Schreibgarnitur, 1872

Schreibgarnitur, Johann Rint, 1872, Holz, KHS, Inv.-Nr. 03238, geöffneter Zustand, Foto: UMJ/ V. Delic

Dieses virtuose Kabinettstück aus der Zeit des Historismus hat die Form eines Deckelpokals mit einer eiförmigen Kuppa über durchbrochenem Nodus, dem von mittelalterlichen Messkelchen her bekannten knotenförmigen Zwischenglied zwischen Körper und Fuß. Auf den Lamellen finden sich sechs Flachreliefs, die in Ganzfigurenformat herausragende Vertreter aus Literatur, Musik und bildender bzw. angewandter Kunst in jeweiliger Zeittracht darstellen: Schiller, Goethe, Beethoven, Mozart, Leonardo da Vinci und Benvenuto Cellini. Der geöffnete Pokal enthält eine muschelförmige Brunnenschale mit einem Löffel für Streusand, dahinter sind unter gewelltem Deckel zwei Tintenfässchen eingerichtet.

Darüber erhebt sich eine Pflanzenranke und eine antikisierende, erotische Genreszene; in den drei Ausnehmungen stecken zwei Schreibfedern und ein Briefmesser. Der aus Kukus in Böhmen gebürtige Johann Rint (18141900) gehört zu den hervorragendsten Vertretern des historistischen Kunsthandwerks in Österreich. Ab 1848 war Rint dauerhaft in Linz ansässig und wurde 1865 zum Hofschnitzer bestellt. Eine seiner wichtigsten Aufträge war die mit seinem Sohn Josef durchgeführte Restaurierung des Schnitzaltars im oberösterreichischen Kefermarkt, eines der bedeutendsten Denkmäler der spätmittelalterlichen Holzskulptur überhaupt.

Treibende Kraft war der ebenfalls aus Böhmen stammende Dichter Adalbert Stifter (18051868), der auch Landeskonservator von Oberösterreich war. Dabei verfolgte Rint ein „materialgerechtes“, d. h. ausschließlich holzsichtiges Erscheinungsbild ohne Rücksicht auf historische Farbfassungen. Diese rigorose Geschichtsdeutung sowie die weitgehende Anlehnung an den spätgotischen Formenschatz im Geschmack des Historismus sind auch für die Grazer Garnitur bestimmend. Sie ist ein kostbares Zeugnis für den hohen Stand der Schreibkultur im späten 19. Jahrhundert und ein Beleg für die stark bildungsbürgerlich geprägte, sich an Leitfiguren der Vergangenheit orientierende Gesinnung der Gründerzeit.

 

 

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