Am Betrieb und Gelingen von Kastner & Öhler waren schon um 1900 Hunderte Mitarbeiter/innen und verschiedene Berufsgruppen beteiligt. Ebenso vielfältig und bunt war die Kundschaft. Wer genau waren die Menschen, die das frühe Warenhaus tagtäglich möglich machten, wer jene, die es frequentierten? Wie sah es mit den Zuständigkeiten und Arbeitsbedingungen beispielsweise der Verkäufer/innen bei Kastner & Öhler aus? Welche Rückschlüsse erlauben Sortiment und Katalogangebote auf die Lebenswirklichkeit und die Selbstbilder der Kundinnen und Kunden in und außerhalb von Graz?
Themen im Überblick
Berufsgruppen
Viele Menschen und unterschiedliche Berufsgruppen waren nötig, um ein Warenhaus wie Kastner & Öhler tagtäglich in Betrieb zu halten. Um 1900 waren bereits Hunderte Verkäufer/innen beschäftigt. Es gab aber auch Näherinnen, Einkäufer und Abteilungsleitende, Verwaltungs- und Versandangestellte. Es brauchte Beschäftigte in Buchhaltung, Werbung und Dekoration, in den Cafés und Servicebereichen. Die Moderne der Jahrhundertwende war von einem sozialen Wandel bestimmt. Die interne Struktur von Kastner & Öhler spiegelte dies in ihren Angestellten wider, die der neuen, wachsenden Gruppe des „neuen Mittelstandes“ angehörten.
Arbeitszeit
1885 wurde in Österreich-Ungarn eine gesetzliche Arbeitsregelung erlassen: Die maximale Arbeitszeit wurde auf elf Stunden pro Tag festgelegt. Verboten wurden Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche sowie Kinderarbeit.1898 wurde von Stadthalter Graf Clary im Verordnungsweg die Sonntagsruhe für die fünf Sommermonate angeordnet, 1906 auf das gesamte Jahr ausgeweitet. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)
Auszahlung der Gehälter
Wie Albert Kastner berichtet, wurden die Gehälter mit jedem einzelnen Angestellten vereinbart. Von auswärts Kommende verhandelten das Gehalt vor Antritt der Stelle schriftlich. In Graz lebende Angestellte begannen ihren Dienst ohne feste Gehaltsvereinbarung, die erst nach dem ersten Arbeitsmonat getroffen wurde. Erhöhungen des Gehalts erfolgten ganz individuell, im Allgemeinen beliefen sich diese aber auf 10 bis 20 Kronen im Jahr. Wie aus den Gehaltsbüchern hervorgeht, wurden die Gehälter nicht alle zum Monatsletzten, sondern auch wöchentlich ausbezahlt. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)
Urlaub
Ab 1910 waren Urlaube sowie Kündigungen gesetzlich geregelt. Bis dahin wurde bei Kastner & Öhler den Angestellten über Verlangen nach zwei Dienstjahren eine Woche, den länger dienenden zwei Wochen Urlaub zuerkannt. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)
Frühe Sozialleistungen
Teils lange bevor entsprechende gesetzliche Regelungen in Kraft traten, erbrachte Kastner & Öhler freiwillige Sozialleistungen: Für den 1890 gegründeten Spar- und Unterstützungsverein für Mitarbeitende leistete das Unternehmen anteilige Beiträge. Ab 1903 wurde die medizinische Versorgung durch tägliche Ordinationsstunden im Unternehmen gewährleistet. Ab 1905 erfolgte die freiwillige Zahlung von Urlaubsgeldern. 1906 wurde die Sonntagsruhe eingeführt, 1908 der Ladenschluss auf 19 Uhr festgelegt. Pausenräume für das Personal standen ab 1912 zu Verfügung, Weihnachtsgeld gab es ab 1914.
