3. Dezember 2015 / Christoph Pelzl

Menschen in Bewegung – „Kultur“ und „Heimat“ als politische Instrumente

Kulturpolitik | Volkskundemuseum

Erklärung österreichischer Volkskunde-Institute/-Abteilungen, Museen, Vereine und Verbände

Die unterzeichnenden österreichischen Universitäts-Institute für Volkskunde, Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie sowie die Verbände und Museen für Volkskunde wenden sich gegen die Art und Weise, wie derzeit im Zusammenhang mit der Bürgerkriegsflucht und Migration vieler Menschen die Begriffe Kultur, Heimat und Identität instrumentalisiert werden.

In Massenmedien, in Internet-Foren und auf politischer Ebene sind aktuell Diskussionen über vermeintliche Effekte der „Flüchtlingskrise“ entbrannt, die oftmals wenig sachlich verlaufen, dafür jedoch Ängste und Fremdenfeindlichkeit schüren. Verstärkt wird dabei damit argumentiert, dass von Flüchtlingen eine Gefährdung ausgehe – speziell für „Heimat“, „Kultur“ und „Identität“. Die politische Instrumentalisierung dieser – historisch bereits vielfach für unterschiedliche Zwecke genutzten – Bilder und Begrifflichkeiten betrachten wir mit Sorge.

Das heutige Alltagsverständnis von „Heimat“ entstand seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der bürgerlichen Gesellschaft. „Heimat“ wurde als ein Wunsch-Ort stilisiert, der Sehnsüchte enthält und Verlustängste kompensiert. Aufgeladen mit Ideologien der Ausgrenzung und Wir-Behauptung war und ist die Vorstellung von „Heimat“ leicht auch ein Ausgangspunkt für Vertreibung und sogar Vernichtung. Dieses Reden über „Heimat“ hat mit der gegenwärtigen mobilen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Allerdings wird in der Regel übersehen, dass Menschen mehrere Zugehörigkeiten haben (können).

In problematischer Weise wird auch in der politischen und medialen Diskussion in Österreich von „Kultur“ und „Identität“ gesprochen, als ob es sich dabei um feststehende Kategorien handele und als ob es keine innergesellschaftlichen Unterschiede gäbe. Diese scheinbar kulturwissenschaftlich geführten Debatten entbehren einer differenzierten wissenschaftlichen Begründung.

Als Vertreter/innen eines universitären Fachs, das auf ein Jahrhundert der Beschäftigung mit Alltagskulturen und mit der Reflexion kultureller Diversität und Differenz zurückblicken kann, müssen wir einer politischen Instrumentalisierung dieser Begriffe entschieden widersprechen: Der Blick auf die Geschichte zeigt, dass „Kultur“ und „Identität“ im Laufe der Geschichte vielfach auf gefährliche Weise verwendet wurden, um das „Fremde“ vom vermeintlich „Eigenen“ abzugrenzen und Menschen auszuschließen –  wie in der aktuellen Diskussion.

Gerade die Entwicklung Österreichs zeigt deutlich, dass infolge migrantischer Mobilität Mehrsprachigkeit und kulturelle Pluralität schon immer integraler Bestandteil der gesellschaftlichen Entwicklung waren. Die Vorstellung von „Kulturen“ als einheitlichen, nach außen geschlossenen Containern oder als nationale Besitzstände, die zudem noch in nationale Grenzen zu gießen wären, war und ist eine wirkmächtige Fiktion. Was wir als Kultur betrachten, ist nicht naturgegeben, sondern wird von allen am Alltagsleben beteiligten Menschen stets neu ausgehandelt und mit Bedeutung versehen: Kultur ist dynamisch, richtungsoffen und in Bewegung. Diese Prozesse sind immer auch von Ungleichheiten und Macht geprägt bzw. stellen diese her. Wir erkennen folglich fremdenfeindliche und diskriminierende Aussagen gegenüber anderen Gruppen als Versuch, eigene Ansprüche auf die Definition von Kultur zu rechtfertigen und eigene politische Einflussbereiche zu vergrößern.

Solchen politischen Ansprüchen dient auch die derzeitige Krisenrhetorik, die Zuwanderer_innen eine Bedrohung unterstellt. Dabei verdeckt sie die Gründe und Dynamik für die aktuelle Zuspitzung der Lage von Flüchtlingen. Diese wurzeln in europäischen Migrationspolitiken, die jahrzehntelang auf die Militarisierung und Sicherung der Außengrenzen ausgerichtet waren, anstatt für sichere Migrationswege und die koordinierte Aufnahme von international Schutzbedürftigen aus Kriegsgebieten zu sorgen.

Politische Entscheidungen und Aktivitäten sind aktuell auf kurzfristige Krisenbewältigung ausgelegt. Nicht zuletzt das Erstarken fremdenfeindlich gesinnter Gruppen macht jedoch deutlich, wie dringend der Bedarf an Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Lösungen ist. Eine integrative und demokratische Kulturpolitik würde allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten den Zugang zu sozialer, ökonomischer, demokratischer und kultureller Teilhabe ermöglichen. (28.11.2015)

 

Unterzeichnende Universitätsinstitute, Museen, Vereine und Fachverbände:

 

Kontakt
Österreichischer Fachverband für Volkskunde
p. A. Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz
Attemgasse 25/1, 8010 Graz
ZVR-Zahl 592792150
Vorsitzende: Univ.-Prof. Dr. Johanna Rolshoven
Tel.: +43 (0)316 380 – 2581; Fax: +43 (0)316 380 – 9778
office@volkskunde.org
www.volkskunde.org

Kontaktpersonen an den österreichischen Universitätsinstituten

  • -Prof. Dr. Gilles Reckinger, Universität Innsbruck, gilles.reckinger@uibk.ac.at
  • -Prof. Dr. Johanna Rolshoven, Karl-Franzens-Universität Graz, johanna.rolshoven@uni-graz.at
  • -Prof. Dr. Brigitta Schmidt-Lauber, Universität Wien, brigitta.schmidt-lauber@univie.ac.at
  • -Prof. Dr. Klaus Schönberger, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec, klaus.schoenberger@aau.at

Kontaktperson für die Museen und Vereine

  • Matthias Beitl, Österreichisches Museum für Volkskunde Wien, matthias.beitl@volkskundemuseum.at

 

Bildcredit: Foto aus der Ausstellung Neighbours. Gemeinsam Asyl ein Gesicht geben (17.09.-15.11.2015), die von 17.09. bis 15.11.2015 im Grazer Volkskundemuseum in Kooperation mit dem Verein ZEBRA – Interkulturelles Beratungs- und Therapiezentrum zu sehen war. Es zeigt Michaela, Ali und Mona (Somalia); © Verein Zebra/Mahdi Hossaini und Hamid Hossaini

Kategorie: Kulturpolitik | Volkskundemuseum
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