Warenhaus und Museum

Warenhaus und Museum waren im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht vergleichbare Institutionen und beeinflussten sich wechselseitig. Beide sorgten mit neuartigen Architekturkonzepten für Aufsehen. Beide sprengten die Grenzen des Regionalen, indem sie Dinge aus der ganzen Welt versammelten. Im Museum wie im Warenhaus ging es um Zurschaustellung, Anpreisung und Vermittlung mithilfe von Geschichten und Atmosphären, an beiden Orten um Vergleich und Bewertung, Vereinnahmung und Überzeugung, um gefühltes Wissen und den gefühlten Überblick. 

Funktionale Architekturen

Städte ohne Museen und Warenhäuser sind heute nicht vorstellbar. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden sie als öffentliche Räume und moderne Funktionsbauten neu. In einer Phase des Übergangs waren sie in der alten Zeit verankert und wiesen gleichzeitig in eine neue: Während ihre Architekturen durch historische Versatzstücke geprägt waren, legten ihre Erbauer mit der Einbeziehung neuer Technik ein Bekenntnis zur Zukunft ab. Wie Bahnhöfe, Fabriken oder Grandhotels auch, zeichneten sich Museen und Warenhäuser – so Alexa Geisthövel und Habbo Knoch – durch eine neuartige Strukturierung ihrer Innenräume aus, die im Hinblick auf die Erfüllung neuer, konkreter Funktionen organisiert waren. Ihre Architektur und Gestaltung prägte zum einen die räumliche Erfahrung und Wahrnehmung, zum anderen das Miteinander der modernen Menschen: ihre Art einander zu begegnen, in Beziehung zu treten und Distanz zu wahren.

 

1895 wurde in der Neutorgasse das Culturhistorische und Kunstgewerbe-Museum, ein Neubau im Neobarockstil mit kuppelgekröntem Mittelbau und zwei Flügelbauten eröffnet. Kuppelsaal, Galerien und Stiegenhaus waren künstlerisch reich ausgestattet, während die Ausstellungsräume ohne Schmuck blieben. Die Präsentation der Sammlungen erfolgte auf drei Ebenen und in Abteilungen untergliedert: Neben geschichtlich wertvollen Objekten und historischen Wohnräumen wurden u. a. kirchliche Kunst und kunstgewerbliche Mustersammlungen gezeigt. „Für sämtliche Musealräume wurde die Luftheizung eingeführt“, eine „Installierung für elektrische Beleuchtung“ war teilweise vorgesehen. (JB 1895, 66)

 

1912/13 schloss Kastner & Öhler mit einem Neubau in der Sackstraße an die neue, funktionale mitteleuropäische Warenhausarchitektur an. Bezeichnend für das Gebäude waren die Integration diverser Abteilungen und Warengruppen auf mehreren Etagen, der Verzicht auf Trennwände, die Lichtversorgung durch ausgedehnte Fensterflächen, die Unterbringung von Lager- und Verwaltungsbereichen sowie der Einsatz neuer Technik. Großzügige Treppenhäuser und Liftanlagen ermöglichten die rasche Zirkulation des Publikums.

Repräsentative Architekturen

Museen und Warenhäuser sollten nicht nur funktional sein, sondern auch die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erregen: Ihre tempelartigen Architekturen, die dekorativen Fassaden und Leuchtreklamen zogen die Zeitgenossen an. Im Inneren entstand durch großzügige Säle, ausladende Treppenhäuser oder prächtige Lichthöfe und Kuppeln eine exklusive Raumsituation, die die Bedeutung der Institutionen hervorstrich und sie in den Kreis der städtischen Sehenswürdigkeiten hob. Museen und Warenhäuser waren aber mehr als das: Mit ihren Inhalten und Angeboten transportierten sie die Weltbilder und Wertehaltungen bestimmter gesellschaftlicher Eliten: Im Museum, in einer von oberster Stelle legitimierten Instanz, wurden Geschichtsbilder und Heldengeschichten produziert und Vorstellungen einer erstrebenswerten Gegenwart und Zukunft definiert. Im Warenhaus dagegen wurde festgelegt, was als geschmackvoll, modern und erstrebenswert galt. Beide Einrichtungen wurden so zu Identitätsagenturen,die ihrem Publikum neue Antworten auf die Fragen „Woher komme ich?“, „Wer bin ich?“, „Wer möchte ich sein?“ anboten.

