„Ein Hammerschlag…“
500 Jahre evangelischer Glaube in der Steiermark
15.06.2017-07.01.2018
Gestaltung: Erika Thümmel
Über die Ausstellung
Am 31. Oktober 1517 soll Luther eigenhändig 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt haben, um gegen Missbräuche in der katholischen Kirche zu protestieren. Dem Nachhall seiner Hammerschläge ist unsere – für die Steiermark zentrale – Ausstellung im Jubiläumsjahr 2017 gewidmet.
Aus dem Programm
Do 15.06.
15:00-16:00
„Ein Hammerschlag…“. Kuratorenführung mit Ernst-Christian Gerhold
Führung> Museum für Geschichte
Führung
> Museum für Geschichte
Do 15.06.
15:00-16:00
„Ein Hammerschlag…“. Kuratorenführung mit Günter Cerwinka
Führung> Museum für Geschichte
Führung
> Museum für Geschichte
Do 15.06.
15:00-16:00
„Ein Hammerschlag…“. Kuratorenführung mit Wiltraud Resch
Führung> Museum für Geschichte
Führung
> Museum für Geschichte
Do 15.06.
15:00-16:00
„Ein Hammerschlag…“. Kuratorenführung mit Ulrich Becker
Führung> Museum für Geschichte
Führung
> Museum für Geschichte
Fr 23.06.
15:30-16:30
Einführung zu: „Ein Hammerschlag...". Exklusiv für Pädagoginnen und Pädagogen
Führung, Schule> Museum für Geschichte
Führung, Schule
> Museum für Geschichte
Ausstellungs-Rundgang
Ein Hammerschlag hallt durch Europa

Ein Mönch fordert die Autorität von Papst und Klerus heraus: Martin Luther. Er will die Kirche grundlegend reformieren. Mit seinen 95 Thesen kritisiert er am 31. Oktober 1517 den vom Papst verkündeten Sündenablass als unbiblisch.
Für Luther ist die Bibel einzige Grundlage des Glaubens. Darum bekämpft er den Machtanspruch des Papstes und der römischen Kirche. In der Volksfrömmigkeit der Zeit sieht er nur sinnentleerte Riten, in der Rolle des Klerus bloße Verwaltung des Seelenheils der Gläubigen.
Mit dem Apostel Paulus betont Luther, dass der Mensch nicht durch gute Werke Verdienste vor Gott erwerbe, sondern allein durch die Gnade gerettet werden könne. Diese werde durch das Leben und Wirken Jesu, durch Tod und Auferstehung gewährleistet. Hier steht Luther in der Tradition der mittelalterlichen Kreuzesfrömmigkeit. Die ebenfalls im Mittelalter übliche Vermittlerrolle, wie sie den zahlreichen Heiligen zugeschrieben wird, lehnt Luther entschieden ab.
Wahrscheinlich lässt Luther seine Thesen gegen den Ablass an der Tür der Schlosskirche anschlagen. Sein Protest soll öffentlich sein: Er will eine öffentliche Disputation, ein akademisches Streitgespräch darüber mit anderen Gelehrten führen.
Ein Hammerschlag von ungeheurer Wirkung: Ganz Europa ist aufgeschreckt und schaut auf den bislang unbekannten Theologen im kursächsischen Wittenberg. Das gesamte religiöse Gefüge der westlichen Christenheit wird infrage gestellt.
In Windeseile werden Luthers Thesen durch Flugblätter verbreitet. Sie lösen den Prozess der Reformation aus, der Kirche, Politik und Gesellschaft für immer verändert.
Eine revolutionäre Erfindung kommt Luther entgegen: der Buchdruck mit beweglichen Lettern, den Johann Gutenberg ab 1450 eingeführt hat. Luthers Lehre findet so unter den lesekundigen Menschen immer neue Anhänger.
Macht und Glaube

