Sondierung am Dachboden zur Erforschung des Ballhaus, Foto: UMJ

7. August 2014 / Paul Schuster

Indiziensuche in herrschaftlichen Gemäuern: Schloss Eggenberg –Baugeschichte und Bauforschung

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Auf den ersten Blick erscheint Schloss Eggenberg wie der Inbegriff einer barocken Residenz – ein hoch repräsentativer, in einem Guss errichteter Neubau des 17. Jahrhunderts. Doch der Schein trügt. Hinter der barocken Fassade verbirgt sich ein viel älteres, bürgerliches Anwesen, von dem heute noch die spätgotische Marienkapelle übrig ist.

Auch mittelalterliche Portale, Fenster und Reste von Schießscharten wurden bei Restaurierungsarbeiten immer wieder entdeckt. Es sind jene bauhistorischen Puzzlesteine, aus denen das Bild von den architektonischen Anfängen des Schlosses rekonstruiert wird. Das Haus, das der Handelsmann, Münzmeister und Finanztycoon Balthasar Eggenberger im 15. Jahrhundert weit vor den Grazer Stadttoren errichten ließ, war beträchtlich größer, als man lange annahm. „Solche Bauten fand man zwar in Süddeutschland, in unserer Region aber war dieses ‚Landhaus’ singulär“, weiß Paul Schuster. Teile seiner ursprünglichen Bausubstanz sind bei der Fassadenrestaurierung vor 20 Jahren frei gelegt worden.

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Spätmittelalterliches Fenster des alten Eggenberger Schlosses. Noch heute treten einige ältere Bauteile aus dem 15. und 16. Jahrhundert ans Tageslicht. In den hinteren Trakten des Schlosses befinden sich ältere Fassaden, ein Portal und Fensterrahmungen mit farbiger Fassadengestaltung. 

Ohne Vorbild und Nachfolger

Neben der Erforschung der mittelalterlichen Bausubstanz des Schlosses geht es in Schusters wissenschaftlicher Arbeit auch um ein tieferes Verständnis der barocken Anlage, die mit dem Aufstieg der Eggenberger in den Fürstenstand im 17. Jahrhundert um den bürgerlichen Landsitz herum entstand. Wie dieser war auch das neue Barockschloss zu seiner Entstehungszeit einzigartig. „Zwischen 1625 und 1680 hatte im Gebiet der habsburgischen Erblande niemand sonst die Möglichkeiten und das Geld, sich ein neues Schloss nach diesen Standards bauen zu lassen“, erklärt Paul Schuster. Für die Eggenberger galt es also, einen im eigentlichen Wortsinn beispiellosen Prunkbau zu realisieren.

Jedem Zeitalter die passende Treppe

Vergleichbare Bauwerke gab es nur weit entfernt an den Habsburgischen Residenzen etwa in Spanien. „Das barocke Schloss Eggenberg ist eine Idee, für die es zumindest im näheren Umfeld weder reale Vorbilder noch Nachfolger gab“, so Schuster. Wahrscheinlich wurde deshalb lange Zeit auch das im Vergleich zur sonst strengen architektonischen Sprache des Baus sonderbar improvisiert wirkende Stiegenhaus als Eggenberger Eigenheit hingenommen. Paul Schuster aber machte diese architektonische Unzulänglichkeit stutzig: Er untersuchte die Stiegenhäuser eingehend und öffnete dafür sogar einen Fußboden. Der Aufwand wurde belohnt. Man entdeckte nämlich die Reste der ursprünglichen Treppenführung des barocken Neubaus, die Mitte des 19. Jahrhunderts völlig umgebaut worden war. „Der Barockbau verfügte über ein zentrales Portal im ersten Stock, das heute nicht mehr ins Stiegenhaus führt. Damals konnte man nur über dieses mit Garde gesicherte ‚Nadelöhr’ ins Treppenhaus und von dort in den zweiten Stock zu den offiziellsten Repräsentationsräumen gelangen“. Diese „Sicherheitsschleuse“ wurde in der Biedermeierzeit geschlossen und der gesamte Treppenlauf umgebaut.

