Vorstellung und Abbildung

Der menschliche Blick auf die Natur entsteht immer wieder neu: Wahrnehmungen, Erfahrungen und Weltbilder prägen unser Bild. Naturraum und Landschaft existieren demnach nicht an und für sich, sie werden in jeder Generation neu konstruiert.

Die Mur galt in den letzten Jahrhunderten als gefährlicher, aber auch als magischer und idyllischer Ort. Sie war Ressource und Forschungsgegenstand, als gefährdeter Naturraum geschützt und als Tourismusdestination begehrt. Massenhaft verbreitet wurden diese Bilder über die Medien der jeweiligen Zeit: von Sagen über Ansichtskarten bis hin zu Presseberichten. 

Der sagenumwobene Fluss

Sagen sind fantastische, zunächst mündlich weitergegebene Geschichten. Ihre Stoffe und Motive wiederholen sich, sie beziehen aber auch historische Ereignisse, Personen oder Orte mit ein. Deswegen können sie den Eindruck erwecken, Berichte mit wahrem Kern zu sein. Die Mur erscheint in Sagen, wie andere Flüsse auch, als unangenehmer Ort: von magischen Wesen und ungeheuren Mächten kontrolliert und entsprechend geheimnisvoll. Die Menschen stehen dem Fluss machtlos gegenüber und fürchten sich vor ihm.

 

Illustration Sagen an der Mur, UMJ/A. Weishaupt

Der Fluss als Naturgewalt

In Sagen wird die Gewalt des Flusses mit geheimen Kräften erklärt. Für die römisch-katholische Kirche spricht aus der bedrohlichen Wasserkraft der Wille Gottes. Auch in den Berichten zu Hochwassern erscheint die Mur als gewaltig, unheilvoll und bedrohlich. Die Abbildungen aus dem Jahr 1827 zeigen die Mur außer Kontrolle: Straßen und Plätze sind überflutet, ganze Stadtteile überschwemmt, Häuser zerstört und das Leben von Menschen und Tieren gefährdet.

Joseph Kuwasseg, Ansicht der fliegenden Brücke ausser dem Sackthore in Grätz, 1827, Steiermärkisches Landesarchiv

Wappen als Ausdruck städtischer Identität

Die Mur prägt auch wesentlich die Identität von Orten und Städten. Das wird etwa in Wappen deutlich, die einen Ort symbolisieren. Wappen sind inhaltlich und formal sehr reduziert und daher oft auf Andeutungen historischer Ereignisse oder Charakteristika eines Ortes konzentriert. Die Lage am Fluss kann ein solches Kennzeichen einer Stadt sein. Als geschwungene Linie, mit Brücke, Wasserrad oder Fischen ist die Mur in steirischen, slowenischen und kroatischen Wappen vertreten.

Die Mur als Teil der wehrhaften Stadt

Die Mur in Karten

Im 16. und 17. Jahrhundert taucht die Mur im militärischen Kontext, als Element und Rahmen wehrhafter Städte auf. Befestigungsanlagen entstehen in dieser Zeit vor dem Hintergrund einer bestimmten politischen Situation und Waffentechnik. Ihre bildliche Dokumentation ist Teil der städtischen Selbstvergewisserung als uneinnehmbare Orte.

Mit der Veränderung der Waffentechnik büßen die mittelalterlichen und neuzeitlichen Mauern und Befestigungsarchitekturen ihre Wirkmächtigkeit ein. Im 19. Jahrhundert werden sie  auch durch Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen  abgetragen. Mit ihnen verschwindet auch die „wehrhafte Mur“ aus Stadtansichten.

Georg Matthäus Vischer, Murau, 1681, Steiermärkisches Landesarchiv

Landkarten schaffen Bilder und Vorstellungen. Sie sind ein wichtiges Orientierungs- und Kommunikationsmedium, aber niemals neutral: Sie reduzieren die komplexe Wirklichkeit auf eine gewünschte Aussage, zeigen den Wissensstand ihrer Zeit und verraten, welche Informationen sowohl für die Autoren als auch Adressaten einer Karte relevant waren. Die in der Ausstellung präsentierten Karten zeigen den frühen kartografischen Blick auf die Steiermark und die Mur.

