Stifterbild Abt Valentin Pierers vom Großen Mariazeller Wunderaltar, um 1518/1522, Alte Galerie am UMJ

6. März 2013 / Ulrich Becker

Auf den Spuren eines steirischen Mäzens

Forschung

Ohne große Gönner können wir uns die Kunstgeschichte Europas zwischen Mittelalter und Neuzeit nicht vorstellen. Wir haben sofort das Bild jenes idealen Renaissancefürsten vor Augen, der nüchternes Geschäft und kultivierte Muße, negotium und otium, miteinander zu verbinden wusste.

Nicht eben kurz ist die Reihe jener Päpste, Fürsten und Patrizier, deren Nachleben sich nicht selten großzügiger Kunstförderung verdankt.
Der Steiermark mag zwar „keines Medicäers Güte“ (Schiller) gelächelt haben, aber an tatkräftigen Mäzenen hat es auch hier nicht gefehlt. Manchmal sind es nicht nur die großen Werke, sondern die kleinen Objekte, die von einer sehr persönliche Spur in der Geschichte zeugen und schon recht früh eine Kulturgeschichte des Privaten belegen. Eine solche Spur ist ein zierlich gearbeitetes, reich bemaltes Kästchen, dessen Wappenschmuck den Besitzer verrät: Valentin Pierer, Abt von St. Lambrecht (reg. 1518-1541). Das 1519 datierte Miniaturmöbel zählt zu jener kleinen, aber feinen Auswahl großer wie kleiner Behältnisse, die zum Fundus der Kulturhistorischen Sammlung zählen und derzeit im Museum im Palais vorgestellt werden.

 

Kästchen Eisen geschmiedet, bemalt, 1519, Foto: UMJ / Delic

Für ein kulturhistorisches Museum ist ein ausgesprochener Glücksfall, wenn ein Objekt nicht nur für sich spricht, sondern auch noch den Weg zu einer wichtigen Persönlichkeit der steirischen Geschichte weist: Als Abt des Benediktinerstiftes St. Lambrecht entfaltete Valentin Pierer eine überaus lebhafte mäzenatische Aktivität, ganz nach Art zeitgenössischer Renaissancefürsten. Auch eine Rüstkammer ließ er einrichten, wohl wissend, dass in Zeiten vielfältiger Bedrohungen, v.a. osmanischer Invasionen (immerhin war Sultan Süleyman der Prächtige, sein Zeitgenosse!) ein abgelegenes Kloster erst einmal auf sich selbst gestellt war.

Bekannter sind freilich die Tafelbilder, die für St. Lambrecht entstanden, und die Abt Pierer einen Platz in der Kunstgeschichte gesichert haben.

So geht eines der bedeutendsten kulturhistorischen Zeugnisse des Landes und damit auch einer der wichtigsten Schätze des Joanneums auf ihn zurück: der „Große Mariazeller Wunderaltar“.

 

Große Mariazeller Wunderaltar um 1518/1522, aufgeklappt, Alte Galerie am UMJ

Die noch junge Institution hat diesen Zuwachs wiederum einem anderen Gönner des Hauses und Reformer des Landes zu verdanken: Landeshauptmann Ignaz Graf Attems (1774-1861). Dieser übergab 1820 dem damaligen Galeriedirektor Josef August Stark als Leihgabe „48 Scenen aus Mariazell“, die laut einem (jüngst aufgefundenen) Empfangsschein aus der „altdeutschen Schule“ stammten. 1833 schließlich wurde eine Schenkung daraus, und das Museum durfte diese gemalte Chronik der Mariazeller Wundertaten sein Eigen nennen, ein „Mirakeljournal“ ersten Ranges, das wie kaum ein anderes steirisches Kunstwerk die religiöse Einstellung einer ganzen Epoche ebenso anschaulich wie drastisch schildert.

Die späte Gotik hatte an die Renaissance die Tradition des Stifterbildes weitergegeben: Es war üblich, humilitas, christliche Demut und Bescheidenheit, durch eine untergeordnete Position des Stifters im Gesamtbild oder gar durch Reduktion des Körpermaßstabes, (sog. Bedeutungsgröße) auszudrücken. Pierer hat sich für ersteres entscheiden. Und so kniet er dann auch in vollem Ornat mit pedum (Krummstab), goldbesticktem pluviale (Chormantel) und Mitra, seine Würde als Vorsteher eines reichen Stiftes vor den dunkel gewandeten Mitbrüdern gebührend betonend, wenngleich nur in der untersten Reihe des linken Außenflügels, also der Werktagsseite.

 

Stifterbild Abt Valentin Pierers vom Großen Mariazeller Wunderaltar, um 1518/1522,
Alte Galerie am UMJ

Wer der Künstler war, ist weiterhin unbekannt, das gilt auch für das Grazer Kästchen. Die Epoche unterschied noch nicht scharf zwischen „Kunst“ und „Kunstgewerbe“: Es war durchaus möglich, dass ein und dieselbe Werkstatt sowohl monumentale Tafelwerke als auch kleinformatige Arbeiten lieferte.

Das jetzt gezeigte Kästchen konnte erst 1935 aus Grazer Privatbesitz erworben werden. Ein Kästchen ist nichts anderes als eine Truhe en miniature. Bereits im Mittelalter in Benutzung, sollten Truhen in der Renaissance als großes horizontales Aufbewahrungsmöbel, in Italien cassone genannt, allgegenwärtig werden. In fast jeder größeren kunstgewerblichen Sammlung lässt sich dieser Typus studieren. Am Grazer Kästchen ist die Zeitenwende klar ablesbar, ebenfalls en miniature: Die Füße weisen noch spätgotisches Fischblasenornament in durchbrochener Form auf, was dem Stück besondere Eleganz verleiht. Ansonsten aber ist der Geist der Renaissance spürbar, wie die antikischen Füllhörner auf dem Corpus zeigen (das große „L“ verweist auf den Abteipatron, den hl. Lambertus). Ganz neuzeitlich, feiern sie den unter glücklicher, planvoller Regierung erzielten Überfluss (ubertas), die Schulden natürlich nicht. Die Widderköpfe markieren die Führerrolle eines selbstbewussten Stiftsvorstehers, wir würden heute von einem CEO sprechen. So hat in der Frühen Neuzeit – ganz unmerklich – die Moderne begonnen.

Ausstellung: Verschließen und Bewahren. Kästchen und Truhen aus der Kulturhistorischen Sammlung

Laufzeit: 07.02.-21.04.2013

Kategorie: Forschung
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