Stiegenhausforschung, Foto: UMJ

Stiegenhausforschung, Foto: UMJ

2×24 Zimmer zum Repräsentieren

Noch nicht völlig geklärt ist die Funktion der enormen Eggenberger Zimmerfluchten: Wozu brauchte man pro Etage zwei mal 12 Räume, wenn selbst der Kaiser in Wien oder der König in Spanien zum Repräsentieren höchstens fünf benötigten? „Diese Anzahl an Zimmern ist für die Entstehungszeit von Schloss Eggenberg sehr ungewöhnlich. Bislang haben wir noch keine zufriedenstellende Erklärung dafür gefunden“, verweist Paul Schuster auf eine der offenen Fragen seiner Forschungsarbeit. Bislang weiß man nur, dass die Zimmer sukzessive von ihrem offiziellen Charakter verlieren, je weiter hinten sie liegen. Nicht nur die Positionierung der einzelnen Räume hatte eine hierarchische Funktion, auch die einzelnen Stockwerke verraten einiges über die Bedeutung ihrer Benutzer. So war der zweite Stock ursprünglich ausschließlich dem Kaiser vorbehalten, falls er gerade im Schloss weilte. Der erste Stock war die Empfangsetage des Hausherrn.

Das ungeklärte Vorleben der Schlosskirche

Rätsel gibt auch jener Saal auf, der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Schlosskirche umgebaut wurde. „Durch den Einbau des Kirchengewölbes entstand ein Hohlraum im Dachboden. Dort fanden wir Dekorations- und Stuckreste sowie eine Kartusche – Relikte, von denen wir uns Informationen über die Nutzung des ursprünglichen Saales erhoffen“, berichtet Paul Schuster. Vereinzelte Hinweise in zeitgenössischen Aufzeichnungen lassen eine frühere Verwendung als Theatersaal (Comedihauß) plausibel erscheinen. Die neuesten Informationen und Untersuchungen bringen aber auch eine Tennishalle ins Spiel.

Ein Ballenhauß für die Jeunesse dorée?

So tauchten erst kürzlich im Archiv des Schlosses Krumau Dokumente aus dem 17. Jahrhundert auf, die eine solche Vermutung nahe legen. Konkret handelt es sich um Rechnungsbücher sowie das Reisetagebuch zur Grand Tour der Fürstensöhne Johann Christian und Johann Seyfried von Eggenberg, die von einer großen Tennisleidenschaft der beiden jungen Adeligen zeugen. Tennis, damals Jeu de Paume genannt, war im 17. Jahrhundert ein beim Adel äußerst beliebter Sport und wurde in überdachten oder eingefriedeten Räumen gespielt. Da die Maße der späteren Schlosskirche genau jenen eines so genannten Ballenhaußes entsprechen, könnte sie also durchaus einst Spielplatz der Eggenberger-Sprösslinge gewesen sein. Oder auch eine fürstliche „Multifunktionshalle“, in der Theater- und Opernaufführungen stattfanden, wenn gerade nicht Jeu de Paume gespielt wurde. Sicheres aber weiß man (noch) nicht, weil das Archiv der Eggenberger im 19. Jahrhundert aus Platzgründen entsorgt wurde. So muss die Architektur eben selbst über ihre wechselnden Funktionen im Lauf der Jahrhunderte Auskunft geben. „Jetzt geht es darum, Indizien am Gebäude selbst zu finden“, wie es Paul Schuster formuliert. Der Erfolg hängt dabei wie im Detektivgeschäft generell vom genauen Blick des Beobachters, seinem Wissen, seiner Kombinationsgabe, seiner Neugierde und nicht zuletzt von glücklichen Zufällen ab. Bei der Jeu de Paume-Vermutung war es zum Beispiel ein unerwarteter Archivhinweis im heurigen Jänner, der den barocken Tennisball ins Rollen brachte.

 

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