23. Juli 2019 / Bianca Russ-Panhofer
Franz Josef Böhm – Die Nordischen Winterspiele von 1904
Zunächst noch als „narrischer Brettlrutscher“ bezeichnet, gelang es Toni Schruf in wenigen Jahren den Skisport in Mürzzuschlag zu etablieren und dieser trat, so erzählt die Geschichte, von hier aus seinen Siegeszug um die Welt an. Schon bald wurden in Mürzzuschlag die ersten Skiwettbewerbe abgehalten. Die Sommerrodel oder das Wurfkegelspiel Schmirageln – in anderen Gegenden auch als Schmarrageln oder Schmarakeln bekannt – auf Eis einzuführen, gelang dem stets nach Unterhaltung für seine Gäste suchenden Schruf jedoch nicht.
Hingegen konnte er 1904 die „Nordischen Spiele“, die drei Jahre zuvor das erste Mal in Stockholm ausgetragen worden waren, nach Mürzzuschlag holen. Er beauftragte seinen guten Freund, den Mürzzuschlager Fotografen Franz Josef Böhm, die Winterspiele fotografisch festzuhalten.
Vom 31. Jänner bis zum 2. Februar 1904 wurden also die „2. Nordischen Spiele“ in Mürzzuschlag durchgeführt. Während in Stockholm die Bewerbe im Eislauf klar im Vordergrund standen, kamen nun sämtliche Wintersportbewerbe zum Zug: Schneeschuhlaufen (Skifahren), Skispringen, Eisschnell- und Eiskunstlauf, Eishockey, Eisstockschießen, Rodeln, Snorekjöring/Skikjöring, Hörnerschlitten- und Gasselfahrten.
Für die Bewerbe wurden eigene Spielstätten angelegt: eine Sprungschanze am nördlichen Abhang des Ganzsteines, eine Rennbahn und eine Schlittenbahn. Auf der „Grünen Insel“ wurde auf einer 3.700 m² großen Wiese der Eislaufplatz errichtet. Darauf befand sich ein aus Eisblöcken errichteter Eispalast, der als Labestation für Schaulustige diente, die dort mit warmen Getränken und Erfrischungen versorgt wurden. Ein großer Teil der Besucher/innen kam mit der Südbahn aus Wien, Graz etc. angereist. Die k. und k. priv. Südbahn setzte Sonderzüge ein und gewährte sogar eine 50%ige Fahrpreisermäßigung für den Besuch der Spiele.
Am ersten Tag des Bewerbes fand laut Grazer Volksblatt bei „prächtigem Skiwetter“ der Schneeschuhdistanzlauf über 20 km statt. Die Strecke führte von der Pretulalpe über den Bettelbauer zur Rodelbahn. Der Sieger Josef Wallner legte die Strecke in 1 h 31 min zurück.
Es folgten die Hörnerschlittenfahrten der Herren und der Holzknechte auf der Wasserleitungswiese (Pernreit). Beim Herren-Bewerb wurden je zwei Fahrgäste, beim Holzknecht-Bewerb je Schlitten ein Kubikmeter Scheitholz transportiert. Auch das Preisrodeln wurde am ersten Tag durchgeführt. Nach dem Rennen nutzten vor allem „zahlreiche schneidige Mädchen und Damen“ die Gelegenheit, auf der Bahn zu rodeln. Das Grazer Volksblatt regte daraufhin an, beim nächsten Mal auch Mehrsitzer-Bewerbe für beiderlei Geschlechter auszuschreiben, aber natürlich nach „Herren- und Damenbesatzung getrennt“.
Am Ende des ersten Tages fand das „Wettspringen auf Schneeschuhen“ am Ganzsteinhang statt. Die eigens dafür errichtete Sprungschanze entsprach in ihrer Bauweise dem Holmenkollbakken (Norwegen), auf dem bereits 1892 die ersten Bewerbe durchgeführt wurden.