Die mittelalterliche Gesellschaftsordnung ist streng hierarchisch: Der Adel bildet die maßgebliche Schicht. Auch der hohe Klerus besitzt starken politischen Einfluss: Die Bischöfe sind adeliger Herkunft und üben sowohl geistliche als auch weltliche Autorität aus. Bürger und Handwerker bilden innerhalb der Grenzen ihrer Städte eine politische Macht.
Am unteren Ende der Sozialpyramide stehen die hörigen Bauern, die Lasttiere der Gesellschaft. Die Bauern leiden unter übermäßiger Belastung durch Dienstleistungen und Abgaben. Immer wieder kommt es zu Unruhen. Einen Höhepunkt bildet der große Bauernkrieg (1524–1525), der weite Teile Mittel- und Süddeutschlands erfasst und bald darauf Salzburg sowie die Steiermark erreicht.
Wie die Bischöfe sind auch die Päpste Träger politisch-religiöser Macht, die durch gewaltige Bauprojekte sichtbaren Ausdruck findet. So beginnt Papst Julius II. 1506 den gigantischen Neubau der Peterskirche, der den baufälligen Vorgänger, die noch aus der Spätantike stammende Basilika Alt-St. Peter, ersetzen soll.
Das Projekt erfordert Unsummen. Um den Bau zu finanzieren, greifen die Päpste zum Verkauf von Ablassbriefen: Wer will, kann sich von den angedrohten Sündenstrafen im Fegefeuer freikaufen. Der sich daran entzündende Streit ist Anlass und Auftakt zur Reformation.
Die Menschen dieser Zeit sind tief gläubig. Sie haben Angst vor dem Fegefeuer und der Strafe, ewig in der Hölle schmoren zu müssen. Einen Ausweg sehen sie in Wallfahrten, der Verehrung von Heiligen und Reliquien sowie durch viele Stiftungen und im Kauf von Ablassbriefen.
Reformbewegungen in ganz Europa

Martin Luther steht nicht allein mit der Erkenntnis, dass die Kirche von Grund auf erneuert werden muss. Das ganze Mittelalter hindurch sind immer wieder Frauen und Männer aufgetreten, die solche Reformen einmahnen. Forderungen nach einem Reformkonzil werden regelmäßig laut. Aber diese Ansätze scheitern an den Machtinteressen der Päpste und des hohen Klerus.
Eine herausragende Rolle spielen die überall vertretenen Bettelorden. Sie intensivieren die Volksseelsorge und bilden einen Gegenpol zu den Äbten, Bischöfen und Kardinälen, deren verweltlichte Lebens- und Amtsführung oft jegliche seelsorgerliche Verantwortung missen lässt.
In den Niederlanden bilden schon im 13. Jahrhundert Jungfrauen und Witwen als Beginen klosterähnliche Gemeinschaften, später auch in Frankreich und Deutschland. Ohne Bindung an einen Orden, leben sie von ihrer Hände Arbeit. Zunächst unterdrückt, werden sie bald Trägerinnen einer neuen, stark verinnerlichten Frömmigkeit, die zu einem Kennzeichen des ausgehenden Mittelalters wird, die „devotio moderna“. Doch werden bald energische Stimmen laut, die nicht mehr zu überhören sind.
Der englische Theologie John Wiclif (1328–1384) predigt gegen die politische Abhängigkeit seines Landes von Rom und prangert viele innerkirchliche Missstände an, auch übersetzt er die Bibel in die englische Volkssprache.
Die Dichterin und Mystikerin Katharina von Siena (1347–1380) ist eine typische Vertreterin spätmittelalterlicher Frömmigkeit, die dem Leiden Christi gilt. Sie verbindet dies jedoch mit politischen und kirchlichen Aktivitäten. So bewegt sie mit Erfolg den Papst dazu, von Avignon nach Rom zurückzukehren.
Der tschechische Theologe Johannes Hus (1369–1415) greift viele Gedanken und Lehren von Wiclif auf. Die Kirchenspaltung (Schisma) – zeitweilig treten drei Päpste auf – verurteilt er scharf. Das führt zum Streit mit der kirchlichen Obrigkeit und letztlich zu seiner Verbrennung als Ketzer auf dem Konzil zu Konstanz. Die Folge sind die „Hussitenkriege“, die weite Teile Mitteleuropas in Mitleidenschaft ziehen.
Der Florentiner Dominikaner Girolamo Savonarola (1452–1498) verurteilt die laxen Sitten seiner Heimatstadt und greift auch die Kirche scharf an. 1484 verkündet er das nahe Endgericht. Die lebenszugewandte Renaissancemetropole am Arno soll in einen Gottesstaat umgewandelt und Christus König von Florenz werden. Nach seiner Exkommunikation durch den Papst wird er als Ketzer angeklagt und hingerichtet.
Der schweizerische Theologe Huldrych Zwingli (1484–1531) entwickelt unter Berufung auf den Kirchenlehrer Augustinus und den Apostel Paulus ein reformatorisches Verständnis des Evangeliums. Der Rat der Stadt Zürich erkennt nach zwei Glaubensdisputationen öffentlich Zwinglis Lehre an. In den Folgejahren wird alles verboten, was nicht biblisch zu begründen ist: Klöster, Prozessionen, Heiligenbilder, Orgelspiel, Gemeindegesang, Firmung und Letzte Ölung.
Der französische Theologe Johannes Calvin (1509–1564) wird von der Stadtrepublik Genf mit der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse betraut. Unter Calvins Leitung wird Genf zu einem Gottesstaat, der wie Zwingli mit der Tradition vielfach bricht. Die Bevölkerung steht nun in moralischen wie religiösen Dingen unter strenger Aufsicht der lokalen Obrigkeit.
So werden große Teile West- und Mitteleuropas vom Sog der Reformation erfasst. In den Niederlanden gewinnen die Anhänger Calvins die Oberhand und sagen sich feierlich von ihrem streng katholischen Herrn, König Philipp II. von Spanien, los. In Frankreich fordern die Calvinisten die Autorität des „Allerchristlichsten Königs“ heraus, blutige Konflikte sind die Folge. Selbst in Polen und Ungarn werden sie aktiv.
Luthers Lehren erreichen die Steiermark