Regeln für das Verkaufspersonal
Verhaltensregeln und Bekleidungsvorschriften für das Personal von Kastner & Öhler sind für die Zeit um 1900 nicht erhalten geblieben. Man darf aber davon ausgehen, dass diese ähnlich waren wie in anderen Warenhäusern dieser Zeit. So wird für das Pariser „Bon Marché“ berichtet, dass die Verkäuferinnen schwarze, hochgeschlossene Seidenkleider zu tragen hatten, die keinesfalls die Kleidung der Kundinnen zu übertrumpfen drohten. Gemäß dem Motto „Der Kunde ist König“ wurden Verstöße gegen den Verhaltenskodex dort wie andernorts bis hin zur Entlassung streng sanktioniert.
Konsum und Identität
Bei aller bürgerlichen Zurückhaltung: Das Einkaufsverhalten der Zeit um 1900 war nicht mehr ausschließlich vom Standpunkt der Sparsamkeit und Dauerhaftigkeit geprägt. Die Auswahlmöglichkeit aus 20 Hüten, Tischgarnituren oder Teppichen machte die Wahl eines konkreten Produkts auch davon abhängig, was zu einem passte. Mit der Wahl eines Produkts zeigten Käufer/innen auch, was sie sein wollten. Konsum wurde so zum Mittel der Selbstdarstellung und Ausdruck der eigenen.
Bürger/in als Konsument/in
Dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts wird eine kritische Haltung gegenüber dem Konsum nachgesagt. Deutlich anders als der exzessiv repräsentierende Adel sahen die Bürger/innen den maßvollen Umgang mit der neuen Warenvielfalt als Teil ihres Selbstverständnisses und Wertekanons. Konsum musste zweckgebunden und rational sein: So sollte die Wahl des Kinderspielzeugs vom pädagogischen Verantwortungsgefühl der Erziehungsberechtigten zeugen, die Ausstattung der Wohnung oder die neue Herbstgarderobe guten Geschmack beweisen – aber ohne zu prahlen.
Zielgruppen
Wir wissen nicht genau, wer 1883, 1895 oder 1912 bei Kastner & Öhler eingekauft hat. Warenhäuser waren aber grundsätzlich für alle da. Anfangs dürfte sich das Angebot an die untere Mittelschicht und die Arbeiter/innen gerichtet haben. Mit der Einführung eines Sortiments sowie der kontinuierlichen Vergrößerung und Verbesserung des Warenangebots dürfte sich zunehmend bürgerliches Publikum eingefunden haben. Wichtig unter geschlechtsspezifischem Blickwinkel war, dass in Warenhäusern nicht nur viele Frauen gearbeitet haben. Das Warenhaus erweiterte den Aktionsradius der Frau, die teilweise mit Bahn und Straßenbahn anreiste, um sich anonym und unbeobachtet im öffentlichen Raum Warenhaus zu bewegen.
Frau aus dem Katalog
Um 1900 fand sich die Frau im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungshaltungen und Einflüsse. Zum einen waren die althergebrachten Geschlechterrollen und Moralvorstellungen als Anforderung noch präsent. Zum anderen setzte mit neuen gesellschaftlichen Entwicklungen ein Emanzipationsprozess ein: Einst verbindliche Muster wurden infrage gestellt, neue Freiheiten lockten. In den Modewarenberichten blieb – mit Ausnahme der sportlichen Frau – das alte Bild der eleganten Bürgerin und fürsorglichen Hausfrau noch aufrecht. Die als Schreibmamsell, Telefonfräulein oder Journalistin arbeitende Frau gab es nicht.
Erscheinung der bürgerlichen Frau
Die Modewarenberichte zeichnen ein weitgehend standardisiertes Erscheinungsbild der bürgerlichen Frau: Sie flaniert erhobenen Hauptes durch die Stadt oder plaudert mit sittsam nebeneinander gestellten Beinen mit ihresgleichen – stets mit aufgestecktem Haar. Accessoires wie Broschüren und Notizbücher, Brille, Malpalette oder ein Gläschen Likör bezeugten ihre Bildung sowie ihr Interesse an künstlerischer Beschäftigung und deuten ihre Freizeitgestaltung im familiären Rahmen oder Damenkreis an.
