2. Dezember 2015 / Elisabeth Kure
Über Lust und Frust des Schenkens
In unserer spätmodernen Gesellschaft, in der Schenken Freiheit und Pflicht zugleich ist, kann das freudige Geben sehr leicht in Überforderung münden. Warum also beschenken wir einander überhaupt? Wie findet man das richtige Geschenk? Und: Gibt es das richtige Geschenk eigentlich? Ein Versuch, das Wesen des Schenkens zu erfassen …
Schenken ist Teil unseres sozialen Gefüges und war immer schon ein wichtiger Bestandteil kulturellen Zusammenhalts. Wenn böse Zungen also heutzutage den Akt des Schenkens nur als Konsequenz unserer konsumorientierten Gesellschaft bezeichnen, sprechen sie der Geste nicht nur ihre freudebringende Natur ab, sondern auch ihre tiefe kulturelle Verankerung. Denn, wie Anita Niegelhell, Kulturvermittlerin im Volkskundemuseum, erklärt, ist das Schenken ein grundlegender sozialer und kultureller Vorgang, mit dem Beziehungen hergestellt und immer wieder abgesichert werden.
Obwohl dieser Akt auf derart viele unterschiedliche gesellschaftliche und geschichtliche Aspekte zurückzuführen ist, dass man nicht von dem einen Ursprung sprechen kann, so hat er dennoch zu jeder Zeit, die man beschreiben kann, und in jeder Kultur, über die man etwas weiß, eine zentrale Bedeutung. „Mit Geschenken sichern wir unsere sozialen Beziehungen“, sagt die Expertin, die es mit dem französischen Ethnologen und Soziologen Marcel Mauss hält, der das Geschenk als eine „Melange aus Person und Sache“ bezeichnet. Konkret bedeutet das: Ein Geschenk ist nie, auch wenn wir das gerne glauben möchten, nur selbstlos und absichtslos.
Das richtige Geschenk zur richtigen Zeit
Ein Präsent zeigt demnach nicht nur an, in welchem Verhältnis man zueinander steht, man schenkt sich symbolisch auch immer mit. „Das Geschenk steht für mich und ich bin durch das Geschenk repräsentiert. Das ist auch der Grund, weshalb das Aussuchen des richtigen Geschenkes so schwierig ist. Wer will schon ein falsches Bild von sich geben?“, erklärt Anita Niegelhell. Indem man sich am Ritual des Schenkens beteiligt, sichert man sich gleichzeitig die Teilhabe an der Gesellschaft. Ein Grund von vielen, weshalb es uns zu Weihnachten so schwer fällt, vom Geben (und Nehmen) abzusehen.
Geschenke sind auch immer ein Ausdruck der Zeit, in der wir leben. Deutete vielleicht eine Frau vergangener Tage Haushaltsgeräte als echte Liebesgaben, gehören die praktischen Helferlein heute zu den unbeliebtesten Weihnachtsgeschenken. Das hat damit zu tun, dass die Geschlechterrollenbilder sehr in Bewegung geraten sind. Wer Haushaltsgeräte geschenkt bekommt, wird auf die Rolle der Hausfrau reduziert. Das ist aber nur ein Teil einer komplexen Person, auf den sich Frauen heute nicht mehr alleine festlegen lassen.
Heimlicher Zwang
Der Akt des Schenkens ist also immer auch an Erwartungen gebunden. Neben dem Hoffen auf soziale Anerkennung kommt dabei der unbewusst erwarteten Geste der Gegengabe eine besondere Rolle zu. Das entspricht zwar einem älteren Schenkbegriff, der in nicht so stark monetär bestimmten Kulturen wichtiger war als heute, ist aber noch heute in feinen Nuancen gültig. Man geht eben nicht ohne eine kleine Aufmerksamkeit zu einem Abendessen oder spricht zumindest in angemessenem Abstand eine Gegeneinladung aus.
Übrigens: Lange Zeit war bei uns der 6. Dezember der eigentliche „Geschenke-Tag“, während der 24. Dezember ein Fasttag war.
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