Wenige Jahre nach dem Thesenanschlag gelangt die „neue Lehre“ Luthers nach Österreich und in die Steiermark.
Die von Luther geforderte „Freiheit eines Christenmenschen“ bedeutet die Befreiung von der Herrschaft des Klerus über die Seelen der Gläubigen, wird aber von den Menschen auch als Befreiung aus sozialer Ungleichheit gedeutet.
Luthers Lehre fällt auch in der Steiermark auf fruchtbaren Boden: Die großen adeligen Familien, aber auch viele Bürger, Handwerker und Bauern neigen Luthers Lehre zu.
Vor allem in der Montanregion Obersteiermark ist der Widerhall groß: Schladming und sein Umland, Enns- und Murtal werden zu Zentren des neuen Glaubens. Hier bricht 1525 der große Bauern- und Knappenaufstand aus, der die habsburgische Herrschaft in der Steiermark kurzzeitig erschüttert.
Die Adeligen sehen sich durch Luther bestärkt, ihrem Landesfürsten mehr politische Mitbestimmung abzutrotzen. Auch die Macht der Kirche, deren Besitz sie lockt, wollen sie brechen.
Währenddessen hält der habsburgische Hof am alten Glauben fest. Doch zwingt ihn die permanente osmanische Invasionsgefahr zu Konzessionen. Glaubensstrenge und Machtbewusstsein sind auf beiden Seiten die Triebkräfte für diesen erbittert geführten Streit.
Überall im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erstarken reformatorische Bewegungen. Die Glaubensspaltung wird zu einem ernsten Risiko für die Stabilität des Reiches. Schließlich bestimmt der Augsburger Religionsfriede von 1555, dass der Landesherr die Konfession seiner Untertanen festlegen darf: „Cuius regio eius religio“ – wes das Land, des der Glaube.

