Das nackte Kind liegt nicht wie bisher üblich in einer Krippe, sondern am Boden, wodurch ein neuer Demutsgedanke in die Weihnachtsikonografie eingeführt wurde.

20. Dezember 2012 / Helga Hensle-Wlasak

Die Vision der schmerzlosen Geburt Christi

Alte Galerie

In Werken der sakralen Kunst wurden die in der Bibel geschilderten Ereignisse rund um die Geburt Christi mannigfach variiert und ausgeschmückt. So finden sich auch in der Alten Galerie zahlreiche Weihnachtsdarstellungen.

Jedem von uns ist die Darstellung der Geburt Christi in der alten Kunst geläufig. Allerdings hat das Motiv seit seinem ersten Auftreten im frühen Christentum viele Varianten erfahren. Die wichtigsten Bildelemente – das Kind in der Krippe, Maria und Josef, der Ochs und der Esel, die Hirten und die Magier – sind im Laufe der Jahrhunderte immer wieder abgewandelt und zu neuen Bildformen weiterentwickelt worden.

Eines der innigsten Weihnachtsbilder ist das im späten Mittelalter gestaltete Geburtsbild, das auf die heilige Birgitta von Schweden zurückgeht. Mit dieser Vision der Schmerzlosen Geburt Christi veränderte sich die Geburtsikonografie in der abendländischen Kunst nachhaltig.

 

 Österreichischer Meister, Geburt Christi, um 1480, Sonntagsseite eines beidseitig bemalten Altarflügels (Werktagsseite: Verkündigung an Maria), Tempera auf Fichtenholz, Vergoldung mit Brokatmusterung; 102, 5 cm x 65,5 cm, Rahmen neu, ursprünglich aus Stift Admont; Ankauf Wien, 1950, Inv.-Nr. 395

Die heilige Birgitta wurde um 1302/03 in der Provinz Uppland als Angehörige des schwedischen Hochadels geboren. Nach dem Tod ihres Gatten erfuhr sie die Berufung zur „Braut und Mittlerin Christi“ und gründete einen eigenen monastischen Doppelorden mit Sitz in Vadstena. Während einer Pilgerreise in das Heilige Land in den Jahren 1371 bis 1373 erfuhr sie zwei ihrer berühmtesten Visionen: jene von der Kreuzigung Christi und eben diese von der Geburt des Jesuskindes.

Die in Bethlehem empfangene Vision von der Schmerzlosen Geburt Christi ist wohl die bekannteste von den insgesamt circa 700 Offenbarungen.

Anhand eines Tafelbildes aus der Alten Galerie, das um 1470/80 von einem anonymen Künstlers geschaffen worden ist, können die charakteristischen Einzelheiten nachvollzogen werden. Maria kniet in tiefer Anbetung vor ihrem Kind, das sie nach der birgittischen Vision in einem einzigen wundersamen Augenblick ohne Schmerzen und Schwächung zur Welt gebracht hat. Ihre schönen goldenen Haare hängen textgemäß über ihre Schultern herab. Das nackte Kind liegt nicht wie bisher üblich in einer Krippe, sondern am Boden, wodurch ein neuer Demutsgedanke in die Weihnachtsikonografie eingeführt wurde.

Abweichend vom Text sind hier der Mantel Mariens und ein zusätzliches Tuch untergeschoben, damit das Kind nicht auf der bloßen Erde liegen und frieren muss. Der weiße Mantel gehört ebenso zur visionären Erscheinung wie das große, unaussprechliche Licht, welches in Form eines zarten Strahlenkranzes vom Kind ausgeht. Andere erzählerische Details der Schau, wie die ausgezogenen Schuhe und der abgelegte Schleier Mariens sowie die vorbereiteten Windeln, fanden nicht Eingang in das Bildkonzept.

Zwei singende Engel an der Seite des Jesuskindes verweisen auf die liebliche Musik, die die heilige Birgitta während dieser Offenbarung vernommen hat. Der greise Josef war bei der Niederkunft persönlich nicht gegenwärtig, so die Visionärin. Er versorgte die Tiere im Stall und brachte Maria vor der Niederkunft eine angezündete Kerze, wie dies auch im Tafelbild detailgetreu ausgeführt ist. Abweichend von der birgittischen Überlieferung ist der Schauplatz der Geburt hier keine Höhle, sondern ein gemauertes Stallgebäude. Allerdings darf die vergitterte Bodenöffnung am rechten Bildrand als ein Hinweis auf die Geburtshöhle in Bethlehem verstanden werden.

Wer noch mehr über die Darstellung des weihnachtlichen Themas der Geburt Christi nach der Vision der heiligen Birgitta erfahren möchte, kann im ausführlicheren Beitrag darüber nachlesen.

Literatur: Anette Creutzburg, Die heilige Birgitta von Schweden. Bildliche Darstellungen und theologische Kontroversen im Vorfeld ihrer Kanonisation (1373-1391), Kiel, 2011.

Kategorie: Alte Galerie
Schlagworte: | |

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Benutzen Sie diese HTML Tags und Attribute:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>