Krakau am ersten Tag, Foto: Elisabeth Schlögl

23. Mai 2017 / Elisabeth Schlögl

Blog 4 aus Łódź

Kunsthaus Graz

Die letzte Woche war sehr abwechslungsreich. Ich habe an drei unterschiedlichen Workshops im MS2 teilgenommen, eine Performance in einem ehemaligen Sportzentrum erlebt – und ich war drei Tage in Krakau.

Bei einem der Workshops lernte ich die Jugendlichen kennen, die gemeinsam mit Agnieszka und Leszek die „Museum as a Toolbox“-Ausstellung Find Art  erarbeiteten. Die Gruppe von 15- bis 17-Jährigen erklärte mir anhand eines Modells die Idee und den Aufbau der Schau. Drei Sätze, die mit einem zeitgenössischen Museum der Zukunft in Verbindung stehen und die anhand des Artist-in-Residence-Workshops mit Aldo Giannotti  im Mai 2016 entstanden sind, bilden die Ausgangssituation:

„Finde Kunst. – Der Moment, an dem (m)ich Kunst berühren kann. – Wenn zeitgenössische Kunst historisch wird.“

Wir sprachen über die Auswahl der Arbeiten aus der Sammlung des MSL, über Ausstellungsbeschriftung, was ein Wandtext für das Publikum sein kann, wer wann welche Führung durch die Ausstellung macht, wie der Folder zur Ausstellung aussieht und was wer zur Eröffnung anziehen wird ;). Die Gruppe ist toll, voll motiviert und versteht sich so gut, dass die Jugendlichen vorhaben, im Sommer eine Woche am Meer in Gdańsk (Danzig) zu verbringen – als Belohnung für die zwei Jahre dauernde (unentgeltliche!) Arbeit an diesem Projekt.

Was ich bei allen drei Workshops erfahren durfte, war eine ungeteilte Aufmerksamkeit und Wertschätzung für das Gegenüber, die Freude am Miteinander und an der Kunst.

Workshop für Babys?

Marta und Kasha, zwei Kolleginnen von Leszek, haben mich an zwei Workshops für Babys und Kindergartenkinder im MSL teilnehmen lassen. Was machen Babys in einem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst? Sie lernen Formen, Farben und Dimensionen kennen. Ich war so angetan von den Kindern, ihrer Neugierde und Aufgeschlossenheit, und so vertieft in den Moment, dass ich ganz aufs Fotografieren vergessen habe, um hier zeigen zu können, wie das ausgesehen hat. Deswegen versuche ich es mit Wortskulpturen à la Erwin Wurm:

x) Barfüßiges fünfjähriges in Rosa gekleidetes Mädchen moonwalkt in blauer, gelber und violetter Soße.

oder

x) Fünfundzwanzig Vierjährige, auf braunem Backpapier sitzend, schmieren pampiges Gold, Silber, Blau, Violett, Pink und Gelb.

Form und Inhalt

Ums „in Form sein“ ging es auch bei der Performance und Ausstellungseröffnung von Grzegorz Demczuk, einem Studienabgänger der Kunstakademie in Łódź. In einem aufgelassenen Sportzentrum mitten in der Stadt wiederholte er nonstop am Laufband den Satz: „Die Form hat nichts mit dem Inhalt zu tun.“

In einer Umkleidekabine sah ich ein Video, in dem er mit einem Strohhalm eine Wasserball-Weltkugel austrank, gleichzeitig hörte ich das zwei Räume weiter laufende Video, in dem er in einer Badewanne liegt, in die Wasser einläuft und er im Loop den Satz: „Die globale Erderwärmung hat nichts mit mir zu tun“ so lange wiederholt, bis sein Kopf vollständig vom Wasser umgeben war.

Live performte er im Sportzentrum vor dem Schwimmbecken, dessen Wasser nach der Schließung nicht ausgelassen wurde und nun eine malerische Kulisse bildete für Grzegorz Demczuk, dem man stundenlang (ich war zwei Stunden dort!) beim Aufblasen einer nicht voll zu kriegenden Luftmatratze zuschauen konnte. Ausdauernd, meditierend und stoisch durchlebt er Situationen, die für Außenstehende sinn- und formlos erscheinen. Seine Motivation? Er verhandelt den Begriff Kondition, so der Ausstellungstitel.

Zur Hochform in Krakau

In Krakau war ich dann in Hochform – der Frühling, so scheint es, hat nun auch Polen erreicht. Ich verbrachte drei Tage in der heimlichen Hauptstadt des Landes. Am ersten Tag war ich hin und weg vom sonnigen warmen Wetter, der malerischen Altstadt, der schönen Weichsel, die sich schlangenförmig durch die Stadt zieht und die Altstadt vom jüdischen Viertel trennt.