Wussten Sie schon?

Die älteste Karte des Landes entstand 1561.



Die älteste Karte des Landes stammt von Wolfgang Lazius (1561). Ihr Kreisformat zeigt den universellen Herrschaftsanspruch der Habsburger, im Zentrum steht die Steiermark. Elemente, die aus heutiger Sicht fehlerhaft sind, kann man auf das unkonventionelle Format sowie auf den damaligen Wissensstand zurückführen. Die dekorativ gestaltete Karte zeigt wichtige Orte und Bauwerke, z. B. die Murbrücken in Graz, Leoben, Bruck, Mureck und Radkersburg. 

Rund 100 Jahre später, im Jahr 1678, zeigte Georg Matthäus Vischer „seine“ Steiermark: Hinweise auf Bergbau, Hüttenwesen, Fischerei, Flößerei, Salzvorkommen und Weinbau loben ein fruchtbares Land mit florierender Wirtschaft. Neben Dörfern, Märkten und Städten sind auch hier die Murbrücken eingetragen.

Die dritte Karte stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert, sie ist besonders der Mur rund um Radkersburg gewidmet: Im Mittelalter verlief ihr Hauptarm nördlich und östlich der Stadt, im 16. Jahrhundert brach ein zweiter Arm zwischen Stadt und Schlossberg durch, er brachte die Stadt in eine Insellage. Diese Karte vereint Geschichte und Gegenwart, indem sie sowohl den alten als auch den neuen Flussverlauf zeigt. Bemerkenswert sind auch die markierten Mühlen auf und an der Mur. 

Radkersburg, Beginn des 18. Jh., Steiermärkisches Landesarchiv

Der wissenschaftliche Blick des 19. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert wurde die Steiermark statistisch erfasst. Karten ermöglichten es, das Land neu zu überblicken. In der Ausstellung sind neben der Karte zur Triangulirung des Muhrfluszes durch Steyermark von Jahr 1809–1815 mehrere Abschnitte der sogenannte Murstromkarte zu sehen. Neu an ihnen ist, dass der Fluss erstmals im Mittelpunkt steht. 

Von Fixpunkten aus wurde er genau vermessen, in seinem Verlauf und seiner Ausdehnung präzise dokumentiert. Dahinter stehen praktische Überlegungen: Der Fluss sollte berechenbar und überschaubar gemacht werden, um ihn z. B. für Transporte besser nutzen und auch regulieren zu können. 

Der romantische Blick auf die Mur

Karl Ludwig Vierbeck, Der Marckt Tamsweg im Lungau im Salzburgischen, um 1820, Österreichische Nationalbibliothek

Als Gegenbewegung zum mechanisierten Weltbild der Aufklärung entstand um 1800 die Romantik. Ihre Vertreter standen dem technischen Fortschritt skeptisch gegenüber und forderten die Rückbesinnung des Menschen auf die Natur. In dieser Gegenbewegung wird die Landschaft neu entdeckt, sie dient als emotionaler und ästhetischer Gegenpol: Natur wird zur „schönen Landschaft“, mit der sich der Mensch im harmonischen Miteinander verbindet.

Aus dieser Perspektive geht auch von der Mur keine Gefahr mehr aus: Sie ist Idylle und paradiesischer Wohlfühlort. Den idyllischen Fluss gibt es nicht nur auf dem Land. Auch in modernen Städten, die sich nun herausbilden, wird er zum tragenden Bestandteil der städtischen Identität. Im Fall von Graz wird deutlich, dass die Stadt ihre spezielle Prägung und Qualität erst durch die Mur erhält. Der Fluss wird in literarischen und bildlichen Darstellungen zelebriert und als Kulisse des neuen städtischen Lebens inszeniert. 