 

„Es ist nicht zu viel gesagt, daß unser Warenhaus in seiner jetzigen Gestalt die größte Handelsstätte für die gesamten Alpen- und Küstenländer ist und nur gleichnamigen Unternehmungen in den größten Weltstädten des Kontinents und Amerika an die Seite gestellt werden kann. Zugleich ist unser Neubau eine erstklassige Sehenswürdigkeit, die jeder Fremde gerne und zu aller Zeit aufsuchen wird, um daselbst ein Stück modernes, aufstrebendes Graz kennenzulernen.“ (Illustrierter Modewaren-Bericht 1914)

 

„Das Culturhistorische und Kunstgewerbe-Museum wurde im Jahr 1895 durch den Kaiser eröffnet und bildet eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges.“ (Steirische Wanderbücher I: Graz und Umgebung, 4. verbes. Auflage, Graz 1898)

Objekt/Ware

Der Begriff Ware bezeichnete um 1900 alles, was Gegenstand des Handels und Mittel zur Bedürfnisbefriedigung war: nützliche Dinge, die einen Gebrauchswert hatten, käuflich erworben und konsumiert werden konnten. Die Hinwendung zur Ware war grundsätzlich frei, wurde aber über Reklame gesteuert. Waren existierten nicht als Einzelstücke, ihr Angebot wurde gewöhnlich über die Nachfrage bestimmt. Die Weiterentwicklung eines Produkts führte gemeinhin zum Verschwinden des Vorläufermodels. Ein Vergleich des Alten mit dem Neuen war im Warenhaus nicht möglich. Grundsätzlich kann jede Ware museales Objekt werden. Das heißt, es wird aufgrund seiner Seltenheit, Ästhetik und Ausführung oder auch, weil es das Regelhafte, Typische und Ordnungsbelegende repräsentiert, aus dem Kreislauf des Verkaufens und Verbrauchens herausgenommen und in eine museale Sammlung aufgenommen. Im Museum steht ein Ding nicht mehr für sich. Es verweist – wie Krzysztof Pomian beschreibt – als Zeuge auf etwas, das außerhalb seiner selbst liegt, und ist als solcher schützenswert: Die Erhaltung von Objekten führt dazu, dass im Museum das Gestern mit dem Vorgestern und Heute verglichen werden kann.

 

Der Puppenkopf aus (Biskuit-)Porzellan mit der Inventarnummer 20.103 ist ein Objekt aus der Sammlung des Volkskundemuseums und war ursprünglich Teil einer Gliederpuppe aus der Porzellanfabrik des Armand Marseille, der ab 1884 Puppen in Sonneberg, Deutschland, produzierte. Eine genaue Datierung fehlt, Modelle dieser Art waren aber um 1900 verbreitet und konnten in Spielwarenhandlungen käuflich erworben werden. Aus Grazer Privatbesitz übernommen, kam das Stück 1980 ins Joanneum. Spielzeug gehört, weil es die Lebensumstände von Kindern zu verschiedenen Zeiten dokumentiert, traditionell zu den Interessensgebieten der Volkskundler/innen. Eine weiterreichende Hinwendung zur industriell geprägten Alltagskultur ist dagegen relativ neu. Massenhaft gefertigte Konsumgüter aus den Kontexten Wohnen, Arbeiten oder Bekleidung werden in der Volkskundlichen Sammlung des Joanneums erst seit den 1980er-Jahren berücksichtigt.