Am zweiten Tag besuchte ich das MOCAW, Museum für zeitgenössische Kunst in Krakau, und Schindler’s factory – die ehemalige Emailfabrik von Oskar Schindler, der während des Holocausts im Zweiten Weltkrieg 1.200 Juden das Leben rettete, weil er sie weiterhin in seiner Fabrik arbeiten ließ.

Heute sieht man in der Fabrik eine Ausstellung mit dem Anspruch, die Geschichte des Holocausts in Polen und Krakau aufzuarbeiten.

Die beiden Ausstellungshäuser sind unmittelbare Nachbarn. Es war wieder ein Regentag, dementsprechend gut besucht waren sie an diesem Tag von Touristen, die in Scharen mit Golfcaddies von der Altstadt ins ehemalige jüdische Viertel chauffiert wurden. Ich ging 30 Minuten zu Fuß.

Die aktuelle MOCAW-Ausstellung Art in Art  zeigt Kunst des Kunstwillens wegen – „alte“ Kunst wird von „jungen“ Künstlerinnen und Künstlern zitiert, ironisiert, neu inszeniert, interpretiert, wiederholt und durch den Kakao gezogen. Kunst über Kunst über Künstler/innen über Kurator/inn/en über Rezipient/inn/en über Museen über Insitutionen über Kunst über Kunst über Künstler/innen über …

Schindler’s factory

In Schindler’s factory wird in einer beengenden Ausstellungsarchitektur an die Zeit von 1938 bis 1945 in Krakau erinnert. Es gibt einen Eingang, eine Richtung, in die man gehen kann, und einen Ausgang. Ich sah Miniaturpanzer, alte Straßenbahnen, Zugwaggons, mit denen Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht wurden.

Ich ging über Schotterböden mit Steinen aus den Steinbrüchen, in denen Juden arbeiten mussten, deren Arbeit an den Tapetenwänden anschaulich wird.

Ich schlängelte mich an zahlreichen Schulklassen vorbei, die von monoton Vortragenden durch die Ausstellung geschleust werden und alles anfassten, drückten, kurbelten, abspielten, was die interaktive Mitmach-Ausstellung anbot. Ich verbrachte 20 Minuten in Schindler’s factory, weil ich nicht schneller rauskonnte, und war zunächst sprachlos darüber, wie hier mit der Vergangenheit und diesen Inhalten umgegangen wird. Partizipation: gut, Interaktion: auch gut, Unmittelbarkeit: super – aber im Kontext dieser Geschichte?

Łódź und die NS-Zeit

In Łódź ist die NS-Vergangenheit heute kaum sichtbar. Łódź wurde im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört, die Deutschen fühlten sich sehr wohl in „ihrer“ Stadt – schon um die Jahrhundertwende waren hier zahlreiche deutsche Industrielle beheimatet. Nach dem Krieg und nach der kommunistischen Zeit in Łódź knüpfte man direkt an die Geschichte der letzten Jahrhundertwende an. Heute investieren wieder deutsche und französische Konzerne in Łódź und schaffen Shopping- und Popkulturzentren.

Was heute noch an die jüdische Vergangenheit und das deutsche „Litzmannstadt´“ erinnert ist der jüdische Friedhof und das Marek Edelmann Dialogue Center in Bałuty. Das 2011 errichtete Gebäude dient dem Dialog aller (ehemaligen) Kulturen in Łódź: Juden, Russen, Deutsche und Polen. Derzeit werden in einer Ausstellung zehn Überlebende des Litzmannstadt-Ghettos vorgestellt. Sie erzählen von Alltäglichem in Łódź vor und während des Kriegs, stellen ihre Kinder, Enkel und Urenkel vor und pflanzten bei der Eröffnung der Ausstellung einen Baum im umlegenden Survivors Park. Trees of Remembrance.

Ich verbrachte ehrlich schöne drei Stunden in diesem Gebäude, im umliegenden Park und dem nahegelegenen jüdischen Friedhof, und ich war anschließend alles andere als deprimiert oder verstört, sondern tief berührt von den harten, aber hoffnungsvollen und zu meiner Überraschung humorvollen Geschichten und Bildern.

Lesen Sie auch von der Autorin:

Futsch in Łódź 

Blog aus Łódź Nr. 2: Im Gespräch mit Marta Madejska

Blog aus Łódź Nr. 3: Interview mit Agnieszka Wojciechowska-Sej und Leszek Karczewski

Die Kunsthaus Mitarbeiterin Elisabeth Schlögl ist im Mai 2017 “unsere Frau” in Łódź, Polen. Der translocal-Partner Muzeum Sztuki w Łódźi stellt ihr für einige Wochen eine Unterkunft und einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Was sie hier macht und was ihre Motivation war, nach Łódź zu kommen, erfährt ihr in ihren Blogbeiträgen.

 

 

Kategorie: Kunsthaus Graz
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