24. Januar 2014 / Elisabeth Fiedler
Nasan Tur – Der unbekannte Ritter
Basis dafür war eine eigens geschaffene Besteuerung aus dem Jahr 1480, die auch die Truppenaushebung regeln sollte. Zur zentralen Verwahrung von rund 32.000 Kriegsgeräten gaben die steirischen Landstände die Errichtung eines Landeszeughauses in Auftrag. Zwischen 1642 und 1644 realisierte der Baumeister Anton Solar dieses fünfstöckige und 52 Meter lange Gebäude im Zentrum der Stadt Graz. Die einzigen künstlerischen Akzente am frühbarocken Rustikaportal in der Herrengasse sind die den steirischen Panther flankierenden Monumentalstatuen der antiken Gottheiten Mars (Krieg) und Minerva (Wehrhaftigkeit und Strategie). Heute ist das Landeszeughaus die größte originale Rüstkammer der Welt.
Im Jahr 2011 wurde anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums des Universalmuseums Joanneum ein geladener Wettbewerb veranstaltet, der sich mit dem immer noch existierenden Geschichtsbild von Graz als „Bollwerk gegen den (Süd-)Osten“ sowie mit dem seit Jahrhunderten eingesetzten und hochstilisierten Feindbild „der Türken“ beschäftigte.
Zur Realisierung ausgewählt wurde schließlich die Arbeit Der unbekannte Ritter des in Berlin lebenden deutsch-türkischen Künstlers Nasan Tur: Ausgehend von Stereotypen – also eingelernten Vorurteilen mit festen Vorstellungsklischees – und dem kollektiven Unbewussten, das durch solche Stereotype gespeist und geprägt wird, entwickelte Nasan Tur eine erweiterte Ausdrucksform, basierend auf dem klassischen Skulpturenbegriff: Bronzefigur auf Sockel. Im Wissen darüber, dass Geschichte konstruiert wird, entwarf er die Figur des unbekannten Ritters, dessen eigene Geschichte und Herkunft ebenso wie sein Wirken und Sein geheimnisvoll erscheinen, als Figur völlig neu. Somit soll nicht nur Geschichte neu gedacht, Vergangenheit neu erfunden und der Mensch in seiner jeweiligen Einzigartigkeit neu gesehen und definiert werden, es soll auch die Sensibilität im Umgang mit unserer Zeit möglich werden.
In zwei Bronzeabgüssen des Künstlers, einmal als schlafende Figur und ein zweites Mal als Standbild – lediglich bekleidet oder „geschützt“ durch den Abguss eines Helms, eines Brustpanzers und, am Standbild, eines Schwertes – sowie mit Abgüssen von Spielzeugrüstungsteilen, die als Shop-Artikel aus Karton im Landeszeughaus zum Verkauf angeboten werden, thematisiert Nasan Tur mit seiner Arbeit Individualität und Anonymität sowie das Aussetzen der eigenen Persönlichkeit und völlige Schutzlosigkeit. So ist der auf dem Dach des Landeszeughauses schlafende Ritter jedem Angriff ausgeliefert, während er gleichzeitig durch seine ständige und gewaltlose Präsenz beschützt.
Als Standbild wird der klassischen Bronzeskulptur einerseits entsprochen, in der Verdeckung des Gesichtes wird jedoch die Identität des Dargestellten verunklärt und die Verletzlichkeit des Geistes angesprochen. In der schutzlosen Nacktheit des Dargestellten erscheint auch das Schwert weniger als Waffe, denn als Verweis auf die Verletzlichkeit des Körpers. Ursprünglich befand sich dieser Ritter in der Griesgasse auf dem rechten Mur-Ufer.
Die Armierung mittels Helm, Schwert, Brustpanzer und Schild wurde in einer ambivalenten Bedeutung abgelegt: einerseits als Zeichen des Verschwindens und der Entwaffnung, andererseits als entmenschlichtes Relikt und Zeugnis von Gewalt. Diese Skulptur stand ursprünglich beim Türkenbrunnen auf dem Schlossberg.
Nasan Tur gingt es nicht um das Schaffen eines überdimensionierten Monumentaldenkmals oder die Demonstration von Macht und Überlegenheit. Vielmehr interessiert ihn das Unheroische und die Verletzlichkeit des Menschen. Parallel dazu suchte der Künstler Kontakt zu jenen, die noch ohne historisches Bewusstsein neue Geschichte schreiben. Er suchte Kinder, die neue Möglichkeiten für die Existenz, das Dasein und das Verbleiben des unbekannten Ritters zu Geschichten formulieren, neu erzählen und damit Geschichte neu schreiben. Zusammengefasst wurden einige dieser Geschichten in einem Buch.
Da eine permanente Installation im öffentlichen Raum nicht genehmigt wurde, tragen die einzelnen Elemente dieser komplexen Arbeit nun im Foyer des Landeszeughauses versammelt ihre Wirkung nach außen. Auf diese Weise soll dazu angeregt werden, sich mit Grenzen, Kriegen oder der Schaffung von Feindbildern auseinanderzusetzen. Als Mahnmal der Menschlichkeit soll Der unbekannte Ritter diese Botschaft weitertragen und zu neuen Legenden anregen. Denn Politik der Erinnerung ist kein Prozess der Vergangenheit, sondern ein Thema, das unsere Gegenwart und Zukunft betrifft.
Text: Elisabeth Fiedler
Schlagworte: Sammlungsobjekte