Katholische Erneuerung, Unterdrückung und Vertreibung

Die schweren Missstände zwingen auch die Kirche zu einem deutlichen Kurswechsel. Schrittweise werden Reformkräfte und Bemühungen um eine innere Erneuerung wirksam.
Um die unaufschiebbaren Reformen auf den Weg zu bringen, wird endlich ein Konzil einberufen, das in Trient (Trento) tagt (1545–1563). Es bekräftigt die Grundlagen der traditionellen kirchlichen Lehre, gibt aber auch den entscheidenden Anstoß zum grundlegenden Wandel: Die Seelsorge wird wieder ins Zentrum gerückt, die Bischöfe zur Erfüllung ihrer geistlichen Aufgaben sowie zur Residenzpflicht in ihren Diözesen gehalten, neu eingerichtete Seminare sollen für eine profunde Priesterausbildung sorgen.
Um die Seelsorge zu stärken und damit den kirchlichen Einfluss auf die Bevölkerung zu sichern, wird das gesamte Ordenswesen reformiert. In großen wie kleinen Städten entstehen Niederlassungen der Kapuziner und Karmeliten.
Unter den neuen Orden gewinnen die Jesuiten eine geistlich wie politisch überragende Stellung. Diese drückt sich auch in ihrer weltweiten Missionstätigkeit aus. 1572 werden sie nach Graz berufen und beherrschen bald das höhere Bildungswesen. Diese vielfältigen Erneuerungsbemühungen, die sog. „Katholische Reform“, vollziehen sich zeitgleich zur Entfaltung des Protestantismus. In dieser Lage setzt die Gegenreformation ein, um die konfessionellen Machtverhältnisse umzukehren.
Gestärkt durch die sich neu formierende Kirche, können nun auch die katholischen Landesherrn wie Erzherzog Ferdinand unter Einfluss seiner Mutter Maria von Bayern zum Gegenangriff übergehen. Durch rigide Maßnahmen wie die Verbrennung lutherischer Bücher und Ausweisungsbefehle wird die Alleinherrschaft des alten Glaubens gewaltsam wiederhergestellt.
Der Kampf um die Freiheit des evangelischen Glaubens ist verloren, die Protestanten werden vor die Wahl gestellt, zur alten Kirche zurückzukehren oder zu emigrieren. Sog. „Reformationskommissionen“ durchkämmen das Land. Evangelische Schulen werden geschlossen oder in Klöster umgewandelt, Kirchen und Friedhöfe werden zerstört bzw. aufgelassen. Um 1600 ist die Gegenreformation in den habsburgischen Erblanden weitgehend siegreich.

Aus dem Untergrund in die Freiheit

Im barocken, nunmehr vollständig katholisch geprägten Österreich kann der evangelische Glaube nur noch im Untergrund, in Form des sog. „Geheimprotestantismus“ überleben.
Noch unter Maria Theresia (1740–1780) sind die „Geheimprotestanten“ überaus harten Verfolgungen ausgesetzt. Staatliche Religionskommissionen errichten Missionsstationen, in denen speziell ausgebildete Patres die „Ketzer“ zum katholischen Glauben bekehren sollen.
Im obersteirischen Rottenmann, das als hartnäckiges Widerstandszentrum in der Steiermark gilt, wird 1752 das erste „Konversionshaus“ eingerichtet. Es ist nichts anderes als ein geistliches Gefängnis. 12 bis 15 Personen sind dort bei ungenügender Verpflegung unter militärischer Bewachung interniert. Grausame Methoden wie Essensentzug oder Nächtigung in ungeheizten Zimmern sollen die Häftlinge zum Glaubenswechsel wie auch zum Verrat von Gesinnungsgenossen zwingen.
Schon 1752 erfolgt aus diesem Haus die erste Deportation oder „Transmigration“ nach Ungarn. Auf Anordnung Maria Theresias sollen sogar Kinder zurückbehalten werden, um sie nunmehr im katholischen Glauben zu erziehen zu lassen.
Erst die Epoche Kaiser Josephs II. (1780–1790) bringt eine grundlegende Wende: Der ganz von den Idealen der Aufklärung erfüllte Sohn Maria Theresias erlässt 1781 für seine andersgläubigen Untertanen („Akatholiken“) Toleranzpatente, die Lutheranern, Calvinisten, den nicht mit Rom unierten orthodoxen Kirchen und Juden die private Religionsausübung gestatten. Doch bleibt die römische Kirche Staatsreligion.
Die Motive des Kaisers sind nicht reine Menschenfreundlichkeit, sondern auch wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art. Joseph ist überzeugt von der „Schädlichkeit alles Gewissenszwanges“. Auch sieht er den „großen Nutzen, der für die Religion und den Staat aus einer wahren Christlichen Toleranz entspringet“. Für die Protestanten ist dieses Patent der entscheidende Schritt in eine bis dahin nicht gekannte Freiheit.
Ein weiterer grundlegender Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung erfolgt unter der Regierung Franz Josephs I. (1848–1916): Am 8. April 1861 wird das Protestantenpatent erlassen. Es gewährt den evangelischen Christen der Monarchie die volle Glaubensfreiheit und nun auch das Recht der öffentlichen Religionsausübung. Das bedeutete die selbstständige Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten und die Gleichstellung mit anderen Kirchen und Religionen. Hinzu kommt eine finanzielle Unterstützung in Form einer Staatspauschale.
Doch behält sich der Kaiser eine Reihe von Kompetenzen vor wie die Bestätigung der gewählten Superintendenten, die Genehmigung der Kirchenverfassung und die Ernennung des Präsidenten des
Oberkirchenrates. Auch das mit dem Vatikan 1855 abgeschlossene Konkordat bestimmt weiterhin Ehegesetzgebung und Schulwesen und erschwert interkonfessionelle Beziehungen. Die katholische Kirche hält an ihrem alten Anspruch fest, die einzige rechtmäßige zu sein.
In der Zweiten Republik ist die Gleichberechtigung der Konfessionen definitiv vollzogen: Das Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über die äußeren Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche in Österreich gibt dieser die volle Freiheit in den inneren Angelegenheiten sowie die Gleichstellung
mit anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Glaube, Sprache und Kunst