Bruck an der Mur, um 1880, Steiermärkisches Landesarchiv

Natur und Technik im Einklang

Ein weitreichender Glaube an den Fortschritt und die Technik prägt das 19. Jahrhundert. Auch in Naturdarstellungen erscheinen Zeichen der Ingenieurskunst als Sinnbild einer neuen Zeit. Wie selbstverständlich fügen sich technische Errungenschaften in ein harmonisches Ganzes ein. Auch die Eisenbahn ist malerisch in die Landschaft eingebettet: Kraftvoll und stolz vermittelt sie Dynamik, ohne die idyllische Erscheinung von Stadt, Land und Fluss zu stören.  

Frühe Fotografie

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Fotografie zu einem wichtigen Bild- und Dokumentationsmedium, das auch den Blick auf die Mur verändert. Zwei Fotografen hielten schon früh die Mur im  städtischen Raum von Graz fest: Johann Bosch war Mitte des 19. Jahrhunderts als Fotograf in Graz tätig. Von ihm stammt eine ganze Serie von Aufnahmen der Stadt, aber auch der Steiermark. In seinen Fotografien setzte er auf bekannte Perspektiven und topografische Dominanten: den Uhrturm, den Schlossberg, die Mur und die Hauptbrücke. Er fotografierte aber auch neue Gebäude und Änderungen im Stadtbild.

Leopold Bude hat Graz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fotografisch dokumentiert: Bekannt sind rund 400 Fotos, in denen er vor allem die baulichen Veränderungen  der Stadt festgehalten hat. Seinen Arbeiten wohnt ein denkmalpflegerisches Moment inne: das Bewahren verschwindender Gebäude und Straßen für die Nachwelt. 

Natur im Ansichtskartenformat

Mit der Wende zum 20. Jahrhundert prägt ein neues Massenmedium den Blick auf die Mur: die Ansichtskarte. Normiert im Format, seriell produziert und mit wiederkehrendem Inhalt, schreibt sie erfolgreich das Bild der modernen Städte mit. Ansichtskarten dokumentieren städtebauliche Entwicklungen, städtisches Leben und bedeutende Ereignisse.

Bei aller Dynamik der aufkommenden Moderne erscheinen die Murvorstädte und Murlandschaften hier als beschauliche Idyllen. So wird der romantische Blick des 19. Jahrhunderts fortgeschrieben, in dem die Mur als atmosphärisches Moment eine tragende Rolle spielt. 

 

Herbert Walter Türk, Alfred Wall, Schatztruhe des Urlaubs, Steiermark, Graz 1955, Steiermärkisches Landesarchiv

Der touristische Blick

Der touristische Blick wurde nicht erst im 20. Jahrhundert eingeübt. Spätestens ab dem 18. Jahrhundert wird die Mur in der Reiseliteratur gezielt für Gäste „aufbereitet“: Der Fluss wird als landschaftlich, kulturell oder historisch bemerkenswert herausgestellt. So wird die Mur zum Bestandteil einer prachtvollen Landschaft. Sie sorgt für Erholung und Erfrischung, ermöglicht sportliche Aktivität in einem ansprechenden Umfeld, garantiert aber auch kultivierte Wildheit – in einem Rahmen, den erst die Zivilisation ermöglichen kann.

Abwassereinleitung in die Mur, um 1980, Privatsammlung UP Dr. Peter Kauch, TU Graz

Der verschmutzte Fluss

In den 1980er-Jahren wird die Mur vor allem als ein verschmutzter und zerstörter Fluss thematisiert. Die Schaumkronen auf dem Wasser sind deutlich sichtbar, tote Fische nicht länger zu ignorieren. Printmedien, Radio und Fernsehen bringen den verletzlichen Fluss als Opfer der Industriegeschichte in die Wohnzimmer und ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung.

Museum für Geschichte

Sackstraße 16
8010 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9800
geschichte@museum-joanneum.at

 

Öffnungszeiten


Di-So, Feiertag 10 - 18 Uhr

 

24. bis 25. Dezember 2023