Feuerwerk, Quelle: pixabay.com

31. Dezember 2014 / Eva Kreissl

Die letzte Nacht des Jahres

Volkskundemuseum

In der Silvesternacht werden im österreichischen Radio und Fernsehen die letzten Sekunden des alten Jahres gezählt, Partygäste begleiten diesen Countdown lautstark und um Punkt Mitternacht ertönt das Läuten der „Pummerin“. Feuerwerk und Korken knallen um die Wette, man stößt mit Sekt an und fällt einander um den Hals. Und dann ertönt der Donauwalzer – man begrüßt das Neue mit einem immer gleichen Ritual, in der Hoffnung, dass sich das Kommende an Vertrautes anlehne. Dieser medial unterstützte Brauch ist vergleichsweise jung und beruht auf der Annahme, das Jahr wechsle punktgenau von einer zur anderen Sekunde.

 

Glücksbringer im Volkskundemuseum, Foto: UMJ/N. Lackner

Glücksbringer im Volkskundemuseum, Foto: UMJ/N. Lackner

Die „Zwölften“

Um die Wurzeln des Brauchtermins zur Jahreswende zu verstehen, muss man sich jedoch genau von dieser Vorstellung lösen, beim Jahreswechsel handle es sich um einen Zeitpunkt. Jahrhundertelang galt der Jahreswechsel als ein Zeitraum, ein gemächlicher Übergang. Zwischen altem und neuen Jahr lag eine unsichere Zeit, in der das Alte zwar abgeschlossen war, das Neue jedoch noch nicht begonnen hatte: „die Zwölften“, also die zwölf Nächte oder Raunächte rings um die Weihnachtszeit.

Diese Passage erforderte spezielle Riten, die in unseren Augen etwas Mystisches und Unheimliches haben, doch von denen wir nicht wissen, wie mystisch und unheimlich sie einst wirklich empfunden wurden und wie sehr es vielleicht sehnsuchtsvolle Projektionen sind, die überkommene Bräuche mit jenem Nimbus des Archaischen und Schicksalhaften befrachten. Was Generationen von Volkskundlern vielleicht gar nicht nachvollziehen konnten, ist das Spielerische und Absichtslose, das Bräuche haben können, wenn sie nicht inszeniert werden, sondern sich einfach entwickeln dürfen.

Das Jahresende

Im Grunde erleben wir auch heute den Jahreswechsel als einen Zeitraum: Restarbeiten müssen „unbedingt noch vor Weihnachten“ fertig, Termine „auf jeden Fall noch heuer“ ausgemacht werden, zur Rekapitulation des vergangenen Jahres gibt es ab Mitte Dezember Jahresrückblicke und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen drängen sich Weihnachtsfeiern der Firmen und Vereine eng aneinander, sodass man die Räumlichkeiten am besten bereits im Sommer reserviert.

Und dann kommt tatsächlich Weihnachten mit seinen überladenen Ansprüchen an Romantik, Geborgenheit und Frieden, gefolgt von einem Stillstand der Zeit, der zu Silvester einen Höhepunkt findet und bis Dreikönig abebbt, um dann wieder dem Neubeginn aus Arbeit, Terminen und Hektik zu weichen. Wenn wir also über den Jahreswechsel reden, müssen wir diesen gesamten Zeitraum betrachten und nicht allein den Abend, an dem die Pummerin ertönt.

 

Doch wann beginnt das neue Jahr?

Der erste Januar ist zwar ein alter, aber war nie ein unbestrittener Termin, um das neue Jahr zu beginnen. Julius Cäsar hatte ihn im Jahre 45 v. Chr. im Zuge seiner Kalenderreform bestätigt. Doch in vielen Regionen wurde bis zu Beginn der Neuzeit der 1. oder der 25. März als Jahresbeginn festgelegt, schließlich war zu diesem Termin bereits spürbar, dass sich eine neue Jahreszeit einstellte. Länder wie Spanien, Frankreich, England und Deutschland hingegen begannen vor der Gregorianischen Kalenderreform 1582 ein neues Jahr mit der Geburt Christi am 25. Dezember und stellten sich erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte auf den 1. Jänner als Jahresbeginn um.