Zu den primären Lebensleistungen Luthers zählt die epochale Erneuerung der deutschen Schriftsprache, die eng mit seiner Bibelübersetzung zusammenhängt. Resultat ist das sog. „Lutherdeutsch“, das dank seiner bildhaften Anschaulichkeit schnell populär wird.
Luther zählt auch zu den Erneuerern der Grammatik. Um das Wesentliche hervorzuheben, setzt Luther vermehrt auf Satzzeichen und Großschreibung. Er schafft zunehmend Grundzüge einer gleichbleibenden Rechtschreibung. Diese sprachliche Vereinheitlichung ist die wichtigste Voraussetzung für den enormen Verkaufserfolg. So wird die Lutherbibel das meistgelesene Buch im 16. Jahrhundert und eines der Hauptzeugnisse der deutschen Literatur, das ganze Generationen geprägt hat.
Eine weitere kulturelle Großtat der Reformation ist die Neubegründung des deutschen Kirchenliedes, die Luther persönlich mit eigenen Dichtungen in Gang setzte. 1524 erscheint das erste Gesangbuch, das Achtliederbuch sowie das Geistliche Gesangbuch von Johann Walter. Dieses enthält schon 24 Lutherlieder.
Eine große Hilfe zur Verbreitung der Lieder sind zwei technische Neuerungen: der Buchdruck und der bewegliche Notendruck durch Petrucci im Jahre 1500. So verbreiten sich die Kirchenlieder (Choräle) schnell und werden teilweise echte Gassenhauer, teils, um die neue Lehre zu bezeugen, teils, um zu provozieren.
Eine Hauptwaffe im Konfessionskampf ist der Buchdruck, der zu den modernsten Erfindungen der Zeit zählt. Illustrierte Flugschriften sind nicht nur ein Mittel, den eigenen Standpunkt darzulegen. Sie dienen in immer stärkerem Maße dazu, den Gegner mit allen Mitteln buchstäblich zu verteufeln.
Die katholische Seite konzentriert ihre Angriffe auf die Person Luthers. Dieser attackiert mit größter Schärfe das Papsttum. Er nutzt den üblen Ruf, der den Inhabern des Stuhls Petri sowie vielen Vertretern des hohen Klerus gerade in dieser Zeit anhaftet.
Mit Lucas Cranach d. Ä. verfügt das evangelische Lager über eine geniale Begabung im Kampf um den Glauben. Wie kaum ein anderer ist der erfolgreiche Künstler und Unternehmer Cranach Botschafter Luthers und der Reformation.
Die lange Periode der Verfolgung und des Überlebens im Untergrund hat eine eigenständige evangelische Bildkultur in Österreich nur in Ansätzen entstehen lassen. Erst nach 1945 kann davon gesprochen werden. Während der Monarchie ist die evangelische Kunstpflege großenteils von deutschen Vorbildern bestimmt gewesen.