Der beste Springer der damaligen Zeit, Wilhelm Wettergreen aus Norwegen, durfte nur außer Konkurrenz starten. Der Sieger des Bewerbes, Paul Pichler aus Wien, erreichte eine Weite von 12,06 m, der Norweger sprang mit 23,92 m fast die doppelte Weite.
Die Presse berichtete gerne und ausführlich über den Stargast aus Norwegen: „Wettergreen war wieder der Held des Tages und was er heute zeigte, waren zum Teile förmliche Akrobatenkunststücke. Er führte einen Sprung nur mit einem Ski bewaffnet aus, bleib beim Aufsprung stehen, setzte den rechten Fuß hinter den linken auf den Ski, sauste wie der Blitz nach abwärts und mit kühnem Telemark-Schwung bremste er inmitten der fliegenden Fahrt.“ (Prager Tagblatt Nr. 33 vom 2. Februar 1904)
Am zweiten Tag fanden zunächst die Kinder- und Jugendbewerbe im Schneeschuhlaufen und Rodeln statt. „[…] Der Vormittag gehörte den Jugendspielen. Wohl anderthalb Hundert Schulkinder zogen mit dem Rodelschlitten und 60 weitere mit den Bretteln bewaffnet hinter der Stadtkapelle her. Die Leistungen und die Gewandtheit der Kleinen waren förmlich verblüffend und lassen wohl ahnen, daß die heutige Jugend einst dieselbe Sicherheit auf dem Schneeschuh erreichen wird, wie die Norweger, die auch heute durch Wettergreens Produktionen verblüfften.“ (Prager Tagblatt)
Anschließend fanden die Rodelbewerbe wie das Gasselfahren für Traber und Gebrauchspferde, bei dem der Schlitten mit mindestens einer Person von einem Pferd gezogen wurde, Fiaker-Schlitten- und Bauernschlitten-Wettfahrten und das Snorekjöring statt.
Am dritten Tag wurden die Eislaufbewerbe, geleitet vom Wiener Eislaufverein mit Schnell- und Kunstlauf, sowie „der in Steiermark zum ersten Mal gezeigte Kampf zwischen Mannschaften ‚um den Ball am Eise‘ (Eis-Hockey-Spiel)“ (Grazer Volksblatt Nr. 52, 3. Februar 1904) abgehalten. Eisläufer aus Wien dominierten die Bewerbe, lediglich das Eishockeyspiel wurde von der Mannschaft aus Prag gewonnen.
Trotz des großen sportlichen Erfolgs und der zahlreichen Besucher/innen, die nach Mürzzuschlag kamen, war das finanzielle Defizit der Veranstaltung enorm. Die langfristige Auswirkung der Nordischen Spiele zeichnete sich in der Gründung vieler Wintersportvereine ab. Der Skilauf nahm in den weiteren Jahren deutlich zu, jeden Sonntag führte die Südbahn einen Sonderzug nach Mürzzuschlag, in dem Skier als Reisegepäck mitgeführt werden durften. 1905 sprang Alois Skazel, einer der ersten Berufsskilehrer Österreichs, dann sogar 24,7 m von der Ganzsteinsprungschanze und stellte mit diesem Sprung den neuen mitteleuropäischen Rekord auf. 1907 organisierte Heinrich Pokorny, Skilehrer und Wintersportbegleiter in Mürzzuschlag, mit Unterstützung Toni Schrufs den ersten norwegischen Schikurs unter der Leitung des norwegischen Lehrers Rasmus Dahl im Auersbachgraben.
Aufgrund immer häufigeren Schneemangels in der Region blieben die Touristen im Winter aus und auch Wettbewerbe konnten nicht mehr durchgeführt werden. In der Folge verlagerte sich der Skitourismus in Gegenden mit ausreichendem Schneevorkommen.
Schlagworte: Franz Josef Böhm | Steirische Geschichte