Der Kalendarische Jahresbeginn wurde immer auch beeinflusst durch den kosmischen der Wintersonnwende. Zu diesem Anlass feierte man im alten Rom die Saturnalien und am 25. Dezember ein Fest zu Ehren des Gottes Sol. Das Christgeburtsfest wurde nicht von ungefähr genau auf den gleichen Tag gelegt. Religiöses Erneuerungsdenken und jahreszeitliches Übergangsritual überlappten und ergänzten einander und wurden durch die Kalenderreform zusätzlich irritiert, sodass sich ein religiös besetzter Jahreswechsel über (mindestens) 12 Tage entwickelte.

Bräuche in den Raunächten

Daher tragen viele Weihnachtsbräuche den Charakter von Jahreswendbräuchen, die entsprechend christlich uminterpretiert oder vereinnahmt wurden. So werden etwa Orakelbräuche an alle vier wichtigen Raunächte geknüpft, also an die Thomasnacht, Heiligabend, Silvester oder die Perchtnacht am 5. Jänner. Dazu gehören Bräuche wie das Hütlheben, bei dem das Schicksal im kommenden Jahr anhand von unter Hüten versteckten Gegenständen befragt wird. Das Apfelschalenwerfen zur Eruierung der Initialen des Zukünftigen sowie das Span- oder Scheitlziehen, das dessen Wuchs und Aussehen voraussagt.

Oder auch das allseits beliebte Bleigießen, das ursprünglich mit Wachs durchgeführt wurde, wobei nicht die gegossene Figur selbst gedeutet wurde, sondern der Schatten, den sie bei entsprechender Beleuchtung an die Wand wirft. Solche Orakel waren ursprünglich Dienstbotenbräuche in der Thomasnacht zur Wintersonnwende, und zugleich der Tag, an dem die Bauern nach neuen Dienstleuten Ausschau hielten sowie die erste von vormals vier Raunächten.

 

Wäscheleine, Quelle: pixabay.com

Wäscheleine, Quelle: pixabay.com

Knoblauch, Wäscheleinen und sprechende Tiere

Wetterorakel, bei denen aus zwölf gesalzenen und nummerierten Knoblauchzehen das Wetter der kommenden zwölf Monate abgelesen wurde, sind eher zur Christnacht bekannt. In dieser Nacht soll ja auch das Vieh sprechen, was weniger auf Ochs und Esel bei der Krippe zurückzuführen ist, sondern ein Motiv der verkehrten Welt darstellt, die heute eher im Fasching zum Tragen kommt, ursprünglich aber die römischen Saturnalien zur Jahreswende prägte. Die Warnung, in der Christnacht oder zu Silvester keine Wäsche hängen zu lassen, bezieht sich auch auf einen Jahreswendbrauch, der sicherstellen sollte, dass keine unerledigten Arbeiten ins neue Jahr mitgeschleppt werden.

Die Geister gut stimmen

In den letzten Jahren wird das Räuchern sowohl in der Silvesternacht als auch in den anderen Raunächten immer beliebter. Der vorchristliche Reinigungsbrauch, der zum christlichen Segensbrauch mutierte, wurde durch esoterische fernöstliche Rituale neu inspiriert und mit allerhand Bedeutungen von Dämonenabwehr und Besänftigung von Geistern aufgeladen – und das von Menschen, die den Rest des Jahres kaum von Dämonenglauben geplagt werden. Auch Silvesterknallereien und Feuerwerk sollen angeblich der Abwehr des Bösen dienen. Man fragt sich nur, ob die Jugendlichen, die bereits kurz nach Weihnachten, spätestens aber am Nachmittag vor Silvester oft recht unbedarft mit Feuerwerkskörpern die Gegend laut und unsicher machen, diese Absicht tragen oder vielleicht ähnlich ihren Vorfahren einfach Spaß an diesem Lärm haben.

Jeder begrüßt das Neue auf seine Weise. Der eine liebt einen besinnlichen Übergang, die andere tanzt ins neue Jahr. Einige essen gut mit Freunden, andere dürstet es nach einer wilden Party und angesichts enttäuschter Erwartungen an ein schwungvolles und unvergessliches Fest werden immer mehr Menschen zu Silvester-Verweigerern. Die meisten aber halten es mit einem der wichtigsten Brauchmotive schlechthin, das Miss Sophie in dem in halb Europa beliebten Sketch „Dinner for One“ liefert: „The same procedure as every year, James.“

 

Text: Eva Kreissl

Kategorie: Volkskundemuseum
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