Die Frau in der evangelischen Kirche

Im Juni 1525 heiratet die aus dem Kloster geflohene Nonne Katharina von Bora den ehemaligen Mönch Martin Luther. Die selbstbewusste, aus einer sächsischen Adelsfamilie stammende 25-jährige Frau wächst über ihre traditionelle familiäre Rolle hinaus in die Stellung einer modernen Managerin hinein, was ihr die besondere Achtung ihres Mannes einträgt: Sie bewirtschaftet die umfangreichen Ländereien, betreibt Viehzucht, eine Bierbrauerei und ein Krankenhospiz, weiterhin überwacht sie die Finanzierung der Drucke von Luthers Schriften.
Luthers Familie sollte zu einem historischen Modellfall werden und den legendären Ruf begründen, den das „evangelische Pfarrhaus“ als Pflanzstätte von vielfältigen Begabungen lange Zeit genossen hat.
Die Reformation ist freilich keine Frauen-, sondern Glaubensbewegung. Doch gestattet sie es, dass sich Frauen in aktiven Rollen wiederfinden und diese ausfüllen können. Dies haben freilich nur wenige getan. Das traditionelle, aus Antike und Mittelalter stammende Frauenbild, das die Unterordnung unter den als geistig überlegen geltenden Mann forderte, sollte noch stark nachwirken. Aktive Persönlichkeiten wie Katharina von Bora oder Anna Neumann von Wasserleonburg, die Herrin von Murau, stellen die Ausnahme dar.
Es hat an der Logik der Entwicklung gelegen, dass der Frau eine aktive Rolle zugebilligt worden ist, die über den traditionellen Rahmen des evangelischen Pfarrhauses hinausgeht: die offizielle Zulassung zum Amt des Pfarrers und damit eine innerkirchliche Leitungsfunktion. Damit stellt die Pfarrerin einen gesellschaftlichen Normalfall dar.
Die Schattenseiten der evangelischen Kirche

Luther selbst hat hier eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Seine zunächst judenfreundliche, die bekannten Vorurteile zurückweisende Einstellung äußert sich 1523 in der Schrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei. Doch ändert sich seine Meinung, als Bekehrungserfolge ausbleiben. 1543 versteigt er sich in einer weiteren Schrift, Von den Juden und ihren Lügen, zu sieben Forderungen an die Obrigkeit, wie mit der jüdischen Bevölkerung zu verfahren sei.
Dies sollte fatale Folgen haben. Die Feier des 400. Geburtstags Martin Luthers 1883 als „germanischer Nationalheld“ macht Luthers antijüdisches Schrifttum zum Verbindungsglied zwischen evangelischer Theologie und deutschnational-antisemitischen Bewegungen. Im Zuge der „Los-von-Rom-Bewegung“ treten Tausende deutschnational gesonnene Katholiken der evangelischen Kirche bei. Die Evangelische Kirche in Österreich wird zu einem Hort des Antisemitismus.
Mit der Monarchie endet auch die Schiedsrichter- und Beschützerrolle des Staates, der zunehmend repressiv wird. Vorübergehende Festnahmen und Verfahren gegen Pfarrer, Zensur, Beschlagnahme und Verbot von kirchlichen Druckwerken, die Behinderung von Übertritten, die Benachteiligung von Evangelischen bei der Besetzung öffentlicher Stellen und das katholische Schulgebet bewirken eine verstärkte Zuwendung zu der seit Juni 1933 verbotenen NSDAP.
Das Schlagwort von der „neuen Gegenreformation“ geht um. Das Konkordat, das den Vorrang der katholischen Kirche absichert, wird als besonders schmerzhaft empfunden.
Der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland am 12. März 1938 wird daher von den meisten Evangelischen begrüßt. Huldigungsadressen an Hitler häufen sich. Der Oberkirchenrat verordnet den Diensteid der Pfarrer auf den „Führer“. Zur Volksabstimmung über den „Anschluss“ am 10. April 1938 weht auch an den evangelischen Kirchen die Hakenkreuzflagge.
1949 wird auf der Generalsynode erstmals eine Mitverantwortung eingeräumt, aber erst 1998 folgt in der Erklärung Zeit zur Umkehr eine ausdrückliche Distanzierung von Luthers unheilvoller judenfeindlicher Spätschrift.
Die Wirkungsgeschichte der Reformation

