Erwin Wurm
Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach
24.03.-20.08.2017
Über die Ausstellung
Eine Ausstellung von Erwin Wurm (*1954 in Bruck an der Mur) im Kunsthaus Graz bedeutet nicht, das Werk dieses wohl renommiertesten österreichischen Gegenwartskünstlers retrospektiv zu zeigen. Vielmehr wird in diesem Zusammenhang das Gebäude selbst die Rolle eines Generators einnehmen und aktiver Bestandteil des Geschehens sein.
In Wurms Werk zeichnen sich bis heute wesentliche Entwicklungslinien von Skulptur im 20. und 21. Jahrhundert ab – über das Objekt zur Handlung und weiter zur Bildwerdung, im Wissen um eine zunehmende Mediatisierung von Welt. Auch der zunächst aus vielen künstlerischen Werken eliminierte Mensch kehrt wieder zurück – über das Performative kommt das Anthropomorphe erneut ins Spiel. Anwesenheit und Abwesenheit ziehen sich als Fragestellungen durch Wurms Werk, wobei gerade Absenzen (von Objekt und Mensch) die Kraft der Imagination stimulieren.
Die Ausstellung nimmt ihren Ausgangspunkt bei der offenen architektonischen Struktur des Kunsthauses. Elemente des Performativen, Partizipativen und der skulpturalen Setzung werden dabei zueinander und zum Haus in Beziehung gebracht. Dabei beginnen sich sowohl räumliche als auch zeitliche Strukturen potenziell aufzulösen und die Ausstellung zu verändern. Die satirische Kraft in Wurms Arbeiten ist groß, wodurch oft ein vergnüglicher Zugang zu seinen Werken hergestellt wird. Auch wenn es sich dabei um eine perfekt platzierte Falle handeln mag, ermöglicht diese für viele einen schnellen Einstieg ins Werk. Die Vielschichtigkeit und Komplexität der formalen Kraft von Erwin Wurms Werken steht in dieser Ausstellung jedoch im Vordergrund.
Das Künstlergespräch zum Nachhören
*1954 in Bruck an der Mur (AT), lebt und arbeitet in Wien und Limberg (AT)
Der gebürtige Steirer ist gemeinsam mit Brigitte Kowanz im Österreichischen Pavillon der diesjährigen Biennale von Venedig präsent.
Biografie des Künstlers


1973 Abitur in Graz
1974–77 Studium der Kunstgeschichte und Germanistik, Karl-Franzens-Universität Graz
1977–79 Studium der Kunst- und Werkerziehung (Bereich Bildhauerei) an der Hochschule für darstellende Kunst, Salzburg
1979–82 Studium Gestaltungslehre (Bereich Bildhauerei) an der Universität für angewandte Kunst, Wien (bei Prof. Bazon Brock)
1979-82 Studium Gestaltungslehre an der Akademie der bildenden Künste, Wien
1983 Sponsion zum Magister artium
1983 Assistentenstelle an der TU, Wien, Institut für plastisches Gestalten
1995 Gastprofessur an der Ecole des Beaux Arts, Paris (Bildhauerei)
1996/97 Gastprofessur an der Universität für industrielle und künstlerische Gestaltung (Klasse für Bildhauerei), Linz
2002–06 Professur an der Universität für angewandte Kunst, Wien / Institut für Kunst- und
Kulturwissenschaften – Kunstpädagogik
2007–10 Professur an der Universität für angewandte Kunst, Wien / Institut für Bildende
und Mediale Kunst, Abteilung Bildhauerei und Multimedia
Seit 2014 Mitglied des Österreichischen Kunstsenats
AUSZEICHNUNGEN
1984 Otto Mauer-Preis
1991 Kunstpreis der Wiener Allianz, 1991
1993 Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst
2004 Kunstpreis der Stadt Graz
2007 „Künstler des Jahres 2007“ (gewählt von der Zeitschrift KUNSTJAHR 2007. Die Zeitschrift die Bilanz zieht. Nr. 7, Lindinger + Schmid, Regensburg, Deutschland)
2013 Ehrenmitgliedschaft des ADC (Art Directors Club)
2013 Großer österreichischer Staatspreis
2014 Silbernes Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich
2015 Würdigungspreis des Landes Steiermark für bildende Kunst
MUSEALE PRÄSENZ
Erwin Wurms künstlerische Arbeiten wurden weltweit in 110 Einzelausstellungen in Museen
präsentiert. Werke in 64 musealen Sammlungen in 16 verschiedenen Ländern und
Beteiligung an über 1000 Gruppenausstellungen.
Rundgang für Eilige
Eine Kletterwand?

Wie fühlt es sich wohl an, auf ein Kunstwerk zu klettern? Was hier wie eine Kletterwand aussieht, ist die Vergrößerung eines Kunstwerks von Josef Pillhofer: Pillhofers Figur ist nur etwa 60 Zentimeter groß, während Erwin Wurms Version stolze vier Meter misst. Was Pillhofer in edler Bronze gegossen hat, führt Erwin Wurm in billigem Styropor aus. Zusätzlich versieht er das Ganze mit Klettergriffen.
Das Kunstwerk sieht nun aus wie ein Ding, das wir nicht in einer Kunstausstellung erwarten, sondern eher auf dem Spielplatz. Wir sehen: Kunst ist nicht zwangsläufig todernst. Tatsächlich hinaufklettern können wir hier zwar nicht, doch die Vorstellung ist zumindest vergnüglich.
Ein riesiger Pullover?

Das Kunsthaus Graz erinnert an ein Lebewesen: Es hat eine natürliche Form, seine blauen Platten werden „Außenhaut“ genannt und das graue Drahtgeflecht im Inneren ist seine „Innenhaut“. Nun hat es auch einen Pullover. Erwin Wurm ließ für den Ausstellungsraum Space01 einen rund 40 Meter langen Wollpullover anfertigen: den Weltraumschwitzer – auf Englisch: Space Sweater. Wie ein großer Vorhang unterteilt er den Raum. Schon als leere Hülle ist er riesig – wir können uns nur ausmalen, wie groß er in „befüllter“ Form wäre. Ist er das passende Kleidungsstück für eine Welt, in der allein das Gigantische und Mächtige zählt?
Menschen auf Podesten?

Auf den Podesten sind keine Skulpturen zu sehen. Sie müssen erst entstehen – und zwar in Ihrer Fantasie! Die Personen auf den Podesten sagen Sätze wie: „Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“ oder „Über ein Bett gehen und dabei einsinken wie im Schnee und eine Spur hinterlassen“. Was sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge, wenn Sie diese beschreibenden Sätze hören? Die Skulptur beginnt in Ihrer Vorstellung zu existieren.
Eine Figur mit Wurstsemmel?

Kann Kunst über sich selbst lachen? Erwin Wurm bringt Kunstwerke in merkwürdige Situationen: Auf Fritz Wotrubas Liegender Figur hat er etwa eine Wurstsemmel mit Gurkerl abgelegt. Wotruba hat den menschlichen Körper mit einfachen Formen dargestellt. Er selbst war ein unerbittlicher Lehrer. Die Wurstsemmel soll nun der Skulptur ihre Strenge nehmen.
Lampen?

Treten Sie selbst in Aktion! Wenn Sie Erwin Wurms Anweisungen Folge leisten, werden Sie selbst Teil seiner Lampenskulpturen. Sie begeben sich dabei in eine eigenartige Situation. Ist es peinlich, seltsame Dinge im Namen der Kunst zu tun?
Erwin Wurm schafft seine Skulpturen nicht, damit sie Jahrhunderte überdauern. Sie bestehen oft nur ein paar Minuten lang. Auch eine Handlung kann so zur Skulptur werden.
Eine Gurke mit Tür?

Kann ein Essiggurkerl einschüchternd sein? Erwin Wurms Arbeit Der Gurk ist aus wertvoller Bronze gegossen, hat eine stattliche Größe von über vier Metern und wiegt 445 Kilogramm. Trotzdem nötigt sie uns keine Ehrfurcht ab, sondern bringt uns eher zum Schmunzeln. Das Essiggurkerl ist typisch für die österreichische Winterküche: Gab es früher während der kalten Jahreszeit kein frisches Gemüse, war man auf eingelegte Gurken und ähnliches angewiesen. Bis heute ist das Essiggurkerl aus dem österreichischen Alltag kaum wegzudenken.
Auch Robert Rauschenberg hat den Alltag in seine Kunst eingebettet: Seine Arbeit Door ist aus schlichtem Karton gebaut. Erwin Wurm ließ sie mit einem Transportgurt an seine eigene Arbeit anbinden. Er fügte zwei Kunstwerke zu einem neuen zusammen. Beide stehen nun nicht mehr für sich allein: Ergänzen sie oder stören sie einander?
Aus dem Programm
Di 28.03.
15:00-16:00
Führung, Schule> Kunsthaus Graz
Führung, Schule
> Kunsthaus Graz
Fr 21.04.
BIG WIRBEL 2017. Strich und Faden
Veranstaltung> Kunsthaus Graz
Veranstaltung
> Kunsthaus Graz
Fr 21.04.
17:00-20:00
BIG WIRBEL zum Mitdenken und Mitreden. Was ziehe ich an?
Veranstaltung, Vortrag> Kunsthaus Graz
Veranstaltung, Vortrag
> Kunsthaus Graz
Fr 05.05.
Galerientage 2017. Aktuelle Kunst in Graz
Veranstaltung> Kunsthaus Graz
Veranstaltung
> Kunsthaus Graz
Fr 05.05.
assembly goes Kunsthaus Graz. Eröffnungsmodenschau und Verkaufsausstellung
Veranstaltung> Kunsthaus Graz
Veranstaltung
> Kunsthaus Graz
Bildergalerie
Der Kurator über die Ausstellung
"So ist die Ausstellung im Kunsthaus Graz keine künstlerische Leistungsschau im herkömmlichen Sinn, in der Erlesenes zur Präsentation kommt, sondern ein Experiment, das der Künstler dankenswerterweise bereit war einzugehen. Die bisher in der Arbeit von Erwin Wurm nicht wesentlich vorkommende Auseinandersetzung mit der Architektur, die konsequente Weiterführung der One Minute Sculptures durch eine weitere Zuspitzung des Aspekts des Imaginären sowie die direkte Konfrontation der eigenen Vorstellungen mit Werken anderer Künstler – all das kann als Novität bezeichnet werden und gibt dieser Ausstellung einen so besonderen Stellenwert.
Der ursprüngliche Grund für diese Schau ist die Zuerkennung des „Würdigungspreises des Landes Steiermark für bildende Kunst“ 2015 an Erwin Wurm. Der Zeitpunkt für diese Ausstellung könnte kaum besser gewählt sein, befindet sich der Künstler doch gegenwärtig am vorläufigen Zenit seiner künstlerischen Entwicklung."
(Günther Holler-Schuster, Auszug aus der Ausstellungspublikation)
Von Wortskulpturen und One Minute Sculptures
Wortskulpturen 2017
Die Abwesenheit der Skulptur ist der „Nullpunkt“, an dem Erwin Wurms Überlegungen um und über skulpturale Aspekte des Lebens ansetzen. So erzählt etwa eine Serie aus den frühen 1990er-Jahren von Objekten, die einzig durch deren Umrisse, die sich auf staubigen Podesten abgezeichnet haben, sichtbar werden. Die Antwort auf die Frage, was da gestanden haben mag, bleibt der Vorstellungskraft der Betrachter/innen vorbehalten.
