18. April 2019 / Elisabeth Eder

Versteckte Orte im Universalmuseum Joanneum: Unterwegs in den Depots des Volkskundemuseums

Museumseinblicke | Volkskundemuseum

In unserer Serie „Versteckte Orte im Universalmuseum Joanneum“ machen wir gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Orte ausfindig, die sonst nur schwer zugänglich sind oder leicht übersehen werden. Diesmal führt uns Ursula Grilnauer durch das Depot des Volkskundemuseums und erzählt spannende Geschichten über Bauopfer, Aberglauben und vergessene Bräuche.

Insgesamt 55.000 Objekte und 27.000 Andachtsbilder befinden sich gut verstaut und versteckt in den Depots des Volkskundemuseums, die in drei Häusern in der Paulustorgasse und der Humanic-Halle angesiedelt sind. Darunter befinden sich rund 2.700 Kleider, 300 Krippen, 2.300 Sammlungsbücher und rund 2.800 Keramikobjekte, die es zu bewahren gilt. Ursula Grilnauer nimmt uns mit auf einen Streifzug durch dieses Sammelsurium an Schätzen und gespeichertem Wissen rund um Glaube, Aberglaube, Volksschauspiel, Haushalt, Werkzeuge, Musikinstrumente und das Leben anno dazumal.

Am Weg zum ersten Depot schildert Ursula den Wert dieser Sammlungen: „Nicht der monetäre Wert der Gegenstände spielt für uns eine Rolle, vielmehr ist der historische Wert, also die Geschichte dahinter, für uns spannend. Wie haben die Menschen früher gelebt? Welche Gegenstände haben sie benutzt? Solche Fragen interessieren uns“, schildert Ursula voller Passion und entsperrt die erste Tür, hinter der die Antworten darauf in unzähligen Schränken bereits warten.

Abergläubisches und grausame Rituale
Kostbare, aufwendig verzierte Ostereier erzählen hier von alten Bräuchen, Opferstatuetten über die Leiden der damaligen Zeit und rituelle Gegenstände über die Methoden, solche Leiden zu kurieren. „Das Interessante ist: Damals hatten die Menschen solche Gegenstände nicht nur für einen Zweck, sondern nutzten sie mehrfach“, erzählt Ursula und hebt vorsichtig eine Halskette, die aus Natternwirbeln gefertigt wurde, aus einer Schublade. „Solche Ketten wurden zum Beispiel auch gegen die sogenannte ‚Fraisʻ verwendet. Heute würden wir die ‚Fraisʻ vermutlich als Fieberkrampf oder epileptischen Anfall bezeichnen. Um dieses Symptom zu lindern, gab es außerdem noch sogenannte ‚Fraisenhäubchenʻ, die auch Gebärenden oder Sterbenden aufgesetzt wurden“, so Ursula über die vielfältige Nutzung der kleinen Hauben. „Das Thema Aberglaube spielte aber nicht nur früher eine elementare Rolle, es zieht sich bis in die Gegenwart fort, ein Beispiel dafür sind etwa die Bachblüten“, schmunzelt Ursula und schreitet zu einem der neuesten und wahrscheinlich morbidesten Objekte, die ihren Platz in der „Aberglauben-Abteilung“ gefunden haben – ein Bauopfer.

„Diese Katze war ein Bauopfer“, beginnt Ursula und hebt den mumifizierten Leichnam vorsichtig aus der Verpackung. „Bauopfer sind Tieropfer, die früher oft dargebracht wurden, um sich vor Bösem zu schützen“, fährt sie fort. „Man hat die Tiere, häufig Katzen, meistens lebendig – das sieht man an den verzerrten Gesichtern der Mumien – bei Durchgängen oder in Türstöcken eingemauert. Dieses Bauopfer wurde uns von einem Finder geschenkt, der zufällig beim Umbau seines Hauses darauf gestoßen ist“, erklärt sie und öffnet gleich darauf noch Schubladen, die über und über gefüllt sind mit Pfeifen und schön verzierten Behältern oder Votivtieren, die zur Unterstützung von Gebeten in Kirchen hinterlegt wurden.

