Puppenschlafzimmer, Foto: Volkskundemuseum

26. Januar 2018 / Eva Kreissl

Im Bett – ein Zustandsbericht

Volkskundemuseum

Eva Kreissl ist Kulturwissenschaftlerin am Universalmuseum Joanneum und kuratierte die Ausstellung Im Bett. Episoden einer Zuflucht, die noch bis Ende 2018 am Volkskundemuseum Graz zu sehen ist.

Ein Bett ist zum Liegen da. Natürlich kann man auch auf dem Boden liegen, vielleicht auf einer mehr oder weniger weichen Matte, auf einem Fell oder auf Stroh. So hielten es jedenfalls unsere Vorfahren bis ins frühe Mittelalter. Daher stammt auch die Bezeichnung dieses Möbels aus dem Althochdeutschen betti, was flache Grube bedeutet. Die Idee, in einem eigens gefertigten Gestell und erhöht über dem Boden zu schlafen, übernahmen zunächst nur Edelleute und Wohlhabende von römischen Vorbildern. Und die kannten diese Sitte von den Griechen. Man erinnere sich an das Bett des Odysseus, dessen Fuß aus einem Ölbaum bestand, um den herum er eigenhändig für sich und seine Frau Penelope diese unverrückbare Bettstatt geschaffen hatte. Selbst wenn ein Bett nicht so fest im Boden verwurzelt war, diente es auf seinem Siegeszug durch die Gewohnheiten des Nordens zunächst der Repräsentation – und wie meist, wenn Menschen etwas Erhöhtes schaffen, nützt dies, um von dort auf andere herabzuschauen. Das gemeine Volk schlief auf dem Boden oder auf Bänken, oft in einem gemeinsamen Raum.

Die zunehmende Distinktion förderte im Lauf des Mittelalters die Einführung des Himmelbetts mit seitlichen Vorhängen, so dass von außen nicht zu sehen war, was innen geschah. Und Ungeziefer wurde durch den Baldachin auch abgehalten. Denn lästiges Getier im Bett war eine der größten Sorgen. Daher trug man auf jeden Fall eine Kopfbedeckung im Bett. Der Körper blieb, wie mittelalterliche Darstellungen zeigen, unter der Bettdecke nackt. Doch eine Haube musste sein, selbst in warmen Nächten. Wahrscheinlich hatte die Sitte, den Kopf zu schützen, auch eine spirituelle oder abergläubische Bedeutung.

Im Bett, Ausstellungsansicht,
Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Im Liegen nehmen wir die Welt anders wahr. Manchen erscheint sie höher und weiter, anderen bedrückender, je nach Beschaffenheit des Raumes, der sich aus der Horizontale als Umgebung präsentiert. Im Stehen sind wir konfrontiert mit der Welt, stehen ihr auf Augenhöhe gegenüber, bereit zum Handeln und Interagieren. Die Kommunikation zwischen einem Liegenden (zum Beispiel einem Patienten) und einem Stehenden (zum Beispiel einem Arzt) verändert sich, sobald sich der Kranke erhebt und auf seinen eigenen Beinen steht. Es macht einen Unterschied, ob im Gespräch der eine auf den anderen hinunter schaut oder beide Partner die gleiche Position einnehmen. Im Liegen ist der Mensch wehrloser als im Stehen, er kann sich schlechter verteidigen und nicht so rasch weglaufen. Diese Körperhaltung ist indes am besten geeignet zum Rasten und Ausruhen – und zum Schlaf. In diesem Zustand fast vollständiger Kontrolllosigkeit werden die bewussten Funktionen von Körper und Geist auf ein Minimum herabgesetzt und wir vertrauen darauf, dass nichts Bedrohliches unsere Ruhe stört oder gar Feindliches auf uns einwirkt. Das Bett und der Raum um es herum bilden die dingliche Sicherheit für die Zeit, in der wir nicht selbst auf uns aufpassen können.

So viel Vertrauen wie dem Bett schenken wir keinem anderen Möbelstück.

