Foto: Oliver Wolf

Martin Unruh im Depot der Naturkunde des Universalmuseums Joanneum. Foto: Oliver Wolf

20. Oktober 2017 / Doris Lind

Picassos aus dem Tierreich

Gastbeiträge | Konservieren & Restaurieren

Martin Unruh ist Tierpräparator am Universalmuseum Joanneum und dort Herr über rund eine Million Tierobjekte. Ein außergewöhnlicher Job, der seinen Motor in einem ungewöhnlichen Zugang hat und bei dem der Schlüssel zum Erfolg im wahrsten Wortsinn in den Händen liegt.

Eine Werkstatt im Norden von Graz. In einer Wanne stehen Schilfgräser, dahinter lehnen Baumäste im Eck. Es gibt Kühlschränke, Messer, Scheren und Skalpelle in allen Größen und viele Pattex-Dosen auf dem raumbestimmenden Arbeitstisch. Am schmalen Regal daneben: ein Tupperware-Behälter. Den kleinen Marder darin entdeckt man erst auf den zweiten Blick – eingelegt in Polyethylenglykol, einer Substanz für Konservierung.

So ungewöhnlich der Arbeitsplatz, so außergewöhnlich ist der Job von Martin Unruh, dem einzigen Tierpräparator am Universalmuseum Joanneum. „Das Aufgabengebiet ist enorm vielfältig“, erklärt Unruh. „Tierpräparatoren sind auch Verhaltensforscher, Metzger, Tischler, Bildhauer und noch einiges mehr. Deshalb die vielen unterschiedlichen Werkzeuge und Materialien.“

2-3 Mio. € zahlen Sammler für Exponate ausgestorbener Tiere am freien Markt.

Als kleiner Junge wollte er Tierarzt, Förster oder Biologe werden, doch dann kam Gorilla Bobby: „Er ist eines der bekanntesten Tierobjekte aus dem Naturkundemuseum in Berlin und war für mich der Auslöser, weil er mich in seiner Lebendigkeit sehr beeindruckte.“

Nach der Matura in Gera – Martin Unruh stammt aus Thüringen – absolvierte er eine Ausbildung als Tierpräparator im Landesmuseum Hannover und ging anschließend ans Universalmuseum Joanneum nach Graz. Dort ist er Herr über rund eine Million Tierobjekte aus der naturkundlichen Sammlung: Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel und Spinnen – alle wichtigen Tiergruppen sind da.

Das älteste Exponat ist ein über 200 Jahre alter Koala, der im Naturkundemuseum im Grazer Joanneumsviertel ausgestellt ist. Der jüngste Zuwachs liegt noch im Kühlschrank. Martin Unruh wickelt das Päckchen aus: „Ein Steinkauz aus dem Ennstal und eine winzige Sensation, weil er dort als ausgestorben galt.“ Apropos: Die ausgestorbenen Tiere sind die wertvollsten Exponate in der naturkundlichen Sammlung des Universalmuseums Joanneum. „Der Riesenalk zum Beispiel, das ist ein ausgestorbener Verwandter des Pinguins. Oder der Lappenhof, ein ausgestorbener Vogel aus Neuseeland. Das sind die Picassos unserer Sammlung“, so Martin Unruh. „Wären diese Tierexponate am freien Markt, würden Sammler dafür zwei, vielleicht sogar drei Millionen Euro zahlen.“ Ebenfalls von hohem Wert sind die weltweit zweitgrößten Hauer eines Nilpferds: „Die sind circa 15 Kilogramm schwer, ein privater Sammler hat sie dem Joanneum geschenkt.“

1 Million Tierobjekte befinden sich in der naturkundlichen Sammlung des Universalmuseums Joanneum.

Am Beginn der Laufbahn von Martin Unruh als Tierpräparator stand jedoch ein Vogel: „Mein Lehrer in Hannover hat vor mir einen Mäusebussard abgezogen und am nächsten Tag habe ich es selbst gemacht.“ Dass sein erstes Mal ein Mäusebussard war, ist kein Zufall gewesen: „Der Vogel eignet sich gut für die ersten Versuche, weil er nicht zu klein und nicht zu groß ist. Außerdem macht seine Haut viel mit, sie ist belastbar und verzeiht Fehler.“ Aufpassen hingegen muss man bei den kleinen Vögeln wie Tauben oder Schnepfen: „Ihre Haut ist wie nasses Seidenpapier. Ein falscher Griff und sie reißt ein.“

Heute arbeitet Martin Unruh am liebsten mit marderartigen Säugetieren: „Marder, Fischotter, Iltis und solche Kandidaten – die interessieren mich, weil sie im Gegensatz zum Vogelgesicht eine Mimik haben und es eine Herausforderung ist, ihre Körperhaltung zu imitieren.“ Mit der Haltung beginnt die Präparationskunst überhaupt. Martin Unruh erklärt warum: „Bevor man die Haut aufschneidet, muss man wissen, ob das Objekt später liegt, steht oder sitzt. Dementsprechend setze ich den Schnitt.“

Das Aufschneiden ist jedes Mal ein spezieller Moment: „Als Routine würde ich es nicht bezeichnen. Man sollte Respekt und Hochachtung vor dem Tier nicht verlieren.“ Grausig findet er den Vorgang nicht: „Wenn man sauber arbeitet, kommt man mit den Innereien nicht in Verbindung. Eine Schweinerei wird es halt, wenn man das Skelett verarbeiten will, das tut keiner gern. Aber richtig ekelig wird’s nur, wenn Fehler passieren.“ Wie bei dem Eisbären, den Martin Unruh während seiner Ausbildung präparieren sollte und dessen Einfrierprozess nicht optimal lief: „Bis ein ausgewachsener Eisbär durchfriert, vergeht eine gute Woche und ein paar Tage war er davor schon unterwegs. Als wir ihn aufgeschnitten haben, war er dunkelgrün. Von dem hat das ganze Museum etwas gehabt“, erinnert er sich, „aber dann schmiert man sich eine Paste in die Nasenlöcher, die auch Pathologen verwenden. Dann stinkt’s nicht mehr nach Eisbär, sondern nach Eukalyptus.“

Foto: Oliver Wolf

Foto: Oliver Wolf

Beim Fischotter, den er für die aktuelle Ausstellung des Naturkundemuseums „SEXperten. Flotte Bienen, tolle Hechte“ präpariert hat, passierte das nicht. Einen neuen Körper bekam der Fischotter trotzdem. Martin Unruh dazu: „Kleine Tiere kann man im Originalzustand erhalten und mit einer wachsähnlichen Flüssigkeit komplett durchtränken. Bei größeren Tieren funktioniert das nicht, sie erhalten einen künstlichen Körper.“ Dafür fertigt er ein Modell im Maßstab 1:10 an und modelliert danach in mehreren Arbeitsschritten einen künstlichen Körper aus Gips oder Kunststoff.

Die Haut samt Haaren bearbeitet er in einem parallel laufenden Prozess: „Sie wird zweimal eingeweicht und zweimal gewaschen. Bindegewebe und Muskelfasern müssen runter und das Fett muss aus Haut und Knochen raus. Das ist wichtig, denn wenn die Entfettung nicht komplett abgeschlossen ist, wird das Tierpräparat mit der Zeit mürbe, bröselt, zerfällt und wird ein Fall für den Staubsauger.“ Bevor er die Haut auf den künstlichen Körper zieht, setzt Martin Unruh die Glasaugen ein: „Der Vorgang ist sehr anspruchsvoll, weil die Augen viel zur Mimik beitragen.“

Damit Gesichtsausdruck und Körperhaltung natürlich wirken, studiert er Tierfotos und -videos und ist viel in der Natur unterwegs: „Ein Präparat ist gelungen, wenn man das Wesen eines Tieres glaubhaft eingefangen hat“, findet er, „dafür muss man dessen Lebensraum kennen und sich für Tiere interessieren.“ Dass sie nur im leblosen Zustand in seiner Werkstatt landen, stört ihn nicht: „Lebend sind sie mir lieber, aber wenn sie schon mal tot sind, kann man ja auch was mit ihnen machen.“ Und das dauert – je nach Tiergröße und Präparationsaufwand: „Wenn man alles selbst macht – von der Herstellung eines Körpers bis zur Hautkonservierung – braucht man für einen Fischotter circa drei Wochen.“

Zum Abschluss baut Martin Unruh noch das Diorama, eine Art Bühnenbild für das Tierexponat im Museum: „Es ist ein Ausschnitt des natürlichen Lebensraums, zum Beispiel eine Wiese mit Gräsern oder Felsen und Steine oder Baumäste.“ Letztere nimmt er gern von seinen Wanderungen in die Werkstatt mit: „Das ist wie Schwammerlsuchen für mich.“

Martin Unruh, geboren 1976 in Gera/Thüringen, ist der einzige Tierpräparator am Universalmuseum Joanneum. Foto: Oliver Wolf

Martin Unruh, geboren 1976 in Gera/Thüringen, ist der einzige Tierpräparator am Universalmuseum Joanneum. Foto: Oliver Wolf

Nomen ist bei Martin Unruh kein Omen, denn mit Unruhe kommt man bei der Präparationskunst nicht weit: „Man braucht völlige Ruhe und Geduld und muss am Objekt dranbleiben können.“ Dabei hilft das wichtigste Werkzeug des Tierpräparators: „Die Kaffeemaschine. Ganz klar.“ Ohne Feinmotorik geht aber auch nichts: „Mein bestes Werkzeug sind meine Hände. In ihnen liegt der Erfolg.“ Ein Erfolg, für den es keine Garantie gäbe. „Manchmal gewinnt das Tier und man verliert. Es ist immer ein Kampf mit dem Präparat, weil es mir darum geht, ständig besser zu werden. Und wenn man das erreichen will, muss man sich ständig hinterfragen. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man alles schaffen kann, wenn man will. Das ist der wahre Erfolg.“

Der Beitrag wurde ursprünglich im Oktober 2017 in Ausgabe 08 von Spirit of Styria veröffentlicht.

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