Kein alter Hut
Kleider, Hüte, edle Stoffrollen, Hauben, mit Federkielstickerei verzierte Gürtel, Wandbehänge und detailreich bestickte Handarbeiten liegen im nächsten Depot verborgen. „Die Aufbewahrung und Instandhaltung von Stoffen ist besonders schwierig. Das Material bricht irgendwann, deshalb müssen Knickstellen so gut es geht vermieden werden. Auch der Umstand, dass wir kein säurefreies Papier für die Lagerung der Textilien verwenden konnten, macht uns und besonders unserer Textilrestauratorin sehr zu schaffen“, schildert Ursula ernst. Noch mehr zu schaffen macht ihr aber die Archivierung der Zigtausenden Gegenstände. „Wir haben natürlich ein gutes, ausgeklügeltes System, damit alle Objekte, die in unseren Depots gelagert werden, schnell auffindbar sind. Seit Kurzem haben wir jetzt Internet in unserem Depot, was es uns ermöglicht, dort mit dem Laptop zu arbeiten, aber mit einem Scan-Gerät könnten wir den Arbeitsaufwand um ein Vielfaches minimieren. Aber das ist eine Ressourcenfrage“, erklärt sie und huscht über einen Gang durch die Antoniuskirche durch, weiter zum nächsten versteckten und geschichtsträchtigen Ort – zur hausinternen Bibliothek.

Paradies für Bücherwürmer
„Viele wissen ja gar nicht, dass wir hier auch eine Fachbibliothek haben“, verrät Ursula schmunzelnd und lässt den Besucherinnen und Besuchern der Führung den Vortritt in das Bücherparadies des Volkskundemuseums. In zwei Räumen türmen sich die rund 15.200 Druckwerke bis zur Decke. „Vor allem von Studierenden bekommen wir oft Anfragen zu bestimmten Büchern.“

Der Ort, der zwar nicht sehr viel mit den Volkskundedepots zu tun hat, aber fast allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Universalmuseums Joanneum durch das alljährliche Sommerfest bekannt ist, lag bis vor ein paar Wochen noch halb im Winterschlaf hinter dem Volkskundemuseum, direkt am Fuße des Grazer Schlossbergs. „Die Schrebergärten hier sind wirklich ein Highlight“, schwärmt Ursula, deren Augen beim Gedanken an die im Sommer blühende Oase aufblitzen.

Etwas ernster wird ihre Miene beim Aufstieg zum nächsten Depot: „Wie man merkt, ist alles sehr verstreut bei uns“, schnauft sie die steilen Holztreppen zum nächsten Schatzlager hinauf. Und der Aufstieg hat sich gelohnt: Wunderschöne Vasen, uralte Küchengeräte, Aufbewahrungsbehälter, Tierfallen, Eichhörnchen-Käfige und viele weitere Kuriositäten werden hier für die Nachwelt aufbewahrt. „Bei den meisten Objekten weiß man, wofür sie verwendet wurden, aber es kommt auch hin und wieder vor, dass uns manche Objekte vor Rätsel stellen, dann dauert die Recherche etwas länger“, erklärt Ursula und setzt zum Abstieg in die Räumlichkeiten des Volkskundemuseums an, wo uns auch noch ein kurzer Einblick in den vermieteten Heimatsaal und den sich dahinter befindenden Filmraum möglich ist. „Ich bin bereits seit 30 Jahren hier und kenne das Volkskundemuseum in- und auswendig“, erzählt die engagierte Mitarbeiterin gerührt. „Deshalb bin ich umso erleichterter, dass dieser Standort nicht aufgelassen wurde. Das Wissen, das wir den Besucherinnen und Besuchern hier vermitteln können, ist unglaublich wertvoll und spannend.“

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