So viel Vertrauen wie dem Bett schenken wir keinem anderen Möbelstück. Selbst wenn die Beine eines Stuhls oder Tischs wackeln oder gar versagen, sind die Folgen rasch überwunden. Doch im Bett verbringen wir ein Drittel unserer Lebenszeit und es ist erstaunlich, wie selten wir Gedanken auf diesen Ort verwenden. Es ergeht ihm eben wie den meisten Alltagsgegenständen: Bei der Anschaffung scheint es uns wichtig, sonst nur, wenn irgendetwas nicht funktioniert. Ähnlich wie in einem gut geführten Haushalt die Arbeit dahinter erst auffällt, wenn sie einmal nicht erledigt wurde, erfährt das Bett erst wieder Aufmerksamkeit, wenn wir darin nicht gut schlafen. Ansonsten ist es einfach da. Bei Schlafproblemen aber wird es nach Anweisungen eines Rutengehers in andere Ecken der Wohnung gezerrt, um vermeintlichen Störfeldern aus dem Weg zu gehen; oder neue Matratzen müssen her, entweder aus Naturfasern oder nach neuesten Hightech-Verfahren produziert, wenn es nicht gar komplett neu, diesmal ausschließlich aus Zirbenholz gefertigt, oder als Boxspringbett zum Preis eines Kleinwagens, angeschafft wird. Manchen verhilft die aufgeflammte Beschäftigung mit der Bettstatt vielleicht tatsächlich zu besserem Schlaf. Andere lassen ihr Schlafverhalten selbst untersuchen, besuchen Schlaflabore oder lassen sich gar operieren. Denn guter Schlaf stand noch nie so sehr im Zentrum von Gesunderhaltung und Selbstoptimierung wie heute und mancher betrachtet neidvoll tief und fest schlummernde Kinder, die sich nicht nur im eigenen Bett, sondern überall, wo es halbwegs gemütlich ist, dem Schlaf hingeben können. Ihr Schlafmittel ist ihre Sorglosigkeit. Doch die kann man nicht kaufen und nur sehr umständlich herbeitherapieren.

Zumal wenn die Sorgen sich immer mehr darauf zuspitzen, nicht schlafen zu können.

Meinrad Mayrhofer, Paar – innig, 2016,
Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Zu mehr als zum Schlaf

Nun ist das Schlafen nicht die einzige Beschäftigung, die vorzugsweise im Bett betrieben wird. Auch das miteinander Schlafen wird gerne an diesem Ort praktiziert. Und damit ist hier nicht das mehr oder weniger freiwillige Teilen eines Nachtlagers gemeint, wie es Burkhard Pöttler in dieser Zeitschrift erwähnt, sondern der Beischlaf. Mit einander ins Bett gehen ist ein Synonym für Sexualität; Bettgeflüster bezieht sich nicht nur auf Ort und Lautstärke eines Gesprächs, sondern auch auf seinen Inhalt; wer Bettgeschichten erzählt, berichtet von amourösen Abenteuern. Das Möbelstück als rhetorische Metapher (korrekter, aber nicht jedem geläufig: als Metonymie) für das Tun hat Tradition. Denn das Bett hatte im Mittelalter durchaus juristische Dimensionen, wie der Sachsenspiegel von 1220 mit der zum Sprichwort gewordenen Regel „Ist das Bett beschritten, so ist das Recht erstritten“ festhält. Der priesterliche Segen alleine genügte nicht für die Gültigkeit einer Ehe, sondern das Paar musste den Beischlaf vollzogen haben, damit ihre Verbindung anerkannt war. Der Ort dafür was das Bett, egal ob die Hochzeitsnacht nun als rituelles Beilager und unter Zeugen verbracht wurde oder man den Aussagen der Eheleute Glauben schenkte. Im Kirchenrecht ist bis heute keine Scheidung einer Ehe vorgesehen, da sie ein Sakrament ist. Doch ist eine Trennung von Tisch und Bett (a mensa et toro) möglich, bei der sich ein zerstrittenes Paar auch nach kanonischer Gerichtsbarkeit aus dem Wege gehen kann und weder ökonomische, noch geschlechtliche Verbindung haben muss. Später entwickelte sich Peinlichkeit als Grund, um das Wort Bett zu verwenden, wenn man eigentlich Sex meint. Dieser Grund für Metonymie ist ein moralischer und mit dem Sittencodex der bürgerlichen Gesellschaft gewachsen. Selbst die sexuelle Revolution der 1960er Jahre hat das Schlüpfrige aus der Kommunikation über Sexualität nicht vollständig entfernen können. Das mag man angesichts der ubiquitären Verwendung sexueller Inhalte in Medien und Werbung vielleicht sogar als verquere Restform eines tief empfundenen Schamempfindens auffassen.

