Die Grazer Burg

Beitrag von Ulrich Becker

Seit Jahrhunderten ist Graz Hauptstadt, also Regierungs- und Verwaltungszentrum. Architektonisch findet dies allen voran in der Grazer Burg am Rand der historischen Stadt Ausdruck, die im 15. und 16. Jahrhundert zur fürstlichen Residenz ausgebaut wird.

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In der Frühen Neuzeit residiert hier ein Angehöriger des Hauses Habsburg, der im Kleinen seine Macht im städtischen Raum ausübt: Von der Residenz aus erstreckt sich sein Netz bis hin zum Landhaus und zu den repräsentativen Wohnsitzen der tonangebenden Familien.

Im Großen wird von hier aus die gesamte habsburgische Ländergruppe „Innerösterreich“ regiert: ein politischer Raum und Herrschaftsbereich südlich des Semmerings, zu dem die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain, die Grafschaften Görz und Gradisca sowie die ehemalige Reichsstadt Triest mit ihrem Umland gehören.

Was wird von der Grazer Burg aus regiert?

Innerösterreich ‒ dieser Name fasst die habsburgischen Länder südlich des Semmering zusammen: die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain, die Grafschaften Görz und Gradisca sowie die ehemalige Reichsstadt Triest mit ihrem Umland. Als politische Einheit existierte Innerösterreich im Übergang vom 14. ins 15. Jahrhundert schon einmal. Nun entsteht es erneut. Seine Regierung und Verwaltung überträgt der Wiener Hof einem Angehörigen der Dynastie. 1564 tritt Erzherzog Karl II. in Graz sein Amt an. Ihm folgt sein Sohn Ferdinand II. nach. 1619 zum Kaiser gekrönt, verlegt dieser seine Residenz nach Wien. Die Burg verliert ihre Funktion als Sitz des Landesfürsten.

Als Zentrum von Innerösterreich unterhält Graz eigene Behörden: So die Geheime Hofstelle, die Hofkammer und den Hofkriegsrat, der in erster Linie für den Grenzschutz zuständig ist. Reichstag und Kurie beschickt man mit eigenen Gesandten. Nach 1619 übersiedeln diese Behörden wieder nach Wien.

Graz ist aber nicht nur Regierungs- und Verwaltungssitz. Es ist kultureller Sammel- und Kristallisationspunkt für einen ganzen Raum. Aus dem Süden dringt die Renaissance sukzessive nach Mitteleuropa vor.  Ihre v.a. aus Oberitalien stammenden Künstler und Architekten begründen eine neue Baukultur in Graz und auf den Landsitzen des Adels, wo ein echtes Wettbewerbsklima entsteht. Auch Musik- und Kunstleben am Grazer Hof bringen Menschen und neue Eindrücke aus Europa ins Land. Das Engagement der Baumeister an der Militärgrenze trägt den neuen Stil nach Südosten.

Wo im Grazer Stadtraum liegt die Burg?

Die Burg liegt im Osten der Grazer Altstadt, an der ehemaligen Stadtmauer. Im Spätmittelalter steht hier ein landesfürstlicher Meierhof. Im 15. Jahrhundert wird eine Stadtburg errichtet. Aus Sicherheitsgründen wird ein gedeckter Verbindungsgang zur Festung am Schloßberg angelegt. So kann der Landesfürst im Bedrohungsfall dorthin ausweichen.

Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit werden fürstliche Residenzen häufig am Stadtrand angelegt. Hier können im Sinne der bestmöglichen Verteidigung bestehende Befestigungsanlagen einbezogen werden. Sorge bereitet dabei nicht nur die mögliche Bedrohung von außen, sondern auch Revolten der eigenen Untertanen!

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Was zeichnet eine spätmittelalterliche Burg aus?

Eine spätmittelalterliche Burg, die auch als Herrschersitz dient, vereint vor allem zwei Eigenschaften: Wehrhaftigkeit und repräsentatives Aussehen. Im Mittelalter wird die Notwendigkeit der Verteidigung stark betont. Dies drückt sich in festen, abweisend wirkenden Mauern aus. Auffällige, außen wie innen angebrachte Wappen stehen für die Legitimität der Herrschaft.

Dementsprechend bietet die im 15. Jahrhundert unter Friedrich III. und Maximilian I. ausgebaute Grazer Burg einen eher schlichten Anblick. Der Bauprozess verläuft ökonomisch: Im Osten wird die Stadtmauer einbezogen. Nirgendwo gibt es eine prächtige Schaufront, eine facciata, um Gäste und Untertanen zu beeindrucken. Der sparsame Baudekor ist im Stil der Spätgotik gehalten, wie sie in Österreich überall auftritt. Wiederkehrend findet sich die „Urhebermarke“ Friedrichs III.: die Buchstabenfolge „AEIOU“. Die Hauptwirkung der Burg geht von der kompakten, durch vergleichsweise wenige Fenster aufgelockerten Baumasse aus. Dank einer brückenartigen Verbindung bildet sie mit der ehemaligen Hofkirche St. Ägyd, dem heutigen Dom, eine stadtbeherrschende Anlage.

Im Inneren der Burg finden sich Räume mit hohem Anspruch, technisch wie künstlerisch: die netzgewölbte Burgkapelle Friedrichs III. und die berühmte Doppelwendeltreppe Maximilians I.

Interview Zechner

Bauen heißt auch Abbrechen: Fragmente der Grazer Burg

Wenn ein Gebäude verändert wird, verschwindet im Regelfall die große Masse der Steine und Ziegel. Portalrahmen und Bögen, Gewölberippen oder Wappen dagegen werden wenigsten teilweise geborgen. Im Laufe der Baugeschichte der Grazer Burg wurden Teile der Anlage niedergelegt. Die erhaltenen Architekturfragmente aus Gotik und Renaissance belegen den hohen Standard der höfischen Baukultur in der Steiermark.

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Was macht eine repräsentative Burg aus?

Unter Erzherzog Karl II. wird die Burg nach 1570 zur Residenz. Ein neues „Palastgebäude“ und ein „Registraturtrakt“ entstehen. Hinzu kommen Gartenanlagen mit eigens importierten exotischen Pflanzen. Sogar eine Menagerie mit Löwen, Tigern und Bären gibt es. Leitungen aus Holz und mehrere Brunnen sorgen für Trinkwasser. Eine neue Hofkapelle wird eingerichtet, wie es einer Dynastie zukommt, die sich als Vorkämpferin des katholischen Glaubens versteht. Auch die verfeinerte höfische Kultur kommt nicht zu kurz: Um 1600 entstehen Schatzkammer und Bibliothek.

Ein neuer Geist zeigt sich nicht nur in neuen Räumen, sondern auch einem neuen Stil, der italienischen Renaissance. Ihr an der Antike orientierter Formenschatz erfordert ausländische Handwerker. Mitte des 16. Jahrhunderts werden „welsche“, d.h. aus Italien stammende Baumeister und Steinmetzen nach Graz berufen. Unter ihnen findet sich Domenico dell´Aglio, der die Burg um ein Portal und eine Prunkstiege bereichert. Die strenge Architektur wird durch die Umbauten der Zeit sichtlich verändert. Aus gotischen Burgen sollen Palazzi „all’ italiana“ werden.

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Welche Funktionen muss die Architektur der Burg aufnehmen?

Die Residenz der Frühen Neuzeit ist nicht nur Wohnstätte des Herrschers und damit Schauplatz eines repräsentativen Hoflebens. Sie ist zugleich Sitz der Verwaltung. Die Neuzeit bringt ein neues Verständnis von Herrschaft und führt zu einer Ausdifferenzierung der Bürokratie. Von nun an gilt es, für den Herrscher nicht mehr nur das Schwert, sondern auch die Feder zu führen. Schon im Spätmittelalter tritt neben den waffenkundigen Ritter eine neue Elite. Sie ist schrift- und rechtskundig, eine Vorform des modernen Beamtenstaates. Solche Stellen werden für entsprechend Begabte zusehends attraktiv. Die Bedeutung der Verwaltung findet in der Burg räumlich ihren Niederschlag, etwa im „Registraturtrakt“, der im späten 16. Jahrhundert errichtet wird.

