dekor über den Teilungsnähten der Zeltwände liegt, werden parallelisiert und mit Vorstichen mit einem Streifen Nylon-Tüll verbunden.

     

    Die schadhafte Stelle nach der Bearbeitung.

    Die schadhafte Stelle nach der Bearbeitung.

  2. Fehlstellen mit Farbauflage ‒ eine Stelle, die in den 1990er-Jahren konserviert worden war.

Hans-Peter Bojar, UMJ, Studienzentrum Naturkunde, Mineralogie

Analysebericht für Zelt Nr. 5: Mehre grünliche, unter 1 Millimeter große Fragmente wurden vom Zelt Nr. 5 entnommen und zur Analyse vorgelegt. Die Partikel wurden mittels Pulverdiffraktometrie und Infrarotspektroskopie untersucht. Durch die Diffraktometrie konnten Gips und Azurit (Kupferkarbonat) als Hauptbestandteile identifiziert werden. Durch Infrarotspektroskopie konnten weiters noch organische Bestandteile (möglicherweise ein Öl als Bindemittel) festgestellt werden. Daher dürfte es sich um Reste einer Bemalung handeln. Jetzt erscheint die Farbe durch die Alterung grünlich, müsste aber ursprünglich blau gewesen sein. Die Fasern sind im Bereich der Ablagerung spröde und drohen weiter zu brechen. Die Farbpartikel verlieren an manchen Stellen ihre Haftung.


Das aufliegende Gewebe deckt den schadhaften Bereich nur zum Teil ab. Die möglicherweise durch eine frühere Nassreinigung „wolkigen“ Ränder liegen frei.


Die Fixiernähte liegen auch in den mittlerweile spröden Gewebebereichen. Auch in ästhetischer Hinsicht erscheint diese Maßnahme nicht zufriedenstellend. Daher wurde entschieden, das aufliegende Leinengewebe zu entfernen, die Anzahl der Spannstiche zu korrigieren und den Bereich in anderer Form zu sichern. Auch der Schaden am blauen Abdeckstreifen, links im Bild, wurde behandelt.
Die hellen Spannstich-Nähte wurden entfernt und durch farblich passendere, in größerem Abstand gesetzte Stiche ersetzt. Um den dunklen Fleck optisch zu schließen, wurde in die Fehlstelle links der Teilungsnaht ein grünlich-braunes Leinengewebe eingefügt.


Das Foto zeigt einen Teilbereich des Arbeitsfeldes mit dem neuen Auflagestoff Crépeline. Das schütter gewebte und daher transparente Seidengewebe schützt die abriebgefährdeten Bereiche und lässt den dunklen Fleck optisch heller erscheinen. Insektennadeln halten das zarte Gewebe vor der Nähfixierung in Position.

Eine Reparaturnaht parallel zum Abdeckstreifen verursacht Falten und Fadenbrüche im darunterliegenden Zeltgewebe.

Die Reparaturnaht wurde entfernt, Fasern und Fäden wurden geordnet. Der Streifen wurde mit einem Stück Nylon-Tüll eingehüllt.

Die Nahtkante des Zeltwandgewebes unter dem blauen Streifen war ausgefranst. Um die senkrechte Verbindungsnaht des Zeltstoffes wieder schließen zu können, musste auf der Zeltinnenseite ein Stück Leinengewebe unterlegt werden.
Darüber sieht man ein Stück eines in den 1990er-Jahren angebrachten Leinenstützgewebes.
Hier der Abdeckstreifen nach der Bearbeitung.

Das gesamte Feld nach der Bearbeitung, außen und innen

Das gesamte Feld nach der Bearbeitung, außen und innen

Das gesamte Feld nach der Bearbeitung, außen und innen

 

  1. Der Ausstellungsbehelf:
    Aus konservatorischen Gründen erhält das Zelt zusätzlich zu den vertikalen Stangen eine horizontale Firststange.
    Hier der Verbindungsabschnitt der Apsisseite mit dem Holzdorn.

    Zeltstangen und Verbinder wurden von den Kollegen im Zeughaus, Thomas Köhler und Hans Weichhart, angefertigt.
    Zusätzlich wurde eine Konstruktion aus Hanfgurten genäht, die das Gewicht der Zeltwand abfängt.

    1) Die waagrechte Stange erhält eine wattierte Auflage. 2) Hanfgurte, die im oberen Abschnitt mit blauem Baumwollgewebe überzogen wurden, um optisch zurückzutreten. 3) Mit mehrfach gefassten Leinenfäden werden die Gurte in die Zelthaken eingebunden.

Der Blick in den Innenraum des Zeltes mit Zeltstangen, Gurtkonstruktion und Bodenhaken.

Truppenzelt, Mitte 18. Jahrhundert, Landeszeughaus/UMJ, Ausstellungsansicht, Foto: Nikola Milatovic

 

[1] Ruth Bleckwenn, „Die Militärzelte im Steiermärkischen Landeszeughaus in Graz“, in: Landeszeughaus Graz: Trommeln und Pfeifen, Militärzelte, Anderthalbhänder, Nürnberger Waffen, Waffenhandel und Gewehrerzeugung in der Steiermark, 1976

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