Die ideale Hausfrau
Die Realität vieler Arbeiterinnen um 1900 wich vom geschützten Dasein als Hausfrau und Mutter ab. Auch für die angestellten Frauen löste sich dieses bürgerliche Ideal zunehmend auf. In den Modewarenberichten ist die perfekte Hausfrau noch präsent: Stets adrett zurechtgemacht, schienen ihr Pflichterfüllung und Ordnungsliebe eine Freude zu sein. Notizzettel und Haushaltsbuch deuteten ihre Souveränität und Umsicht in der Haushaltsführung an.
Der bürgerliche Haushalt
Die Modewarenberichte sind reich an Angeboten zur angemessenen Ausstattung des bürgerlichen Haushalts: Tischwäsche und Kaffeegarnituren, Hand- und Taschentücher, Salon- und Speisezimmerteppiche, Stoffvorhänge und Tüllgardinen, Spitzendraperien und Reisedecken, Diwanüberwürfe und Pölster, Bettvorleger und Wandschoner … Die Produktpalette ist in Qualität und Erscheinung sehr differenziert, die Waren wurden sowohl für Privathaushalte als auch für Gastronomie und Hotels angeboten.
Was Frau trägt
Die Modewarenberichte geben ein klares Bild davon, was für Frauen um 1900 als chic und modisch galt. Die Röcke waren um Taille und Hüfte enganliegend und verbreiterten sich zum bodenlangen Saum, der die Beine verbarg und bestenfalls die Spitze der schmalen Schuhe auf halbhohem Ansatz erkennen ließ. Die Dame trug ein Mieder, das Bauch und Hüften weggeschnürte und den Körper zur S-Linie verformte. Es gab eine Vorliebe für Spitzen aller Art. Sonnenschirme und Handtaschen gehörten zu den gängigen Accessoires. Hüte verbargen das stets tugendhaft aufgesteckte Haar. Je nach Anlass gab es Promenade- und Besuchskleider, Haus- und Reisekleider, Sportbekleidung oder Abendrobe. Es war klar definiert, was wann zu tragen war.
Schuhe und Accessoires
Zum modischen Beiwerk der Damen gehörten Schuhe und Handschuhe, Taschen, Schals und Muffs, Sonnenschirme und Hüte. Den Schuhen – Schnür- oder Knöpferlstiefeletten – wurde in den Modewarenberichten vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zuteil. Anders verhielt es sich mit den Sonnenschirmen, die als wichtige Ergänzung der Tagesgarderobe ihren festen Platz im Katalog innehatten. Handschuhe waren bei jeder Gelegenheit unerlässlich, ebenso die mehr und weniger verzierten Hüte aus Seide, Samt oder Stroh, die auf den Frisuren zu schweben schienen. Mit den 1910er-Jahren trat die Handtasche als unentbehrlicher Gebrauchsgegenstand und modisches Accessoires ihren Siegeszug an.
Männerbilder
Der bürgerliche Mann nahm – bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs – zunehmend mehr Raum in den Modewarenberichten ein. Hemden und Hosen, Krägen und Krawatten wurden systematisch zum bestmöglichen Vergleich präsentiert. Straßen- und Salonanzüge, Morgensakkos und modische Gilets, elegante Touristenanzüge und funktionale Sportbekleidung wurden am Träger gezeigt, der Pfeife rauchte, einen Schnurrbart, Spazierstock und Hut trug. Der moderne Mann zeigte sich auf der Jagd, im Automobil oder in Gesellschaft, er beteiligte sich aber auch an familiären Freizeitaktivitäten.
Männerberufe
Ein nicht unwesentliches Segment im Bereich der Angebote für Herren stellte die Berufskleidung für Köche, Konditoren und Mechaniker, Chirurgen, Bäcker und Landwirte dar, die wohl allesamt zum Kreis der (Versand-)Kunden gehört haben. Für die Bestellung der Arbeitsanzüge, Mäntel und Kappen wurde nicht um die Angabe der Konfektionsgröße gebeten, wohl aber eine Information, ob es sich beim Träger um einen kleinen, mittelgroßen oder großen Herrn handelt.
Zubehör
Auch für den modischen Herren hielten die Modewarenberichte allerlei nützliche und schmückende Accessoires bereit: Stockschirme und Herren-Schattenspender, Gürtel, Krawatten und Maschen, Krägen und Manschettenknöpfe, Strümpfe und Stutzen, Handschuhe, Kappen und Hüte.