Zeigepraktiken

Die musealen wie kommerziellen Präsentationsweisen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeinflussten sich wechselseitig: Die Industrie-, Gewerbe- und Weltausstellungen nahmen Erfahrungen der Jahrmärkte, Messen und Museen auf und prägten mit ihren Vermittlungsstrategien die kommenden kulturhistorischen Ausstellungen, kommerziellen Erlebniswelten und Warenpräsentationen wesentlich mit. Diese Nähe von kulturellen und kommerziellen Einrichtungen speiste sich aus den vergleichbaren Bedingungen, welchen sie unterlagen: Museum und Warenhaus waren Orte der Verdichtung von Dingen, Räumen bzw. Zeiten, die sie an einem Ort vereinten: Während im Museum das Überblicken der Welt in der etikettenbestückten Übersichtlichkeit seiner weiträumigen Säle möglich werden sollte, konnte man im Warenhaus frei durch die Welt der global gehandelten Konsumgüter flanieren. Um im einen Fall die Wissbegierde zu reizen, im anderen die Kauflaune anzuregen, waren beide Institutionen bemüht, die Aufmerksamkeit ihres Publikums hochzuhalten. Die Mittel und Strategien, die dafür um 1900 zur Verfügung standen, waren für beide gleich: Was nicht aus den Dingen selbst an Information und Strahlkraft entwickelt werden konnte, wurde mithilfe repräsentativer Architekturen, Farben, Formen und Licht oder gestalterischen Installationen in Szene gesetzt.

 

Blusen zu Blusen. Spitze zu Spitzen. Die Präsentation der Dinge im Warenhaus folgte einer Ordnung, die Materialität und Gebrauchskontexte berücksichtige und der Belegschaft bzw. Kundschaft die Orientierung ermöglichte. Darüber hinaus war man bestrebt, die Waren möglichst wirkungsvoll mithilfe von Licht und Accessoires zu präsentieren oder sie – wie im Falle der vorliegenden Beispiele – in fantastische und aufmerksamkeitserregende Szenerien zu integrieren.

 

Auch im Museum um 1900 war den Verantwortlichen an Gliederung und Orientierung gelegen. Die Ordnung der Dinge erfolgte – z. B. chronologisch oder taxonomisch – gemäß der zu vermittelnden Botschaft und dem Stand der Wissenschaften, den es nachzuvollziehen galt. Teilweise wurden Objekte auch zu sinnfälligen Ensembles kombiniert, die weitgehend ohne erklärende Texte auskamen und einen malerischen Eindruck einer Zeit, Kultur oder Naturlandschaft wiedergeben sollten.

Sehen/Staunen

Nach Tony Bennett war das Museum der Moderne ein Schauraum, der das Sehen gegenüber anderen Sinnen privilegierte. Die Kunst- und Wunderkammern waren Orte der kenntnisreichen Auseinandersetzung zwischen gleichberechtigten Gesprächspartnern gewesen. Im Museum wurde das Publikum den Kustoden in hierarchischer Beziehung unterstellt und sollte das Vorgegebene und bereits Definierte nachvollziehen. Eine besondere Rolle kam den gläsernen Vitrinen zu: Sie gaben ihr Inneres ohne Einschränkungen preis, hielten die Betrachtenden aber im selben Augenblick auf Distanz. Sie ermöglichten – so Sharon McDonald – komplexe Themen oder Zeitläufe zu überblicken, entzogen die objektivierten wissenschaftlichen Erkenntnisse aber gleichzeitig jeder Möglichkeit einer Infragestellung. Während das Museum den definierten Standort privilegierte, stand das Warenhaus für Bewegungsfreiheit und die Erlaubnis, jederzeit zu interagieren. Der im Museum negativ besetzte schweifende Blick, das Staunen und die Überwältigung waren im Warenhaus legitime Formen der Auseinandersetzung. Austausch und Gespräche mit dem Verkaufspersonal waren jederzeit erwünscht, ebenso selbstverständlich ein Berühren und Prüfen der Waren.

 

Die Abbildung zeigt das Warenhaus in Betrieb. Zahllose Damen und Herren sowie Frauen mit Kindern bevölkern die 1894/95 entstandene Kleine Halle, die umliegenden Galerien sowie das Treppenhaus. Sie flanieren, lassen ihre Blicke schweifen, sprechen mit dem Verkaufspersonal oder nehmen sich gegenseitig ins Visier. Die feilgebotenen Waren sind nicht frei zugänglich, sie werden aber auf Wunsch hervorgeholt, können besehen und miteinander verglichen, gedreht, gewendet und anprobiert werden.

