Wagnerarbeit: Führerhaus aus Holz für einen LKW,

Wagnerarbeit: Führerhaus aus Holz für einen LKW, 1950er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz Franz Lohr

16. November 2018 / Walter Feldbacher

Landesaufnahme(n): Das Rad dreht sich weiter – von der „Gefühlsstatik“ eines Wagnermeisters zur Produktion von Feuerwehrkraftfahrzeugen made in Styria

Museum für Geschichte

Auf der Suche nach steirischen Wirtschaftsgeschichten im Zuge des Projekts „Landesaufnahme II“ durften wir Franz Lohr in Hönigtal in der Gemeinde Kainbach bei Graz besuchen. Seine Passion gehört dem Wagnerhandwerk, seine Familiengeschichte und seine berufliche Laufbahn widerspiegeln eindrucksvoll den technischen Fortschritt mit all seinen Auswirkungen auf Berufsbilder und Wirtschaft im 20. Jahrhundert.

Obwohl sich Franz Lohr über Jahrzehnte dem Karosseriebau und der Automobiltechnik verschrieben hatte, ist es heute mehr denn je die Wagnerei mit ihrem Werkstoff Holz, die seine Augen zum Leuchten bringen. Fasziniert von der „Gefühlsstatik“ der einstigen Wagnermeister – da das Zusammenwirken von Druck, Traglast und Festigkeit des Materials nicht berechnet werden konnte, oblag es dem Gefühl des Wagners, über die Eignung des Holzes sowie über die richtigen Dimensionen zu entscheiden –, gibt Franz Lohr im Folgenden Einblicke in diese fast schon vergessene Handwerkstradition und dreht für uns ein wenig das Rad der Zeit zurück.

Franz Lohr aus Hönigtal in seiner Wagnerwerkstatt,

Franz Lohr aus Hönigtal in seiner Wagnerwerkstatt, 1990er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz

Über Jahrtausende wurden die Erzeugnisse des Wagners unter großen Anstrengungen von Hand gefertigt. Jedes Werkstück musste mit der Wagnerstockhacke zunächst aus dem Holz gespalten werden, um es dann mit Handsäge, Handhobel und weiteren Handwerkzeugen zum brauchbaren Produkt verarbeiten zu können. Vorwiegend wurde hierfür Laubholz verwendet (Esche, Eiche, Buche, Ulme, Akazie und Birke), vereinzelt auch Nadelholz wie Fichte, Lärche und Kiefer. Die Qualität des Holzes (Haltbarkeit und Festigkeit) sowie die fachgerechte Verarbeitung mussten an den Verwendungszweck angepasst werden. Nur trockenes Holz mit bis zu 15 % Feuchtigkeit – Grünholz hat einen Feuchtigkeitsgehalt von bis zu 60 % – eignet sich für die Wagnerarbeit.

Franz Lohr aus Hönigtal in seiner Wagnerwerkstatt

Franz Lohr aus Hönigtal in seiner Wagnerwerkstatt, 1990er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz

Das Berufsbild des Wagners

Beinahe in jeder Ortschaft waren früher Wagner und Schmiede sesshaft, nicht selten an Wegkreuzungen oder am Dorfrand. Über Jahrhunderte wurden sämtliche Fortbewegungsmittel vom Wagner konstruiert und hergestellt. Die Aufgabe des Schmiedes war es, am äußeren Umfang des Holzrades einen Eisenreifen aufzuziehen sowie die Achsen und Beschläge anzubringen. Im Schadensfall galt es, eiligst Reparaturen durchführen zu können. Diese Handwerker waren alle paar Kilometer anzutreffen, um den Fuhrleuten und Postkutschen die Weiterfahrt zu ermöglichen.

Zu den klassischen Erzeugnissen des Wagners zählten u. a. alle Arten von Fuhrwagen für die Landwirtschaft, Leiterwagen, Linzer-Wagen und Kaleschen, Eggen, Pflüge, Schubkarren, Sensenstiele, Rechen, Heugabeln sowie auch Wintersportgeräte wie Rodeln, Schi und Eisstöcke.