Bürgerliche Freizeitkultur: Automobile
1914 wird Franz Öhler, Kaufmann, mit dem Kennzeichen II35 als einer von ca. 500 Grazer Autobesitzern im Jahrbuch des Steiermärkischen Automobil-Clubs geführt. Wie kein anderes modernes Fortbewegungsmittel stand das Automobil zu dieser Zeit für individuelle Mobilität. Die Eisenbahn erlaubte ab Mitte des 19. Jahrhunderts das geschwinde Überwinden großer räumlicher Distanzen, war aber durch festgelegte Strecken und Fahrpläne bestimmt. Das Automobil dagegen versprach das selbstbestimmte Abenteuer. Sportlichkeit und Vergnügen wurde mit einem modernen Lebensstil assoziiert, mit dem sich auch das Grazer Bürgertum identifizierte.
Bürgerliche Freizeitkultur: Sport
Als wesentlicher Bestandteil der neuen Freizeitkultur galt der Sport. Das Bürgertum traf sich beim Tennis, Rudern oder Radfahren. Als Städter/in bewies man beim Wandern, Rodeln oder Skilaufen Naturverbundenheit. Diesem Trend entsprechend, nahmen Sportartikel im Sortiment des Warenhauses einen fixen Platz ein. Rodelmützen, Ruder-Leibchen und Badekostüme, Sportjacken, Radfahr-Stutzen und rustikale Touristenhemden wurden zu notwendigen Accessoires eines erfüllenden Sport- und Naturerlebnisses.
Die sportliche Frau
Sport hatte einen ausgeprägt emanzipatorischen Charakter. Sportbekleidung gab es für Erwachsene und Kinder gleichermaßen, das Produktangebot für Damen stand jenem für Herren um nichts nach. Mit der sportlichen Frau kam ein neuer Typ auf, der das klassische Frauenbild infrage stellte und erweiterte. Hinter der Suche nach der passenden Toilette, in Debatten um die Schicklichkeit von Kniebundhosen versus lange Wanderröcke verbarg sich auch ein Ringen um Rollenbilder und Konventionen.
Bürgerliche Freizeitkultur: Am Strand
Für die Grazerinnen und Grazer waren Orte wie Triest oder Grado dank der Südbahn relativ bequem zu erreichen. Ein Aufenthalt am Meer versprach mit Strandspaziergängen, Konzert- und Kaffeehausbesuchen Abwechslung, unbeschwerte Geselligkeit und Erholung. Und Kastner & Öhler lieferte die nötige modische Ausstattung dazu.
Kinder aus dem Katalog
Die Angebote des Warenhauses für das bürgerliche Kind der Jahrhundertwende waren nicht weniger abwechslungsreich als jene für das erwachsene Publikum. Die Knaben wirkten mit ihren makellosen Kurzhaarfrisuren, gekleidet nach Art der Matrosen und Jäger, wie kleine Herren. Auch die Mädchen wurden – behütet und hübsch zurechtgemacht – als kleine Erwachsene vorgeführt. Dem Alter nach waren die Kinder nicht einordenbar, individuelle Züge blieben ihnen verwehrt.
Kinderspielzeug
In den Modewarenberichten wurden Kinder mit allerlei Utensilien dargestellt, die zeigen, was in bürgerlichen Kreisen der Jahrhundertwende als geschätztes Spielzeug galt: Lernutensilien wie Globen oder Bücher unterstrichen den bürgerlichen Bildungsbegriff. Mädchen wurden gern mit Puppen, Blumensträußchen und Plüschhasen dargestellt. Obwohl sich die Knaben, mit Sportgerät und Flugdrachen ausgestattet, gern in Park oder Garten aufhielten, fällt es doch schwer, sie sich spielend oder mit schmutzigen Hosen vorzustellen.
Museum für Geschichte
Sackstraße 16
8010 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9800
geschichte@museum-joanneum.at
Öffnungszeiten
Di-So, Feiertag 10 - 18 Uhr
Zusätzlich geöffnet:
1. Mai 2023
29. Mai 2023
Ausnahmsweise geschlossen: