17. Juli 2013 / Christoph Pelzl
Wegmarken für einen Zögling
Zu den Unterrichtstafeln für die Erzherzöge Ferdinand Karl Anton und Maximilian Franz
Ganz anders war das in einer Welt, in der alles Stand und Privileg war – auch die Erziehung, ihre Art und vor allem ihre Ziele. Während wir uns heute eine moderne, weltoffene Erziehung wünschen – an Idealen dafür fehlt es wahrlich nicht – ging es den Dynastien Alteuropas darum, ihren Nachwuchs zur Erhaltung der Macht zu erziehen. Deshalb glaubten sie, den Kindern schon in jungen Jahren eine Unmenge an Stoff zumuten zu müssen, der von der Religion bis zu Schrift und Zahl reicht, von den Künsten bis zum Kriege – Wissen ist Macht, und Macht heißt in den Augen der Zeit Bestandsgarantie. Ferdinand Karl Anton, der zum Bestand der Dynastie beitragen soll, ist gerade einmal sechs Jahre alt, als diese Wissensflut über ihn hereinbricht.
Diesem bewahrenden, im Wortsinn konservativen Zweck dienten jene Erziehungstafeln von 1760, die das kaiserliche Elternpaar Maria Theresia und Franz I., Stephan für ihre jüngeren Kinder bei Philipp Rottenberg in Auftrag gaben und von Joseph-Charles Roëttiers auf das Prächtigste illustrieren ließen. Das mit bunten Szenen und Begriffen gleichermaßen gespickte Panorama, das dort ausgebreitet wird, ist ein durch und durch traditioneller Wertekanon. Es verwundert nicht, dass die überlieferte katholische Glaubenswelt, Fundament der habsburgischen Identität, eine tragende, ja dominante Rolle spielt.
Um den nicht enden wollenden Nachschub an Bildvorlagen muss man sich nicht sorgen: Die Druckerpressen der Freien Reichsstadt Augsburg beliefern alle Welt damit, so auch den Wiener Hof. Und gerade in jener Zeit, der Zeit des Rokoko, steht die Sakralkunst in hoher Blüte, v. a. in Süddeutschland und Österreich. Fast so, als wolle sie sich nicht um die beunruhigenden Fragen scheren, die im Lager der Aufklärung gestellt werden und den Strom der Kritik am Überlieferten unaufhaltsam anschwellen lassen.
So ungeheuer die Wissensfülle auch ist – gerade für ein sechsjähriges Kind – prunkvoll-barocke Gelehrtenstücke mit geradezu einschüchternden Gedankenkonstrukten hat Rottenberg nicht im Sinn gehabt, als er die Tafeln konzipierte. Es galt, nicht dem Intellekt eines Studierten zu schmeicheln, sondern die Neugier eines Kindes zu wecken – was wäre dafür besser geeignet als bunte Bilder mit spannenden Geschichten? Sie mögen dem jungen Erzherzog allein schon das Erlernen der schwierigen, durchweg lateinischen (!) Begriffe versüßt und ihn – bisweilen jedenfalls – dazu motiviert haben, noch mehr zu erfahren, wenn es nach den Absichten des Erzieher gegangen wäre. Dieser nämlich stellte dem Kind die Welt als Wunderschrank vor, der ungehobene Wissensschätze berge, die es mit Ausdauer und Geduld zu erforschen gelte.
Aber auch Habsburgerkinder sind nun einmal Kinder wie andere auch. Lernen ist anstrengend und ermüdet schnell. Aus den Quellen wissen wir, dass es an elterlichen Ermahnungen nicht gefehlt hat, wenn sich Überforderung einstellte. Vor allem Maria Theresia überzog ihre Kinder mit einem Strom an Äußerungen elterlicher Besorgnisse, bombardierte sie mit Briefen. Überbesorgte Eltern begehen mit bester Absicht manchen Fehler. All dem haftet etwas Tragisches an, denkt man an ihre Tochter Maria Antonia, die – 1770 an den Versailler Hof verheiratet – als Marie Antoinette zu trauriger Berühmtheit gelangen sollte. Doch konnte 1760 niemand ahnen, was 1789 und danach alles geschehen sollte.
Ulrich Becker
Sammlungskurator Kulturhistorische Sammlung
Schlagworte: Kulturhistorische Sammlung | Maria Theresia | Sammlungsobjekte