Geschlossene Gesellschaft?
Die Entwicklung der Knittelfelder Neustadt vom Gefangenenlager zur aufstrebenden Wohngegend
Der Erste Weltkrieg (1914–1918) brachte eine neue Dimension des Schreckens, des Leids, der Zerstörung, eine neue Dimension hinsichtlich des Blutzolls, der Toten, der Verwundeten und auch der Gefangenen, die in zahllosen Lagern interniert wurden. Eines dieser Lager entstand auf Betreiben des Großgrundbesitzers und Industriellen Otto Zeilinger auf dessen Grundstücken in Knittelfeld in der Obersteiermark. Auf ca. 450.000 m² nordwestlich des ursprünglichen Stadtzentrums wurde ein Barackenlager gebaut. Die Zahl der Gefangenen – vornehmlich aus dem zaristischen Russland – erreichte 1915 die 30.000er-Grenze und übertraf damit die der Einwohner/innen Knittelfelds um ein Mehrfaches.
Nachdem sich 1915 eine neue Front, jene gegen Italien, aufgetan hatte, erhielt das Knittelfelder Lager eine zweite Nutzung als Spital für die Verwundeten der Kämpfe am Isonzo, dem Fluss, dessen Name für die verheerenden Schlachten des Ersten Weltkrieges steht. Über 5.000 Soldaten konnte das Knittelfelder Spital aufnehmen, um sie im Fall einer erfolgreichen Genesung wieder an die Front zurückzuschicken.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Baracken als so genannte „Notstandswohnungen“ genutzt, die nach und nach abgerissen wurden, um die freigewordenen Grundflächen zu parzellieren und angemessenen Wohnraum zu schaffen. So entwickelte sich allmählich die „Neustadt“, die durch unterschiedliche Faktoren ihre besondere Prägung erhielt; sicherlich aufgrund ihrer Entstehung und Erstnutzung, aber auch durch ihre periphere Lage – und damit einhergehenden günstigen Mieten, die vor allem für sozial schwächere Personen leistbaren Wohnraum boten – entwickelte die Neustadt das Image des vermeintlich „berüchtigten Ecks“. Zuschreibungen und Vorurteile gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern der Neustadt standen an der Tagesordnung.
Erst um 1960 begann die Neustadt ihr Negativ-Image zu überwinden. Ein gutsituiertes Familienwohn- und Gewerbeviertel entwickelte sich. Während über mehrere Jahrzehnte hinweg den Bewohnerinnen und Bewohnern der Neustadt keine mögliche Existenz in der „Normalgesellschaft“ zugestanden wurde, scheint dieses Viertel die besten Voraussetzungen für eine gelungene Integration sowohl in das Stadtbild, als auch in die Stadtgemeinschaft gehabt zu haben.
In einem breit angelegten Projekt wird dem Ursprung der Neustadt ebenso auf den Grund gegangen wie die Frage aufgeworfen, inwiefern historische Voraussetzungen und Entwicklungen, soziale Zuschreibungen und Vorurteile ein ganzes Stadtviertel prägen und stigmatisieren können.
Im Pumpenhaus des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Knittelfeld – selbst ein zentrales Objekt der Ausstellung – werden die bemerkenswerten Metamorphosen der „Neustadt" vom Gefangenenlager und Militärspital des Ersten Weltkriegs über die Barackensiedlung bis hin zur völligen architektonischen Neugestaltung seit den 1960er-Jahren nachgezeichnet. Eine Ausstellung über Unfreiheiten und Freiheiten, über Identitäten und Mentalitäten innerhalb globaler und regionaler Machtgefüge.
