Foto: Barbara Steiner

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3. November 2016 / Barbara Steiner

Meine Reise nach Seoul

Kunsthaus Graz | Museumsalltag

Der Grund, nach Seoul zu reisen, war ein dreifacher: ein Workshop mit Jun Yang und Martin Rein-Cano (Topotek 1) im Auftrag des Goethe-Instituts Seoul, eine Buchpräsentation in der zeitgenössischen Kunstinstitution ArtSonje und ein Besuch bei der Künstlerin Haegue Yang.

Der Workshop

Bereits vor meiner Bestellung in Graz wurde der Workshop mit dem Goethe-Institut Seoul vereinbart. Konkret ging es um ein städtebauliches Projekt in HaeBangChon, einem Viertel in Seoul. Zusammen mit InYoung Yeo, der Leiterin des Space One, Professor Han von der Architekturfakultät und seinen Studierenden sollten wir verschiedene Optionen einer behutsamen Revitalisierung durchspielen, neue Wegführungen (vor allem zwischen zwei Parks) überlegen, aber auch auf die vorhandenen Qualitäten des Stadtteils achten. Die Verdrängung der jetzigen Bewohner/innen war zu vermeiden.

Wir – Jun als Künstler, Martin als Landschaftsarchitekt und ich als Kuratorin und Autorin – wurden eingeladen, um aus der Sicht von Außenstehenden Impulse in die bereits begonnenen Planungsprozesse einzubringen. Unser gemeinsamer Vortrag fand auf dem Areal des Shinheung Markts statt, auf einer eigens für Veranstaltungen errichteten offenen Plattform.

Das Marktgeschehen war in den letzten Jahren sehr zurückgegangen, viele der ehemaligen Marktstände mutierten zu Wohnungsaufgängen – mit Wohnflächen auf der jeweils darüber liegenden Etage. Die Lebendigkeit des Viertels droht durch Immobilienspekulation verloren zu gehen, wobei in dem Fall diejenigen spekulieren, die seit Jahrzehnten selbst dort wohnen und sich satte Gewinnspannen erhoffen.

Der Workshop am Nachmittag desselben Tages wurde dann im Goethe-Institut abgehalten. Unser Ansatz unterschied sich erheblich von klassischen städteplanerischen Methoden, vermutlich schon alleine deshalb, weil wir vor dem Hintergrund verschiedener Herkunftsdisziplinen gemeinsam agierten und disziplinäre Konventionen gehörig durcheinanderbrachten. Unser Workshop zum Thema Infrastruktur war mit Absicht eher spielerisch angelegt. In drei Gruppen sollten „große“, „mittlere“ und „kleine“ Infrastrukturen überlegt und auf soziale und kulturelle Auswirkungen untersucht werden. Zur Visualisierung standen Papier und Stifte zur Verfügung. Uns interessierte es, möglichst viele Perspektiven auf HaeBangChon zu erhalten. Abschließend wurden die sehr unterschiedlichen Vorschläge zu kleinen Heften gebunden. Das Feedback war positiv – wir hörten, dass Studierende in Korea ansonsten in deutlich formalisierter Weise arbeiten. Unser Ansatz sei ungewohnt, aber anregend gewesen, und ja, man würde im nächsten Jahr gerne fortsetzen.

Die Buchpräsentation

Die Buchpräsentation bei ArtSonje war im Grunde genommen einem glücklichen Umstand geschuldet. Vor Kurzem erschien das von mir herausgegebene Buch „Creative Infidelities. On the Landscape Architecture of Topotek 1.“ Idee war von Anfang an, mehrere Buchpräsentationen an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen räumlichen Settings zu machen und Gäste dazu einzuladen. Jun Yang hatte kürzlich für ArtSonje einen Raum gestaltet: „The Parallax Hanok“. Im Prinzip verwandelte er ein traditionelles koreanisches Wohnhaus (Hanok) in einen öffentlichen Raum mit mehreren, sich überlagernden Funktionen. Man kann dort nun Eintrittskarten oder Publikationen kaufen, etwas trinken,  Freunde treffen bzw. Veranstaltungen besuchen.

Beim „Parallax Hanok“ handelte sich also um den perfekten Ort für unsere Präsentation, und Jun war der ideale Gast. Sowohl Topotek 1 als auch Jun teilen ein Interesse an kulturellen Übersetzungsprozessen, wobei beide der Kopie einen eigenen Wert unabhängig vom Original zusprechen. Sowohl Jun wie auch Topotek 1 plädieren für eine nicht-hierarchische Beziehung zwischen Original und Kopie; Aneignungen und Neuinterpretationen, ja auch irrtümliche Nutzungen werden als Ausdruck eines kreativen Prozesses gewürdigt. „The Parallax Hanok“ nimmt seinen Ausgangspunkt bei der „Parallaxe“, um über Kopien als abweichende Interpretationen und Unterschiede nachzudenken. Als Parallaxe bezeichnet man die scheinbare Änderung der Position eines Objektes, wenn der Beobachter seine eigene Position verschiebt.

Der Besuch bei Haegue Yang

Foto: Barbara Steiner

Haegue Yang, im Hintergrund der Tempelberg, Foto: Barbara Steiner

Mit Haegue Yang hatte ich mich für den Sonntag verabredet: Zunächst trafen wir uns in ihrem Studio. Auf diese Weise bekam ich einen guten Einblick in Fertigungstechniken, etwa, wie Stroh geknüpft und mit anderen Materialien verbunden wird. Bis jetzt hatte ich die „Intermediates“ (große Strohskulpturen) stets im fertigen Zustand gesehen – wie etwa kürzlich in ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Hamburg. Die Arbeitsweise ist sehr aufwendig und auch kraftintensiv; beeindruckend fand ich, wie viel im Studio mit verschiedenen Materialien (Natur- und Kunststroh), alten und neuen Knüpftechniken experimentiert wird. Doch Haegue Yang hat nicht nur die Produktion ihrer Arbeiten im Kopf, sondern sie denkt viel über Arbeitsabläufe, faire Bezahlung, generell das Miteinander im Studio nach.

The Intermediates (Detail), Haegue Yang, Foto: Barbara Steiner

Strohkugeln Haegue Yang, Foto: Barbara Steiner

Am Nachmittag besuchten wir gemeinsam das Seodaemun Gefängnis, in dem vor allem politisch Verfolgte während der japanischen Besatzungszeit inhaftiert waren. Heute ist es eine Gedenkstätte, die mit ihren Puppen in Folterkellern eher auf Gruseleffekte denn auf kritische Reflexion setzt. Gleich hinter dem Gefängnis, sehr versteckt hinter einer neuen, riesigen Wohnhausanlage, befindet sich ein Tempelberg.

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Tempelberg, Opfergaben für die Götter, Foto: Barbara Steiner

Haegue machte mich darauf aufmerksam, dass an diesem Ort rituelle Handlungen eher im privaten Rahmen ausgeübt werden. Skurril fanden wir beide das als Opfergabe dargebrachte, in Plastik eingeschweißte Stück Schweinefleisch. Ganz oben auf der Spitze des Berges, die von einem eigenwillig geformten Fels bekrönt ist, hat man einen fantastischen Blick auf Seoul.

P.S.: Haegue Yang ist im Übrigen nicht mit Jun Yang verwandt, es handelt sich einfach um einen sehr häufigen Namen im asiatischen Raum, so wie Steiner in Österreich.

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