 

Im Joanneum der Jahrhundertwende war es nicht üblich, das Publikum beim Museumsbesuch zu fotografieren. Das Interesse der Fotografen galt den Ausstellungsräumlichkeiten sowie den Objekten und der Form ihrer Präsentation. Diese erlaubt uns heute Rückschlüsse auf die von den Museumsverantwortlichen nahegelegten Wahrnehmungsweisen und das Rezeptionsverhalten der Besucherinnen und Besucher.

Reglementierter Besuch

Museum und Warenhaus richteten sich an ein großes, anonymes Publikum. Wenngleich anzunehmen ist, dass es gesellschaftliche Gruppen gab, die die beiden Einrichtungen nicht frequentierten, ist es doch wesentlich festzuhalten, dass das öffentliche Museum wie das Warenhaus nie exklusive Orte in dem Sinn waren, dass sie bestimmte Personen z. B. aufgrund ihrer sozialen Herkunft ausschlossen: Für die institutionelle Identität des Joanneums war die Ansprache aller Milieus grundlegend. Ein paar Schritte über den Hauptplatz herrschte beim Kauf der Waren Gleichberechtigung. Bei aller Offenheit, oder vielleicht gerade aufgrund dieser, war es offenbar notwendig, den Besuch von Warenhaus und Museum durch Verhaltensregeln anzuleiten, die vermittelt und eingeübt werden mussten. Ihr Ziel war, den Einkauf bzw. den Museumsbesuch ohne Störungen zu ermöglichen und Unliebsames, wie z. B. Lärm, zu unterbinden. Mit ihren Verordnungen formulierten die Institutionen freilich einseitig Bedingungen, deren Anerkennung sie als notwendige Anpassungsleistung von ihren Besucherinnen und Besuchern einforderten. Für uns sind die überlieferten Anweisungen und Instruktionen aussagekräftige Belege zum Institutionenbegriff der Verantwortlichen beider Einrichtungen sowie ihres Verständnisses vom Publikum.

 

Die vorliegende Hausordnung aus dem Joanneum stammt aus der Zeit um 1900 und wurde im Direktionsbüro gefunden. Heute ziert sie das Büro einer Mitarbeiterin der Personalabteilung. Der Inhalt des Dokuments erstaunt: So beschränkte sich die allgemeine Besuchszeit auf nur vier Stunden wöchentlich. Kindern unter acht Jahren blieb der Zutritt ins Museum verwehrt. Die Bitte, dem anwesenden Personal kein Trinkgeld anzubieten, dürfte in Reaktion auf eine gängige Praxis formuliert worden sein. Dass Mäntel, Stöcke und Hunde in den Ausstellungsräumen nicht erwünscht waren, überrascht dagegen ebenso wenig wie die Aufforderung, die ausgestellten Stücke nicht zu berühren.

 

Obwohl eine Hausordnung für Kastner & Öhler aus dieser Zeit nicht erhalten geblieben ist, können wir davon ausgehen, dass auch der Besuch des Warenhauses an die Einhaltung bestimmter Vorschriften gebunden war.

Reglementierter Arbeitsalltag

Museum und Warenhaus waren hierarchisch gegliederte Unternehmen mit einer großen Zahl an Mitarbeitenden. Die interne Struktur beider Einrichtungen zeichnete sich durch einen hohen Grad an Arbeitsteilung aus. Es gab klar definierte Zuständigkeiten innerhalb einzelner Museums- bzw. Verkaufsabteilungen und eine ausgeprägte Spezialisierung. Die Einführung klarer Verhaltensregelungen und ggf. Bekleidungsvorschriften war durch unterschiedliche Zielsetzungen motiviert: Zum einen wirkten sie nach innen und sollten die Kontrolle und Zusammenarbeit einer jeweils beachtlichen Zahl von Angestellten ermöglichen. Auch verpflichteten sie die Beschäftigten auf die Bestimmung und die Prinzipien der Unternehmen. Zu anderen wirkten sie nach außen: Gerade im Warenhaus waren Verhaltensregelungen Teil eines Service am Kunden. Sie standardisierten Sprache und Handlungen und drängten die individuelle Identität der handelnden Personen hinter die von den Verantwortlichen geprägte institutionelle Identität der Einrichtung zurück.

