Emailteller

aus der Mitte des 16. Jh.

Neuzeitliche Darstellung des griechischen Sagenhelden Herkules.

Der Halbgott Herkules war als Tugendheld und Dulder übermenschlicher Mühen eine zentrale Gestalt in der Bildwelt der Frühen Neuzeit. Die Verbindung von physischer Macht und konstruktiven Zielen passte zudem zum Anspruch der frühabsolutistischen Staatsidee. Auch die beiden großen Machtkonkurrenten im Europa der Renaissance, Frankreich und Habsburg, bezogen den Mythos des Herkules in ihre Bildpropaganda ein, was bis weit ins 18. Jahrhundert spürbar sein sollte.

Auf der Suche nach Leitbildern aus der Antike erblickte das französische Königtum in der Figur des „Hercules Gallicus“ einen idealen Gegenpol zur habsburgischen Universalmonarchie Karls V. Dessen allgegenwärtige Devise „Plus ultra“ (lat. für „darüber hinaus“) verbindet sich stets mit der Darstellung eines Säulenpaares, mit dem der mythische Held bei Gibraltar nach antikem Verständnis das äußerste Ende des Erdkreises bezeichnet haben soll. Diese Episode ist hier gezeigt. Mit seinem kolonialen Ausgreifen in die Neue Welt hatte Habsburg auch diese Grenze überwunden.

Das Grazer Exemplar ist ein wichtiges Beispiel für die Darstellung der Herkulestaten in der Emailmalerei des 16. Jahrhunderts, die um diese Zeit in Limoges eine Hochblüte erlebte. Führende Meister wie Pierre Reymond, Léonard Limosin, Pierre Courteys oder Jean Miette ließen diese Gattung zu einer der wichtigsten in der angewandten Kunst der Renaissance werden. Wie die gleichzeitige italienische Majolikaware stellten die hochbegehrten Teller reine Schaustücke dar. Sie bildeten oft Serien, wozu sich die als Tugendvorbilder (lat. „exempla virtutis“) aufgefassten Themen aus der klassischen Mythologie besonders eigneten. Auch das Grazer Stück hat in einen solchen, heute verstreuten Zyklus gehört.

Zwei eng verwandte Teller mit den Darstellungen der Geburt des Herkules bzw. der Entführung des Höllenhundes Cerberus befinden sich heute im Musée des Arts Anciens du Namurois, Namur (B) bzw. im Kunstgewerbemuseum Berlin (frdl. Auskunft von Bernard Descheemaeker, Antwerpen, der den Zyklus Jean Miette zuschreibt).