Einem ähnlichen Ansatz folgt Wurm auch in der Arbeit Wortskulpturen. Die Podeste im Ausstellungsraum, auf denen man Skulpturen erwarten würde, sind entweder mit Menschen besetzt oder leer. Wer sich den Personen nähert, erhält die verbale Beschreibung der Skulptur, die an ihrer Stelle zu sehen sein könnte: „Geruchsblock zieht mit einer Person durch das Zimmer“, „Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“, „Über ein Bett gehen und dabei einsinken wie im Schnee und eine Spur hinterlassen“, „Zweifel liegt auf Hoffnung, Hoffnung atmet aus“.
Die Sprache, der sich Wurm dabei bedient, liegt zwischen nüchtern beschriebenen Materialangaben und Poesie. Eine weitere Spitzfindigkeit liegt in dem Umstand, dass die Entmaterialisierung der Skulptur zum Text führt, während dieser wiederum das aufgelöste Material behandelt. Anders als in den One Minute Sculptures, für die Erwin Wurm Besucher/innen auffordert, eine Minute lang in teils absurd anmutenden Positionen zu verharren, wird Skulptur hier nicht durch körperliche Erfahrung erlebbar, sondern entsteht einzig und allein durch die Vorstellungskraft der Betrachtenden. Unter dem Titel tief Luft holen und Luft anhalten erscheint zu diesem Projekt ein Künstlerbuch, das 40 imaginierte Skulpturen umfasst.
(Auszug aus der Ausstellungspublikation)
Unser Tipp
Österreichischer Skulpturenpark
Fat Car von Erwin Wurm
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Presseberichte
"Kunst mit dem „normalen“ Leben zu verknüpfen, ist seit Langem Methode in Wurms Schaffen. Dinge des Alltags –vom Einfamilienhaus bis zum Essiggurkerl – nimmt der Künstler ernst wie Hervorbringungen von Künstlerkollegen."
Kleine Zeitung, Walter Titz, 24. März 2017
"Erwin Wurm porträtierte sich ja schon wiederholt als Gurke – immer mit dem Verweis, dass die Wurstsemmel mit Essiggurkerl bestimmend für sein Leben gewesen sei. Da also auch dieser "Gurk" ein Wurm ist, nennt sich die Doppelskulptur wie eine Speise im Gourmettempel: "Rauschenberg an Wurm"."
Erwin Wurm in Graz: Land der Berge und Skulpturen
Kurier, Thomas Trenkler, 27. März 2017
"Ein 40 mal 400 Meter großer rosafarbener Pullover, von dem eigentlich normal große Ärmel scheinbar winzig wie die eines aufgeblähten Babys in den Raum hängen. Wir vermuten, dass das Baby, das den Pulli einst getragen hat, mit einem Fatcar mit hellblauem Autodach auf der Flucht ist."
Erwin Wurm in Graz: Wurstsemmel und Wortskulpturen
Der Standard, Colette M. Schmidt, 25. März 2017
Kunsthaus Graz
Lendkai 1
8020 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9200
info@kunsthausgraz.at
Öffnungszeiten
Di-So, Feiertag 10 - 18 Uhr
Führungen
Termine finden Sie im Kalender oder nach Voranmeldung
Kunsthauscafé
Mo-Do 9-24 Uhr
Fr, Sa 9-2 Uhr
So 9-20 Uhr
Snackkarte
info@kunsthauscafe.co.at
T +43-316/714 957
Ausnahmsweise geschlossen:
>> Lesen Sie die Blogbeiträge mit Fotorückblick am Museumsblog
und
Erwin Wurm, Monika Holzer-Kernbichler und Günther Holler-Schuster im Gespräch
und
Feinkostabteilung Kunsthaus Graz
Diese Edition ist im Rahmen der Ausstellung entstanden:
Erwin Wurm
Es sind zwei Kataloge erhältlich: Publikation zu Erwin Wurm. Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach UND Künstlerbuch zu Erwin Wurm "tief Luft holen und Luft anhalten"