Ausstellungsansicht Volkskundemuseum, © UMJ N. Lackner

2. August 2012 / Christoph Pelzl

Tour de Joanneum: Volkskundemuseum Graz

Volkskundemuseum

Viktor von Geramb – der die Volkskunde als wissenschaftliche Disziplin in Österreich etablierte und den ersten Lehrstuhl dieses Faches an der Karl-Franzens-Universität Graz innehatte – gründete im Jahr 1913 die volkskundliche Abteilung am damaligen Landesmuseum Joanneum, die seitdem im Volkskundemuseum in der Grazer Paulustorgasse 11-13a untergebracht ist.

Das Museum befindet sich im ehemaligen Kapuzinerkloster aus dem frühen 17. Jahrhundert und dokumentiert mit seiner Sammlung die materielle und geistige Volkskultur der Steiermark.

In den 1930er-Jahren wurde ein Neubau an das historische Klostergebäude angeschlossen, in dem zusätzliche Ausstellungsräume, der Trachtensaal und eine sogenannte „Gerätehalle“ eingerichtet wurden – in Letzterer wurde zunächst eine Typologie der Ackergeräte gezeigt, 2003 wurde sie zu einem Raum für Sonderausstellungen umgestaltet.

Volkskundemuseum, © UMJ N. Lackner

Die Volkskundliche Sammlung umfasst heute rund 51.000 Objekte aus den Bereichen Andachtsgrafik, Textil/Tracht, Populärmagie/Aberglaube, Ritual/Glaube, Keramik, Möbel und Alltagskultur nach 1945. Es überwiegen Zeugnisse aus vorindustrieller Zeit, was den ursprünglichen Fokus dieser Institution auf den bäuerlichen Lebenszusammenhang illustriert. Die lebendige und kritische Auseinandersetzung mit Fragen der historischen und gegenwärtigen Volkskultur hat den Schwerpunkt der Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlagert: Heute konzentriert sich das Volkskundemuseum mit seiner Sammlung vor allem auf aktuelle Tendenzen des Alltagslebens.

Ausstellungsansicht Volkskundemuseum, © UMJ N. Lackner

Im Jahr 1986 machte der dringende Sanierungsbedarf eine Schließung des Museums notwendig, bis das Haus 2003 – 90 Jahre nach seiner Gründung – wiedereröffnet wurde und in seiner Dauerausstellung fortan die drei grundlegenden Schutzfaktoren im Leben des Menschen in den Vordergrund rückte: Wohnen, Kleiden, Glauben. Der Bereich „Wohnen“ wurde um eine originale Rauchstube angeordnet, die Viktor von Geramb bereits 1914 aus der Weststeiermark in das Museum übertragen lies.

Rauchstube im Volkskundemuseum, © UMJ

Der 1938 ebenfalls vom Museumsgründer gestaltete Trachtensaal mit 42 lebensgroßen Holzfigurinen der Künstler Alexander Silveri und Hans Mauracher wurde ebenfalls als historisches Element in den neuen Ausstellungsrundgang mit einbezogen. In der Umsetzung eines wissenschaftlichen Konzepts aus den 1930er-Jahren wird hier die Entwicklung der Tracht von der Urgeschichte bis ins frühe 20. Jahrhundert dargestellt.

Altbauer mit Schirm, Foto: UMJ

Volkskunde neu

Im Herbst 2008 erfolgte eine Überarbeitung der Dauerausstellung, wobei die bereits 2003 definierten Themenschwerpunkte noch pointierter dargestellt wurden. Die vielgestaltigen Beziehungsgeflechte innerhalb der Ausstellung repräsentieren die Vielfältigkeit moderner Lebenskonzepte und die Ausformungen menschlicher Kreativität. Die „Dinge des Alltags“ werden nicht nur ausgestellt: Die Art und Weise, wie sie gelesen, verstanden oder (nicht mehr) verwendet werden können, erklären in ihrer Gesamtheit unser kulturelles Leben – und das Museum hilft durch gezielte Vermittlung, die „Sprache“ jener Objekte verständlich zu machen, die aufgrund ihrer Bedeutung für den Menschen Eingang in die Volkskundliche Sammlung fanden.

In kulturhistorischen Museen lagern zuweilen Dinge, deren Entschlüsselung als kulturelles Zeugnis der Wissenschaft Rätsel aufgeben. Als kryptografische Codes liegen deren Zeichen offen da, Material und Techniken können bestimmt werden, Sachbezüge und Querverweise lassen sich herstellen, Symbole dechiffrieren – doch Funktion und Bedeutung des Objekts eröffnen sich dennoch nicht.

Männerjacke, Steiermark, 19. Jahrhundert, Loden
Foto: Nicolas Lackner, Universalmuseum Joanneum

Am Beispiel eines Männerrocks, der 1923 dem Museum geschenkt wurde, führt das Volkskundemuseum hinter die Kulissen seiner alltäglichen Arbeit. Wie in einer Detektivgeschichte lassen die Wissenschaftlerinnen des Museums alle Register der volkskundlichen Recherche anhand dieses Stücks spielen und verweisen auf die Vielstimmigkeit der Sprache der Dinge. Das Publikum ist eingeladen, Pfade im Dschungel der Deutungsmöglichkeiten zu finden.

Eine umfassende Fachbibliothek mit rund 14.000 Einzelbänden sowie 80 laufenden Fachzeitschriften, Periodika und Publikationsreihen bietet eine Vielzahl an Informationen für Fachrecherchen, das angeschlossene Archiv enthält reichhaltiges Quellenmaterial zur steirischen Volkskultur sowie ein Bildarchiv mit rund 22.000 Farbdiapositiven sowie ca. 10.000 Schwarzweiß- und Farbfotos vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

St. Antonius Kirche, Foto: N. Lackner, UMJ

Die ebenfalls zum Volkskundemuseum gehörende Kirche St. Antonius von Padua („Antoniuskirche“) wurde 1602 geweiht. Zu ihrer barocken Ausstattung zählen Werke von Giovanni Pietro de Pomis, Hans Adam Weissenkircher und Johann Veit Hauckh.


 

Volkskundemuseum
Paulustorgasse 11-13a, 8010 Graz
volkskunde@museum-joanneum.at
T +43-316/8017-9881

Öffnungszeiten:
1. März bis 30. November:
Mi–Fr 16-20 Uhr
Sa, So, Feiertag 14-18 Uhr
Dezember bis Februar geschlossen

Der Besuch des Volkskundemuseums ist für Gruppen und Schulklassen von März bis November jeweils von Montag bis Freitag auch außerhalb der Öffnungszeiten nach Voranmeldung mit Führung möglich.

Kategorie: Volkskundemuseum
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