11. Oktober 2012 / Ulrich Becker
Neuentdeckt: der „Friesische Raffael“
Neues aus der Sammlungsforschung
Sich selbst wie eine Ware anzupreisen, das uns bestens bekannte self-marketing, gehörte auch damals zum Geschäft. Und so hielt sich der wackere Friese, der kleine, aber feine Bilder lieferte, allen Ernstes für einen würdigen Nachfolger der ganz Großen. Seine holländischen Zeitgenossen haben ihn dann auch – mit einer tüchtigen Portion Ironie – den „friesischen Raffael“ genannt. Spätere Zeiten urteilten nüchterner.
Gerard Wigmana, Alexander d.Gr. schenkt Apelles seine Geliebte Kampaspe, Öl auf Kupfer, 42,3 x 53,5 cm, Inv.-Nr. 471, Graz, UMJ, Alte Galerie
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Die Geliebte als Geschenk
Seit 1895 besitzt die Alte Galerie eine kleine querovale Kupfertafel, die eine bekannte Begebenheit zeigt, die Plinius d.J. in seiner Naturalis Historia (35,36) überliefert hat: Apelles, der berühmteste Maler der Antike, verliebte sich in sein Modell Kampaspe (oder Pankraste), immerhin die Geliebte Alexanders d.Gr., der sie ihm darauf einfach zur Frau gab. Was uns als fragwürdige Behandlung eines Menschen wie leblose Ware erscheint, galt in jener Zeit als Zeichen herrscherlichen Großmuts und Ausdruck von Wertschätzung gegenüber einem begabten Künstler. In solchen Anekdoten, wie es sie in großer Zahl gibt, steckt also ein Lob der Kunst – und auch ein Eigenlob des Malers, dürfen wir hinzufügen.
Der Hund liegt im Detail
Ist die Geschichte also bestens bekannt, verhielt es sich mit dem Künstler völlig anders. Seit über 100 Jahren rätselte die Forschung, wer der Maler des Grazer Bildes sein könne, die Signatur „Gerard“ ließ weniger an einen Vor- denn einen (französischen) Nachnamen denken. Die Lösung lieferte ein jüngst im Wiener Kunsthandel (Herbst 2012) aufgetauchtes Leinwandbild eben jenes Holländers, das fast vollständig mit der Grazer Version übereinstimmt. Außer dem Formatunterschied gibt es Abweichungen in einigen Details; so fehlt auf dem Wiener Bild der kecke Amor auf der Staffelei, dessen Pfeil Apelles schon getroffen hat. Typisch für Wigmana – wie überhaupt für die holländische Historienmalerei des (bereits verflossenen) „Goldenen Zeitalters“ – ist der theatralische, nicht immer klassisch-korrekte Aufputz: Antike, Renaissance und Barock werden munter vermischt – was so in Italien kein Akademielehrer geduldet hätte. Im Holland des „Goldenen Zeitalters“ hingegen schätze man solche Modekombinationen, die sich auch bei Rembrandt finden.
Gerard Wigmana, Alexander d.Gr. schenkt Apelles seine Geliebte Kampaspe, Öl auf Leinwand, 36 x 45,5 cm, mit frdl. Genehmigung Archiv Dorotheum Wien
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Ein antiker Stoff also, aber in holländischer Manier vorgetragen und mit feinmalerischer Technik ins Bild gesetzt. Mag die kunstgeschichtliche Relevanz auch nicht eben überwältigend sein – der Kurator aber freut sich über jedes Rätsel, das er nach über 100 Jahren lösen kann, wenn ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommt. Immerhin: Graz hat einen echten „Raffael“ – wenn auch nur den friesischen.
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