Laufzeit
5. Juni–3. Oktober 2009
Ausstellungseröffnung
4. Juni 2009, 18 Uhr
Finissage
3. Oktober 2009
Öffnungszeiten
Donnerstag, 9–15 Uhr
Freitag bis Sonntag, 13–19 Uhr
Feiertags, 13–19 Uhr
Ort
Pumpenhaus des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Knittelfeld
Maßweger Straße, 8724 Spielberg bei Knittelfeld
Kurator:
Dr. Gerhard Dienes
Wissenschaftliche und organisatorische Betreuung:
Mag. Gundi Jungmeier
Gestaltung:
DI Peter Eichberger
Mag. Eberhard Schrempf
Begleitband
In dem Begleitband zur Ausstellung begeben sich namhafte Autorinnen und Autoren ebenfalls auf Spurensuche nach dem ehemaligen Gefangenenlager/Militärspital und der Neustadt. Illustriert mit einzigartigen Bildern und historischen Fotografien von privaten Sammlerinnen und Sammlern und aus öffentlichen Archiven dokumentiert das Buch die Entwicklung der Knittelfelder Neustadt.
Erhältlich im ausgewählten Buchhandel.
Preis: 14,90 €
Vortragsreihe
- 15. Jänner 2009, 19:30 Uhr
Dr. Gerhard Dienes
Lager–Stadt–Knittelfeld. Vom Kriegsgefangenenlager zur Knittelfelder Neustadt
Bezirksstelle des Roten Kreuzes
Gaaler Straße 4a und 6, 8720 Knittelfeld, Seminarraum 03 - 9. Februar 2009, 19:30 Uhr
Dr. Ralf Rother
Das Kriegsgefangenenlager: Die Unterbringung des Feindes
Bezirksstelle des Roten Kreuzes
Gaaler Straße 4a und 6, 8720 Knittelfeld, Seminarraum 03 - 19. März 2009, 14:00 Uhr
Erich Schreilechner und Ing. Hans Rinofner
Neustadtspaziergang mit anschließender Fragestunde und Diskussion
Treffpunkt Hauptschule Lindenallee - Knittelfeld
Lindenallee 30, 8720 Knittelfeld - 26. März 2009, 19:30 Uhr
Ing. Hans Rinofner
Das Kriegsgefangenenlager und Militärspital Knittelfeld
Bezirksstelle des Roten Kreuzes
Gaaler Straße 4a und 6, 8720 Knittelfeld, Seminarraum 03 - 23. April 2009, 19.30 Uhr
Ao. Univ.-Prof. Dr. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer
Die Ära Otto Zeilinger – Streiflichter aus dem Leben des „alten Hammerherren"
Stefan Brenner
Das Kriegsgefangenlager in Knittelfeld 1914 bis 1915
Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Teibenbacher
Der Soldatenfriedhof in Zahlen
Bezirksstelle des Roten Kreuzes
Gaaler Straße 4a und 6, 8720 Knittelfeld, Seminarraum 03 - 7. Mai 2009, 19:30 Uhr
Erich Schreilechner
Bilderpräsentation über die Nachnutzung des Lagers von den 1920er-Jahren bis heute
AK Knittelfeld
Hans-Resel-Gasse 2, 8720 Knittelfeld - 15. Oktober 2009, 19:30 Uhr
Mag. Gundi Jungmeier
Die „Neustadt“– Identität und Vorurteil
Bezirksstelle des Roten Kreuzes
Gaaler Straße 4a und 6, 8720 Knittelfeld, Seminarraum 03 - 19. November 2009, 19:30 Uhr
Zeitzeug/innengespräche – Diskussionsabend
Moderation: Gerhard Draxler und Dr. Gerhard Dienes
Ort: offen
Die „ARGE Knittelfelder Neustadt“ ist eine lose Plattform, die sich aus folgenden Mitgliedern zusammensetzt:
> Übersicht Forschung in den Multimedialen Sammlungen
Museum für Geschichte
Sackstraße 16
8010 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9800
geschichte@museum-joanneum.at
Öffnungszeiten
Di-So, Feiertag 10 - 18 Uhr
Ausnahmsweise geschlossen: