GrabbüsteAntonius Wolfrath, Wiener Stephansdom, Foto: Dr. Reinhard Gruber

30. Juli 2012 / Ulrich Becker

Ein Strippenzieher in Zeiten des Krieges

Alte Galerie

Zur mutmaßlichen Porträtbüste von Antonius Wolfrath in den Beständen der Alten Galerie

Entdeckungen und Neuzuschreibungen gehören zu den kleinen Freuden eines Museumskurators. Sie spielen sich zumeist buchstäblich im Verborgenen ab, jenseits der Schausammlungen und des Ausstellungsbetriebs. Nur zu oft finden sich in öffentlichem Besitz historisch relevante Objekte, die dem Forscher Rätsel aufgeben, zumal sie nicht immer zu den attraktivsten gehören. Umso schöner, wenn ein namenloses Stück plötzlich eine Identität gewinnt und dem Kurator – wie dann auch dem Besucher – mitunter eine spannende Geschichte aus der Vergangenheit erzählen kann.

Einem solchen Geheimnis ist die Alte Galerie seit einiger Zeit auf der Spur. 1886 wurden für das Joanneum zwei barocke Büsten erworben, die hohe Geistliche darstellen und amtstypische Kopfbedeckungen tragen: ein Birett (Inv.-Nr. P 139) bzw. eine Mitra (Inv.-Nr. P 140).

Zwar ist die künstlerische Qualität beider Bildwerke eher durchschnittlich, doch repräsentieren sie eine allgemein- wie kulturgeschichtlich äußerst bewegte Zeit, und darin lag wohl auch das Hauptkriterium für ihre Erwerbung vor rund 125 Jahren.

links: Holzbüste eines Klerikers (Wiener Bischof), Foto: UMJ / N. Lackner
rechts: Holzbüste, wahrscheinlich Antonius Wolfrath, Foto: UMJ / N. Lackner

Während die zweite Büste noch der Identifizierung harrt, ist von erstgenanntem Bildwerk mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass sie eine politische Schlüsselfigur aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges darstellt: Antonius Wolfrath (1582-1639), u.a. Abt von Kremsmünster und schließlich Fürstbischof von Wien.

Die Ähnlichkeit mit der Grabbüste Wolfraths im Wiener Stephansdom (1639) führte auf diese Spur. Unklar ist die ursprüngliche Funktion der beiden Büsten. Die jüngste Reinigung (Dipl.-Rest. Dr. P.-B. Eipper) erbrachte, dass sie 1886 einmal zur Raumausstattung des Wiener Unterrichtsministeriums gehört hatten.

Rückseit der Skulptur nach der Reinigung (Inv.-Nr. P 140), Foto: UMJ / N. Lackner

 
Noch ältere, rückseitig eingetiefte Nummerierungen ergaben, dass sie einem Zyklus (wohl von Wiener Bischöfen) angehörten, wie er sich auch am Chorgestühl im Stephansdom in intakter Form findet. Vielleicht haben sie sich im heutigen Erzbischöflichen Palais befunden, dessen Ausbau Wolfrath maßgeblich vorangetrieben hat.

Erstaunliche Karriere

Antonius Wolfrath, Sohn eines Kölner Schneiders, erinnert in vielem an seinen berühmten Zeitgenossen Hans Ulrich von Eggenberg, er kann fast als dessen geistliches Gegenstück gelten. Wie dieser von hoher ökonomisch-politischer Begabung, durchlief Wolfrath ungeachtet seiner bescheidenen Herkunft eine erstaunliche Karriere, die ihm 1620 die Stellung eines „Hofkammerpräsidenten“ eintrug. Er war damit zentraler Finanzberater Kaiser Ferdinands II. und krönte seine Laufbahn mit der Wiener Bischofswürde – nur der Kardinalshut blieb ihm verwehrt. Das wichtigste und größte deutsche Nachschlagewerk der Barockzeit, Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon der Wissenschafften und Künste (Leipzig 1731-1754, Band. 58, Spalten 1256-1257) würdigt Wolfraths Talent ausdrücklich und betont, dass er von „den allergeheimdesten und vornehmsten Geschäfften“ Kenntnis gehabt habe. Also ein „Strippenzieher“ ersten Grades.

Übrigens hat Wolfraths geistliche Laufbahn, die mit dem Eintritt in den Zisterzienserorden begann, auch die Steiermark berührt, bevor er in Wien ins Zentrum der Macht aufstieg. Nicht weit von Graz, in Gratwein, bekleidete er eine kleine Pfarrstelle, wurde später Abt von Wilhering/OÖ, bevor er zum  Benediktinerorden überwechselte. Als Abt von Kremsmünster/OÖ entfaltete er sein wirtschaftliches Talent, als „Finanzabt“ sollte er bald zum innersten Machtzirkel um Kaiser Ferdinand II. gehören.

Und hier wächst sich die ohnehin schon eindrucksvolle Vita Wolfraths zu einer echten Kriminalgeschichte aus (die Zedlers Lexicon diskret übergeht), so wie es zu einer kriegserfüllten, an Ränken nicht eben armen Zeit gut passt:

Angesichts der Bedrohung durch den Schwedenkönig Gustav Adolf war des Kaisers Feldherr, Albrecht von Wallenstein, noch im April 1632 mit unumschränkter Kommandogewalt ausgestattet worden, nicht zuletzt auf Betreiben Wolfraths. Nun aber zögerte der „Generalissimus“ auffallend lange, was in Wien als Vorbereitung zum Verrat gedeutet wurde. Anfang 1634 empfahl derselbe Wolfrath – mittlerweile Reichsfürst und  Fürstbischof von Wien – den Sturz des Titanen, die Absetzung des zu mächtig Gewordenen, der bald darauf in Eger ermordet wurde. Also ein echtes düsteres Drama, das Golo Mann in seiner Wallenstein-Biographie (1971) eindringlich geschildert hat.

Darüber sollte aber Wolfraths geistliche Seite nicht vergessen werden: Sein Bischofsamt hat er sehr ernst genommen und sich aktiv um die Verbesserung der Zustände in seiner Diözese bemüht. Mit den Schalthebeln der Macht wohl vertraut, wusste er als Kind des Barockzeitalters nur zu sehr um die Endlichkeit allen menschlichen Tuns und Treibens. So bezeugt es die Inschrift auf Wolfraths Grab im Wiener Stephansdom, die zusammen mit der Porträtbüste sein Nachfolger in Auftrag gab:

Fui Abbas Episcopus Princeps. Sum Pulvis, Umbra, Nihil (Anno M.DC.XXXIX)  Abt war ich, Bischof, Fürst. Nun bin ich Staub, Schatten, Nichts (1639).

Kategorie: Alte Galerie
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