Restaurator Valentin Delić beim Untersuchen des Einbandes; Foto: UMJ

13. Dezember 2013 / Ulrich Becker

Täuschend echt: Spitzenleistung eines Meisterfälschers

Konservieren & Restaurieren

Im Sommer 1912 machte ein Wiener Aristokrat, Fürst Carlos Clary und Aldringen, dem „Kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseum“ am Grazer Joanneum ein buchstäblich glänzendes Geschenk: einen prächtig vergoldeten, wappengeschmückten Bucheinband.

Das Zentrum zeigt den Erzengel Michael als Teufelsbesieger in eleganter Pose, die Seelenwaage in Händen. Der mit der Inventarnummer 14085 versehene Einband ist aus dem Jahr 1454 datiert und stammt augenscheinlich aus Siena, einer Stadt, die u. a. für ihre aufwendig gestalteten Steuerbücher (!), die „biccherne“, berühmt ist. Um ein solches Exemplar handelte es sich allem Anschein nach. Ein glänzender Zugewinn also.

Nicht ganz: Aus einer Notiz geht hervor, dass schon zum Zeitpunkt des Erwerbs klar war, dass etwas nicht stimmte: Das Stück war eine Fälschung. Man darf annehmen, dass der hochherzige Stifter in gutem Glauben gehandelt hatte: Der Fürst war für seine allzu großzügigen Kirchenbauprojekte berühmt – zum großen Ärger seiner Familie! Hier war er wohl ein Opfer seines frommen Geschmacks geworden. Geschenk ist Geschenk, dachte man sich in Graz – und der Rest ist Schweigen.

 

Gefälschter Bucheinband, Vorderseite mit hl. Michael; angeblich Siena 1454, jetzt Icilio Federico Joni (ca. 1866–1946) zugeschrieben. Kulturhistorische Sammlung, Museum im Palais, Inv.-Nr. 14085; Foto: UMJ / Valentin Delić

Gefälschter Bucheinband, Vorderseite mit hl. Michael; angeblich Siena 1454, jetzt Icilio Federico Joni (ca. 1866–1946) zugeschrieben.
Kulturhistorische Sammlung, Museum im Palais, Inv.-Nr. 14085;
Foto: UMJ / Valentin Delić

Falsch, aber wertvoll

Aber auch Fälschungen können in der Gunst der Forschung steigen, v. a. wenn sie selbst Spitzenleistungen darstellen. Bei dem Grazer Stück ist dies eindeutig der Fall. Nach über 100 Jahren konnte der Täter endlich namhaft gemacht werden, der jenen Bucheinband fabrizierte und in den Kunsthandel einspeiste: Es war der in Siena ansässige Icilio Federico Joni (ca. 1866–1946), kein Unbekannter in der Szene und alles andere als ein Dilettant. Schon früh wurde vor seinem Geschick gewarnt. Joni lieferte fast alles, was der auf Renaissance getrimmte Geschmack seiner Zeit verlangte: Bucheinbände, Tafelbilder, bemalte Truhen, die sog. cassoni.

Wie sein berühmterer Landsmann, der Dichter und Aktivist Gabriele d’Annunzio war Joni ein typischer Lebemann der Jahrhundertwende, ein Dandy mit allen möglichen Extravaganzen: teure Falken, schöne Frauen, schnelle Autos. Er konnte es sich leisten. Fälscherfürsten sind schließlich auch Fürsten, dachte er sich wohl. Später war er frech genug, in seinen Memoiren (1933) ausführlich zu erläutern, wie man richtig auf alt trimmt: „fare invecchiare“ nannte er das.

Vor knapp 10 Jahren hat ihm seine Heimatstadt Siena eine ganze Ausstellung ausgerichtet, aber nicht in der “questura”, der Polizeidirektion, sondern im Complesso museale S. Maria della Scala. Auch die Fälschung ist eine Art der Kultur. Folglich sprach der Ausstellungstitel von der “cultura del falso” um 1900, einer wahren Blütezeit dieses ebenso anrüchigen wie faszinierenden Gewerbes. Auf Italienisch hört sich ja alles viel schöner an. Wer so genial fälschte, die “barbari” aus dem Norden so dreist hinters Licht führte, ein Mann von Lebensart und obendrein ein Bürger unserer Stadt war, dem kann man nicht (mehr ganz so) böse sein, dürften sich die “senesi” gedacht haben. Übrigens kann bei Auktionen der Schätzpreis gut und gerne bei einigen Tausend Euro liegen. Ein echt falsches Bild hat auch seinen Preis.

 

Siena; Quelle: Flickr, Ma Rui, 2008

Siena;
Quelle: Flickr, Ma Rui, 2008

Ratgeber Internet

Heute kann man im Internet dem einen und anderen Opus des Meisters begegnen – und nur so wurde klar, dass auch die Kulturhistorische Sammlung zwar einen falschen Sienesen, dafür aber immerhin einen echten Joni besitzt. Er hat seine Masche immer wieder durchgezogen, auch die mit dem Erzengel. Sein Handwerk hat er beherrscht, bis in die kleinsten Details. Wäre da nicht die betrügerische Absicht, man könnte ihn in aller Unschuld bewundern.

Teil der Kulturgeschichte

Nichts fürchten (redliche) Kunsthändler, Sammler und Kuratoren so sehr wie Fälschungen. Und welches Museum bekennt sich schon offen dazu, auch wenn diese als Geschenk, also ohne Belastung des Budgets, ins Haus gelangt sind? Selbst das Metropolitan Museum in New York ist auf ihn hereingefallen. Aber was die Vergangenheit betrifft, so sind wir heute etwas gelassener und können Jonis Produkte als das betrachten, was sie sind: Kinder ihrer Zeit und damit Teil der (Kultur-)Geschichte. Man war damals süchtig auf alles Alte, auf das von der Aura der Vergangenheit Geheiligte. Nicht ohne Grund: Ohne diesen Glauben an die Geschichte wäre heute vieles unrettbar verloren, gäbe es viele Sammlungen und Museen erst gar nicht. Kein Wunder, dass die Nachfrage oft das Angebot überstieg – und als anrüchige Nebenwirkung Fälscher aller Art auf den Plan rief, damals wie heute!

 

Gefälschter Bucheinband, Rückseite mit Wappen; angeblich Siena 1454, jetzt Icilio Federico Joni (ca. 1866–1946) zugeschrieben. Kulturhistorische Sammlung, Museum im Palais, Inv.-Nr. 14085; Foto: UMJ / Valentin Delić

Gefälschter Bucheinband, Rückseite mit Wappen; angeblich Siena 1454, jetzt Icilio Federico Joni (ca. 1866–1946) zugeschrieben.
Kulturhistorische Sammlung, Museum im Palais, Inv.-Nr. 14085;
Foto: UMJ / Valentin Delić

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