Formschöner Wagen aus der Werkstatt von Wagnermeister Franz Lohr, 1950er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz Franz Lohr

Leiterwagen für Kinder, gefertigt von Franz Lohr, undatiert, unbekannter Fotograf, Privatbesitz Franz Lohr

Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts stellten einige Wagnerbetriebe selbstkonstruierte Maschinen wie Bandsägen, Drechselbänke, Hobel- und Bohrmaschinen, angetrieben durch Elektromotoren, her. Für den Handwerker bedeutete das eine unglaubliche Veränderung, da die Erzeugnisse nun viel schneller und ohne große körperliche Anstrengung produziert werden konnten.

Somit erweiterte sich das Arbeitsgebiet des Wagners auch um die Herstellung von Kreissägen, Obstmühlen, Riemenscheiben und Transmissionen für den Antrieb weiterer Elektro- und Benzinmotoren.

Die Eisenbahn und das Automobil veränderten die Fortbewegung für Personen und Güter. Das luftbereifte Rad mit Stahlfelge verdrängte das hölzerne Rad, Omnibus und PKW ersetzten die Kutsche. Gab es 1953 in der Steiermark noch 608 selbstständige Wagnermeister und 104 Lehrlinge, zählt der „klassische“ Wagner heute zu den aussterbenden Berufen.

Der Wagner wird zum Karosseur

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging das Berufsbild des Wagners in jenem des Karosserie- und Fahrzeugbauers auf. Waren die ersten Automobilaufbauten meist vom Wagner gefertigte Holzkonstruktionen, wurde der Werkstoff Holz in dieser Branche bald vom Metall verdrängt.

Der Wagner als Karosseur musste viel dazulernen, um neue Erzeugnisse auf den Markt bringen zu können. Nach seiner Berechtigung durfte er nun alle Arten von Autoaufbauten und Sonderfahrzeugen herstellen sowie Havarieschäden bei Kraftfahrzeugen beseitigen und Lackierarbeiten durchführen.

Ähnlich erging es vielen Schmiedebetrieben, die als Kunstschmiede oder Landmaschinenbauer ein neues Betätigungsfeld fanden.

Firma Lohr in Hönigtal – Von der Wagnerei zum Feuerwehrfahrzeugbauer

Franz Lohrs Vater, gleichen Namens und 1893 in Höf geboren, erlernte das Wagnerhandwerk von 1912 bis 1915. Da er erst mit 19 Jahren als Lehrling in die Wagnerei Seidl in Eggersdorf eintrat, musste er an den Meister kein Lehrgeld bezahlen. Die Arbeitszeit dauerte damals von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr abends. Am Samstag war um 18 Uhr Feierabend, Mittagspause gab es nur für eine kurze Mahlzeit. Der Fortbildungsunterricht war damals nicht verpflichtend, Franz Lohr sen. hielt ihn aber für notwendig und besuchte daher an den Sonntagen die Fortbildungsschule in Gleisdorf. Viele Lehrlinge nahmen von dieser Möglichkeit Abstand, da ihnen unter Umständen dadurch eine Kündigung drohte. Nach seinem Kriegsdienst kehrte er 1918 malariakrank heim und ging zunächst auf Stör, d. h. er arbeitete beim jeweiligen Auftraggeber vor Ort. Sein Werkzeug musste er überall hin mitnehmen. Auf diese Art fertigte Franz Lohr sen. vor allem Fuhrwagen, Karren, Pflüge, Stiele und anderes Gerät für die umliegenden Bauern an. Im November 1922 bekam er den Gewerbeschein von der BH Weiz ausgestellt und erfüllte sich den Wunsch nach einem eigenen Betrieb.

Anfangs mietete er noch beim „Gasthof zum Kramerwirt“ (heute Großschedl) in Hönigtal einen Raum und fertigte ohne Maschinen diverse Werkstücke an.

Im Jahre 1926 konnte er schon für seine Werkstätte eine gebrauchte Bandsäge ankaufen, die er dank seines technischen Geschickes verwendungsfähig machen konnte. Die maschinelle Aufrüstung schritt rasch voran, wobei alle Maschinen – im Eigenbau hergestellt (!) – über eine Transmission von einem Motor angetrieben wurden.