 

Im Jahresbericht des Steiermärkischen Landesmuseums Joanneum aus dem Jahr 1890 werden auf insgesamt 17 Seiten „Instructionen für Beamte und Custoden“ des Museums bekanntgegeben. Sehr allgemein werden dort die Teilnahme an Sitzungen, die Versorgung der Sammlungen, das Verhalten im Brandfall oder die Meldepflicht von Abwesenheiten geregelt. Teilweise sind die Forderungen aber auch sehr konkret und untersagen z. B. „das Betreten der Sammlungs-Räume mit offenem Lichte und das Tabakrauchen in denselben“. (Jahresbericht 1890, 5)

 

Für Kastner & Öhler sind aus der Zeit der Jahrhundertwende keine Dokumente zu Verhaltensregen oder Bekleidungsvorschriften für Angestellte erhalten geblieben. Abbildungen lassen aber den Schluss zu, dass die Verkäuferinnen z. B. lange dunkle Kleider, die Verkäufer Anzug zu tragen hatten. Darüber hinaus dürften die Regelungen ungefähr jenen entsprochen haben, die es an anderen Warenhäusern gab. Das Personal war hierarchisch organisiert und unterlag ständiger Kontrolle. Verbale Entgleisungen, nachlässige Kleidung oder unhöfliches Benehmen wurden mit Abmahnungen und bis hin zu Entlassungen sanktioniert.

Medien der Veröffentlichung

Sowohl Warenhaus als auch Museum traten um 1900 mit Katalogen an die Öffentlichkeit. In beiden Fällen erfüllten sie den praktischen Zweck, Orientierung angesichts von Fülle zu geben: Sie waren als Verzeichnisse angelegt, sollten das Komplexe in Auflistungen und Reihungen sowie in präzisen Beschreibungen fassbar machen. Sowohl Museums- als auch Warenhauskatalog folgten dabei bestimmten Vorstellungen von Ordnung und Nutzer/innen-Freundlichkeit. Die Lektüre eines Warenhauskatalogs war nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Wo immer sich eine Leserin oder ein Leser fand, er zeigte an, was zu welchen Preisen und Bedingungen geliefert werden konnte. Die Inhalte der Kataloge veränderten sich, wechselten je nach Saison und erlaubten, über Jahre betrachtet, modische Entwicklungen im Bereich Bekleidung, Sport oder Haushalt nachzuvollziehen. Kataloge waren ein wichtiges Werbemedium. Entsprechend war ihre Sprache und Gestaltung darauf angelegt, Interesse zu wecken. Museumsführer waren weniger aufwendig gestaltet und dynamisch als die der Warenhäuser. Ihre Lektüre erfolgte naheliegenderweise im Museum selbst und mit dem Ziel, sich im Gebäude zu orientieren, einen bestimmten Parcours nachzuvollziehen und die ausgestellten Objekte dank der wissenschaftlichen Informationen besser zu verstehen. Sprache und Stil der Museumsführer zielen nicht darauf ab, etwas zu verkaufen, sondern zur Bildung der Leser/innen beizutragen.

 

1887 startete Kastner & Öhler einen Versandhandel. Zehntausende Warenkataloge wurden fortan jährlich in alle Länder der Monarchie verschickt. Für die Menschen außerhalb der Zentren brachten die Kataloge eine bis dahin nicht gekannte Zugänglichkeit zum wachsenden Warenangebot: Sie sahen, was modern, neu und in der möglicherweise fernen Stadt angesagt war. Die Gestaltung der Kataloge erfolgte im Hinblick auf Übersichtlichkeit und Benutzer/innen-Freundlichkeit. Die Gleichstellung aller Produkte einer Art erleichterte den Vergleich, Abbildungen machten Lust, sich ins Warenangebot zu vertiefen. Zur erfolgreichen Bestellung wurden Anweisungen und Hilfestellungen geboten.