Moral urteilt nicht nur über sexuelles Verhalten im Bett. Schon Dauer und Tageszeit des Aufenthalts in diesem Möbel unterliegen Sanktionen. Wer zu wenig Zeit dort verbringt, gilt als psychisch auffälliger workaholic oder muss sich, wenn auch nur scherzhaft, senile Bettflucht unterstellen lassen. Wer sich hingegen zu lange ins Federbett kuschelt, wird als realitätsscheu oder als Tagedieb angesehen. Die literarische Figur des Oblomow stand mit seinem Daueraufenthalt im Bett gar als Sinnbild für die Faulheit des gesamten russischen Adels. Nur wer krank ist, darf oder muss sich sogar längere Zeit im Bett aufhalten, selbst während des Tages. Das kurze Mittagsschläfchen erfährt zwar gerade eine soziale Aufwertung, seit dessen Potential zur Steigerung der Produktivität erkannt wurde. Doch sollte die empfohlene Regenerationsphase nur kurze Zeit beanspruchen und  am besten gleich am Schreibtisch mit verschränkten Armen oder auf einem Sofa stattfinden, vielleicht sogar auf dem Bett – doch keinesfalls im Bett. Das dürfen tagsüber nur Hinfällige, wie der an Asthma leidende Marcel Proust oder der durch eine Nervenkrankheit gelähmte Heinrich Heine, der sein Bett verbittert eine „Matratzengruft“ nannte. Doch beide waren in ihren letzten, ans Bett gefesselten Jahren trotz ihrer Krankheit höchst produktiv. Auch dem verträumten Albert Einstein wurde sein weit in den Tag hinein reichender Aufenthalt im Bett nachgesehen. Schließlich soll er dort die ersten Eingebungen zu seiner Relativitätstheorie erfahren haben. Intellektuell durchschnittlich begabte, gesunde Menschen gefährden dagegen ihr Image, wenn sie sich tagsüber im Bett aufhalten.

Der arme Poet, nach Carl Spitzweg, Richard Rechberger, 1969,
Privatsammlung, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Das Bett ist eine Art Seismograph für das gesellschaftlich Arrivierte und die intime Akzeptanz bürgerlicher Wertvorstellungen.

Das Bett ist eine Art Seismograph für das gesellschaftlich Arrivierte und die intime Akzeptanz bürgerlicher Wertvorstellungen. Übergangsstadien wie im Lehrlingsheim oder der Studenten-WG, Ausnahmesituationen wie beim Campen oder nach Ausrutschern wie einer durchzechten Nacht betonen nur die Funktion des Betts als Indiz für verinnerlichte Ordnungen und die Stabilität einer lebenslangen Beziehung zu diesem Möbel.

Als Gefährte einer Biografie in guten wie in schlechten Zeiten sieht es mehr Tränen, lauscht so vielen geflüsterten Geheimnissen, erfährt von so viel Leidenschaft, Verzweiflung, Wohlgefühl, Ängsten und Langeweile wie kein anderer Ort. Hier werden die unglaublichsten Filme als Kino im Kopf gespielt, wenn wir im Traum alle Regeln der Realität außer Kraft setzen. Weich, warm und kuschelig muss es sein, ein Schutzraum ganz für uns und gegen alles, was draußen lauern mag. Dies alles macht das Bett zum wichtigsten Ort des Lebens. Seine Rolle ist nur so lange die eines Möbelstücks, solange wir es nicht benutzen. Im Bett aber wird der Ort zum Zustand.

Die Ausstellung Im Bett – Episoden einer Zuflucht ist noch bis Ende 2018 im Volkskundemuseum zu sehen.

Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2017 in Der Vierzeiler. Zeitschrift für Musik, Kultur und Volksleben Nr. 3/2017.

Kategorie: Volkskundemuseum
Schlagworte: |

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Benutzen Sie diese HTML Tags und Attribute:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>