Erst in den 1930er-Jahren wurde die motorische Kraft wirklich nutzbar gemacht. Die Elektro- und Ottomotoren verdrängten den Göpel (Kraftmaschine, die durch Wasserkraft, Windkraft oder Dampfkraft angetrieben wird). Viele Maschinen in der Landwirtschaft wurden nun über Transmissionen mit derartigen Motoren angetrieben. Meister Lohr verstand es vorzüglich, die genaue Drehzahl der Maschinen bzw. den Riemenscheibendurchmesser exakt zu berechnen. Das Anfertigen von Riemenscheiben und Transmissionen eröffnete ihm ein zusätzliches Geschäftsfeld. Neben den klassischen Wagnerarbeiten fanden sich auch Obstmühlen, Heugebläse, Kreissägen und Wintersportgeräte in seinem Sortiment. Meister Lohrs Erzeugnisse waren nicht nur solide und dauerhaft ausgeführt, sondern galten auch als besonders formschön.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte er vier Mitarbeiter und bildete Lehrlinge aus. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Geräten stieg enorm an, sodass der Neubau einer größeren Werkstätte notwendig geworden war.

Seine beiden Söhne erlernten ebenfalls das Wagnerhandwerk, Franz Lohr jun. von 1940 bis 1943. Nach fast zwei Jahren Kriegsdienst arbeitete er im elterlichen Betrieb weiter, wobei sein Interesse schon früh der Technik im Automobilbau galt und er deshalb in Wien auch die Karosseriebauschule besuchte. Von nun an wurden im Betrieb vermehrt Feuerwehrautos, luftbereifte Wagen und Anhänger, Autoaufbauten, Führerhäuser, Traktorverdecke produziert. So wurde im Hause Lohr durch Aufbau auf das Fahrgestell eines amerikanischen Militärfahrzeuges ein Feuerwehrauto für die Freiwillige Feuerwehr Kainbach/Schillingsdorf produziert.

Feuerwehrauto der FF Kaindorf/Schillingsdorf aus dem Hause Loh

Feuerwehrauto der FF Kaindorf/Schillingsdorf aus dem Hause Lohr, 1950er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz Franz Lohr

Feuerwehrauto der FF Windorf bei Graz aus dem Hause Lohr

Feuerwehrauto der FF Windorf bei Graz aus dem Hause Lohr, 1950er-Jahre, unbekannter Fotograf, Privatbesitz Franz Lohr

Franz Lohr jun. verließ im Jahre 1954 den elterlichen Betrieb und absolvierte die Lehramtsprüfung für Berufsschullehrer. Er gab sein Wissen und Können einige Jahre an die angehenden Wagner, später über 30 Jahre lang an Karosseure und Kraftfahrzeugmechaniker weiter.

Sein Bruder Hans Lohr ging von 1950 bis 1953 beim Vater in die Lehre, der 1961 in den wohlverdienten Ruhestand trat und 1976 verstarb.

Ab 1970 begann Hans Lohr mit der Herstellung von Feuerwehrfahrzeugen. Gemeinsam planten und bauten die beiden Brüder die ersten Einsatzfahrzeuge. 1973 bauten sie ein Feuerwehrauto für die FF Hart. Daraus wurde ein Betrieb nach modernsten technischen und kaufmännischen Gesichtspunkten mit über 100 Mitarbeitern, der bald weit über die Grenzen Österreichs hinaus Erfolg und Anerkennung fand. Spezialaufträge wie etwa ein Flughafenlöschfahrzeug für den Flughafen Graz 1994 folgten.

1997 wurde die Firma Lohr dem führenden europäischen Unternehmen in der Brandschutztechnik – IVECO MAGIRUS – angegliedert. Die nunmehrige MAGIRUS Lohr GmbH in Kaindorf bei Graz fertigt Magirus-Fahrzeuge für österreichische Feuerwehren, für Südtirol und benachbarte osteuropäische Länder und nimmt die Betreuung der Märkte der Alpenregion wahr. Besonders wertgeschätzt werden MAGIRUS-Lohr-Fahrzeuge für ihre hohe Qualität, Flexibilität und das Design, das den regionalen Anforderungen der Feuerwehren angepasst wird.

Quellen:

Franz Lohr in: Gernot Fournier, Viktor Hochfellner (Red.), Gemeinde Kainbach – Vergangenheit und Gegenwart, hg. von der Gemeinde Kainbach, 1997
Franz Lohr, Zwei ehrwürdige Handwerker einer langjährigen Geschichte – Das Wager- und Schmiedehandwerk, 2015/04
www.margirus-lohr.at

Kategorie: Museum für Geschichte
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