 

Die Führer und Kataloge des Culturhistorischen und Kunstgewerbe-Museums entsprechen in ihrer Erscheinung weiteren, aus dieser Zeit am Joanneum erhalten gebliebenen Ausstellungspublikationen. Abbildungen gab es damals nicht, die Texte waren wissenschaftlich-deskriptiv und kamen ohne werbende Superlative aus. Die Bedeutung einzelner Objekte wurde u. a. über die Länge der Texte zum Ausdruck gebracht. Zielgruppe des Führers war das anwesende Publikum.

Systeme der Kontrolle und des Überblickens

Warenhaus und Museum waren bereits um 1900 komplexe Systeme mit einer Vielzahl zu verwaltender Menschen und Objekte. Um den Überblick zu bewahren, bedienten sich die Verantwortlichen beider Einrichtungen Hilfsmittel wie der vorliegenden Bücher, die wie die Architekturen von Warenhaus und Museum im Hinblick auf eine bestimmte Nutzung und Funktion innerhalb des Betriebs entwickelt oder adaptiert wurden. Kennzeichnend für beide war die Standardisierung und der Gebrauch von Fachtermini und Abkürzungen, die sich nur Expertinnen und Experten erschlossen. Hinter dieser Rationalisierung steht die Moderne und die weitreichende Vorstellung einer systematisch fassbaren und beschreibbaren Wirklichkeit: In der Betriebsführung wie der Wissenschaft lernte man einheitlich zu messen und zu berechnen und empirische Daten in neutrale Zeichen zu transkribieren. Ziel war die Etablierung gesicherter Strukturen, in die jedes Individuum integrierbar und die Wirklichkeit schließlich überblickbar wäre. Die Zeitgebundenheit derartiger Bemühungen zeigt sich im Ansatz, die Mineralogie in ein System einzupassen, das nach späterer Erkenntnis nur für die belebte Natur zur Anwendung gelangen kann.

 

Beim vorliegenden Hilfsbuch handelt es sich um eine standardisierte Vorlage – mit Stempelmarken und Siegel gekennzeichnet – aus der Buchdruckerei Guttenberg in Graz. Das gebundene Buch hat ein unkonventionelles Format von ca. 45 mal 19 cm und enthält ein vorgedrucktes Raster, das eine bestimmte Art der Verwendung in einem bestimmten Kontext nahelegt. Die Eintragungen stammen aus dem Zeitraum Januar 1907 bis Juni 1908 und enthalten eine Auflistung von Nachnamen der Mitarbeiter/innen sowie die Höhe ausbezahlter Gehaltssummen. Geschlecht und Position der Personen werden nicht erwähnt.

 

Das Nachtragsinventar der Abteilung für Mineralogie aus dem Jahr 1889 bis 1909 verzeichnet die Objekt-Zugänge der Sammlung, dazu die Bücher, Apparate und Werkzeuge, die in die Abteilung eingegangen sind. Auch im Fall dieses Buchs gibt es ein vorgedrucktes Raster sowie mit den Maßen 55 mal 40 cm ein nicht gängiges Format. Die Auflistung der Objekte erfolgte nach ihrem Eingang. Neben Objektbezeichnung wurden u. a. die Provinienz und der Kaufpreis angeführt. Inventarnummern wurden nicht vergeben, teilweise aber nach dem Zweiten Weltkrieg hinzugefügt. Nähere Informationen zu den Objekten vermerkte man auf Karteikarten, die separat in einem Zettelkatalog nach den Mineralnamen alphabethisch geordnet wurden. Das zugehörige Blatt ist insofern besonders, als sein Aufbau die Klassifizierung der Mineralien nach dem Linné’schen Klassifikationssystem vorsieht.

Museum für Geschichte

Sackstraße 16
8010 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9800
geschichte@museum-joanneum.at

 

Öffnungszeiten


Di-So, Feiertag 10 - 18 Uhr

 

24. bis 25. Dezember 2023