Die Reformation entdeckt die antiken bzw. biblischen Grundlagen der modernen Vorstellung von Menschenwürde, deren Vorstufe schon in der persischen Gesetzgebung unter Kyros d. Gr. im Jahre 589 v. Chr. zu finden ist.
Dieser Idee ist auch die Bill of Rights verpflichtet, die 1689 vom englischen Parlament verabschiedet wird. Auch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1776, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung von 1789 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung von 1948 gehen darauf zurück.
In den evangelischen Kirchen hat sich das Demokratieprinzip verfestigt. Argumentieren, überzeugen und abstimmen – so laufen innerkirchliche Entscheidungsprozesse ab. Alle Ämter und Funktionen werden durch Wahl besetzt. Wahl und Wahrnehmung eines Amtes verpflichtet zu einem Handeln, das im Sinne der Aufklärung am Gemeinwohl orientiert ist.
Das Verhältnis zur Obrigkeit ist für evangelische Christen immer zwiespältig. Einerseits sind sie der staatlichen Gewalt Gehorsam schuldig, weil sie diese als eine von Gott eingesetzte Macht ansehen; so lehren es der Apostel Paulus und mit ihm Martin Luther.
Andererseits ist Widerstand gegen die Obrigkeit erlaubt und gefordert, wenn man als Christ der Regierung nicht ohne Sünde gehorsam sein kann. So steht es in der Augsburgischen Konfession, Artikel 16.
Für die Männer des 20. Juli 1944 im Widerstand gegen das NS-Regime war es eine Frage ihres Glaubens und des Gewissens, ob der „Tyrannenmord“ gerechtfertigt sei. In einem vorbereiteten „Aufruf an das deutsche Volk“ schreiben sie: „Wir wollen Gottesfurcht anstelle von Selbstvergottung, Recht und Freiheit anstelle von Gewalt und Terror.“ Die Männer des 20. Juli 1944 handelten aus ethischen und christlichen Motiven, um die Gräuel des Dritten Reiches zu beenden.
Evangelische Persönlichkeiten

Geistige Strömungen wie die Aufklärung und die Entfaltung des evangelischen Pfarrhauses waren in Deutschland wichtige Faktoren zur Entwicklung eines Bildungs- und Kulturbürgertums. Das geistige Klima dort hat protestantische Denker, aber auch Größen der deutschen Literatur und Kunst hervorgebracht.
Absolutismus und Gegenreformation haben in Österreich diese geistigen Entwicklungen unterdrückt. Erst spät, mit dem Aufkommen der Aufklärung, traten in Österreich Persönlichkeiten hervor, die ähnlich den Juden das kulturelle und intellektuelle Leben nachhaltig prägten und mehr oder weniger zu ihrem evangelischen Bekenntnis standen.
Dazu zählen Wissenschaftler, Juristen, Dichter, Architekten, Musiker und Schauspieler, auch der Begründer des „Culturhistorischen und Kunstgewerbemuseums“, Karl Lacher.
In der Steiermark setzte Erzherzog Johann eine umfassende Modernisierungskampagne in Gang, die Landwirtschaft, Bildungswesen, Handel und Gewerbe betraf. Dies war Anlass für die Zuwanderung zahlreicher Industrieller aus dem deutschen Sprachraum, darunter viele Protestanten. Ihr Engagement trug erheblich zum Aufschwung der Region bei wie auch zur Gründung evangelischer Gemeinden.
„Antennensystem“ im Außenraum von Graz
Teil der Schau ist ein „Antennensystem“ im Außenraum von Graz, das die Wirkungsgeschichte der Reformation an jenen Orten sichtbar macht, an denen sie sich zugetragen hat.
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Weiterführende Links:
Eine gemeinsame Website der Evangelischen Kirchen Österreichs: www.evangelisch-sein.at
Evangelische Kirche in der Steiermark
Museum für Geschichte
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