24. August 2014 / Dr. Marion Hesse

Museen barrierefrei für alle – ein Abbau von Barrieren

Museumsakademie | Museumsalltag

Jeder Mensch hat das Anrecht, am kulturellen Leben teilzunehmen, egal welcher Herkunft, Alter, Religion, Weltanschauung oder sexueller Ausrichtung. Auch Menschen mit Behinderung wird nach dem Gesetz Kultur gleichberechtigt zuerkannt. Aber inwieweit ist dies immer gegeben?

Barrierefreie Ausstellung

Mit dieser Frage und dem Thema Barrierefreiheit beschäftige ich mich im Rahmen eines zweiwöchigen In-Residence-Forschungsaufenthaltes in der Museumsakademie Joanneum. Zu meiner Person sei Folgendes kurz gesagt: Ich habe als eine von zwei projektverantwortlichen Kuratoren eine barrierefreie und inklusive Ausstellung für Menschen mit und ohne Behinderung – jung und alt – entworfen. Sie trägt den Titel Museum der Sinne. Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben! und steht seit Ende März als Dauerausstellung im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim. Anlässlich der Ausstellungsvorbereitungen habe ich mich intensiv mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigt. Nun möchte ich meine Kenntnis erweitern und in den kollegialen Austausch treten.

Um dieser Aufgabe nachzukommen sind verschiedene Ansätze notwendig: So kann ich zunächst in der Museumsakademie in der vorhandenen Literatur zum Umgang mit dem Thema kultureller Gleichberechtigung in Österreich recherchieren und erhalte interessanten theoretischen Input. Des Weiteren betrachte ich die Ausstellungen und Kulturangebote, um schließlich auch mit Kollegen in den verschiedenen Häusern des Joanneums in Kontakt zu treten.

Praxisbeispiel Graz

Ein kleines Beispiel soll die Praxis erläutern: Ich beginne zu lesen, welche Gesetzesvorlagen es in Österreich zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Kultur und Gesellschaft gibt. Dann gehe ich in die Häuser, schaue, wie ein Besucher mit starker Sehbehinderung seinen Weg zu den Museen findet, wie er sich innerhalb des Museums orientieren kann und welche Möglichkeiten er dort hat, Kultur zu rezipieren. Ein anschließendes Gespräch mit den zuständigen Kollegen aus den Museen liefert die notwendige Hintergrundinformation und rückt alles in den thematischen Zusammenhang. Diese und viele ähnliche Fragen stelle ich nicht allein für blinde und sehbehinderte Besucher, sondern versuche dies auch aus der Perspektive von Menschen mit einer Hör- oder Mobilitätsbehinderung.

 

 

Was ich dabei in den verschiedenen Häusern des Joanneums vorfinde, ist vielfältig. So fallen mir zuerst die baulichen Umsetzungen von Ö-Normen auf, die sich beispielsweise auf Türbreiten für die Durchfahrt von Rollstuhlfahrern beziehen. Hinzu kommen spezielle Vermittlungsangebote für Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen, wie etwa das Angebot einer Blindenführung im Landeszeughaus, bei der Objekte von Menschen mit einer Sehbehinderung mit den Händen erfahren werden können. Hinzu kommen bei meinen Beobachtungen aber auch kleine Besonderheiten: So befindet sich vor dem Kunsthaus Graz ein 3-D-Modell des Gebäudes mitsamt seiner Einpassung in die Architektur des Häuserblockes. Ein Besucher hat hier die Möglichkeit, sich einen Überblick über das biomorphe Gebäude und seiner Ausdehnung im Stadtbild zu machen. Für blinde und sehbehinderte Menschen ist zusätzlich eine Beschriftung in Brailleschrift angebracht.

 

3-D-Modell des Kunsthaus Graz

3-D-Modell des Kunsthaus Graz, Foto: UMJ

 

Und genau dieses 3-D-Modell hilft mir einen großen Schritt in meiner Recherche weiter: Denn hier sehe ich an einem Tag eine Gruppe von Kindern stehen, die das Modell betasten und sich angeregt darüber unterhalten. Da wird mir besonders deutlich, dass die Schaffung von barrierefreien Angeboten nicht nur Menschen mit Behinderungen zugutekommen, sondern allen Menschen. Ich blicke mich um und finde viele solcher Beispiele im Joanneum, aber auch in ganz Graz.

Vielleicht mag dies an der besonderen Rolle von Graz liegen, das innovativ und weltoffen ist. Oder man versteht hier einfach besser, was sich für mich gerade erschlossen hat: Barrieren, die man abbauen möchte, findet man oftmals in den Köpfen der Leute, und daher ist es eine wichtige Aufgabe von Museen, zu sensibilisieren.

Bei mir hat es seine Wirkung nicht verfehlt. Ich habe es geschafft, wieder einen Teil meiner Barrieren abzubauen und festzustellen, dass nicht allein Menschen mit Behinderungen, sondern jeder Mensch seine persönlichen Bedürfnisse hat.

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Dr. Marion Hesse
Studium der Ägyptologie
wissenschaftliche Mitarbeiterin als Kulturhistorikerin am RPM

Publikationen:
– Marion Hesse: Die Privatgräber von Amarna – Zum Wandel des Grabgedankens in Zeiten eines religiösen Umbruchs; BAR Int. Series 2572; Oxford 2013 (Dissertation).
– Marion Hesse / Julia Kruse / Jürgen Vespermann: Hör-CD “Museum der Sinne. Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben!”, Hildesheim 2014 (Eigenproduktion des RPM)
– Marion Hesse / Regine Schulz: Barrierefreiheit und Inklusion im Roemer- und Pelizaeus-Museum (KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven, Heft 03/2014)

Dr. Marion Hesse ist Ägyptologin und Kuratorin der Ausstellung Museum der Sinne. Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben!

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