Aber nicht nur Juristen und Schreiber finden Verwendung. Unentbehrlich sind auch Dienstleistungen auf den Gebieten der Sicherheit, Logistik und Nachrichtenübermittlung: Trabanten, Stallpersonal und Boten. So tritt der Hof in eine neue Rolle: Er wird zu einem Arbeitgeber und zum Arbeitsplatz für viele.

Unter Maria Theresia wird die Verwaltung zentralisiert, die Grazer Hofkammer aufgelöst. Das reformierte „Gubernium“ verbleibt. Aus der Residenz ist längst ein Amtsgebäude geworden.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entsprechen viele Räume nicht mehr den Anforderungen der Zeit. Der Westflügel wird komplett niedergelegt. Doch führt das gewachsene historische Bewusstsein der bürgerlichen Epoche dazu, dass wenigstens Fragmente von Bau und Ausstattung geborgen werden.

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Die Grazer Burg im Überblick

Die Grazer Burg ist ein Generationenprojekt und Familiensache. Unter Friedrich III. (1449) und Maximilian I. (1499/1500) entsteht ein trapezförmiges Areal mit schlicht gehaltenen Trakten für Hofhaltung und Verwaltung, das im Osten die Stadtmauer und einen Torturm einbezieht. Im Süden führt ein brückenartiger Zugang in die Hofkirche, den heutigen Dom. Ab dem 16. Jahrhundert erfolgen weitere Ausbauten: Im Süden werden unter Ferdinand I. Trompetergang und Prunkstiege errichtet (1559). Der noch heute bestehende Ostflügel wird unter Erzherzog Karl II. nach 1570 erheblich vergrößert. Weitere Ergänzungen sind im Norden ein eigener Trakt für die Registratur (1580/85) im Norden sowie der „Ferdinandsbau“ (um 1600) an der Hofgasse. Für den Transportbedarf des Hofes entstehen weiter außerhalb eigene Stallungen, die „Eselsburg“.

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In welchem innerstädtischen Netzwerk ist die Burg verankert?

Die Burg mit ihren Nebengebäuden ist nicht der einzige herrschaftliche Wohnsitz in Graz. Im Stadtbild sprechen Adel und Geistlichkeit, also die tonangebenden Familien sowie der Ordensklerus stark mit. Als Vertreter der steirischen Stände beeinflussen sie die Geschicke des Landes. Ihre politische Bedeutung findet im Landhaus im Herzen der Stadt sinnfällig Ausdruck. Im privaten Bereich zeigt sich ihre Rolle in der teils aufwendigen Gestaltung ihrer Residenzen.

Die Palais des Adels sowie die „Höfe“ der großen Abteien nehmen mit ihren tiefen Parzellen einen beachtlichen Teil der Grazer Innenstadt ein und bilden so eine exklusive Nachbarschaft. Bevorzugt werden ansehnliche Lagen wie die Nähe des Hauptplatzes, die Raubergasse, die Herrengasse, die Sackstaße („1. Sack“) oder die Bürgergasse.

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Unübersehbar: das Grazer Landhaus

Die Stände erhalten Mitte des 16. Jahrhunderts einen repräsentativen Tagungsort: das nach Plänen von Domenico dell’Aglio erbaute Landhaus. Größe und Aufwand des Gebäudes können als selbstbewusste, ja herausfordernde Geste gegenüber dem Landesherrn gedeutet werden. Als wichtigster Beitrag der Renaissance zum Grazer Stadtbild ist es Sinnbild für neu konzentrierte Macht und Modernität. Eben dafür stehen auch das im gleichen Stil erbaute, heute verschwundene Rathaus sowie das im 17. Jahrhundert hinzugefügte Landeszeughaus.

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