Alfred Steffen, Festbeleuchtung zur 800 Jahrfeier der Stadt Graz, Uhrturm und Stallbastei, 1928, Multimediale Sammlungen/UMJ

18. Dezember 2017 / Christoph Pietrucha

Feuriges Berlin, illustres Graz

Museum für Geschichte

Berlin und Graz waren in den 1920er-Jahren pulsierende Zentren. In Berlin begeisterte „kultivierter Kitsch“, während in Graz das „Schubert-Denkmal“ für Staunen sorgte. Im Zuge der Recherchen für die aktuelle Foto-Ausstellung "Land bei Nacht" im Museum für Geschichte tat sich dieser Vergleich zweier ungleicher Metropolen auf.

„Rastlos ist diese Stadt; sie dampft vor Arbeit, sie schlägt zuckend um sich im Qualm wütender Bewegtheit. Feurige Riesenschlangen der Lichtreklame klettern an den Fassaden hoch, schreien in die sternenlose Nacht mit roten und grünen Zeichen, weisen den Weg: höher hinauf! Unter den mattblauen Tafeln mit dem glänzenden U speit die steile Treppe schwarze Klumpen Menschen hinauf in die tolle Straße: sie wollen weiter! Die endlosen gelben Bänder der Straßenbahnen rollen magisch verwirrt durcheinander: der Schupo [Schutzpolizei] im Ledermantel hebt die weißbehandschuhte Rechte – die kleinen Autos mit dem gewürfelten Band um den glänzenden Leib bäumen sich nervös zurück wie unruhige Hengste. Fünfstrahlig zischt das gewaltige Leben in den großen Stern vom Potsdamer Platz: er saugt mächtig alles in sich ein, wie ein Symbol für die nervenverbrauchende Stadt Berlin – hier fliegt es zusammen, Ordnung, Elastizität, Raserei und letzte Schau.“

Postkarte, Berlin bei Nacht: Potsdamer Platz, gelaufen 1929, Privatsammlung

Ist Franz Datner, der Autor des zitierten Textes, in Raserei verfallen? Ist er geblendet von den Leuchtreklamen der Metropole, im Berlin der goldenen Zwanzigerjahre durchgedreht? Sein Artikel „Berlin spielt auf. Die lebendigste Stadt der Welt“, der 1928 in der Zeitschrift Die Bühne erschien, ist eine Hymne auf die deutsche Hauptstadt.

Gleiches Jahr, nur 900 Kilometer südlich. Auch hier brennen diverse Lichtquellen Löcher in den Schleier der nächtlichen Stadt: Straßenlaternen ringen der Nacht Lichtinseln ab. Leuchtreklamen konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Flaneure. Erhellte Schaufenster lassen Kaufwünsche erwachen. Auf Postkarten ist die Stille der Nacht eingefangen. Sie werben mit erhellten Sehenswürdigkeiten für die steirische Landeshauptstadt, die 1928 ihr 800-Jahr-Jubiläum feiert. Aus diesem Anlass werden am 30. September das Rathaus sowie das Landhaus in die Lichtkulisse mit einbezogen. Der Stadtparkbrunnen wird illuminiert, zahlreiche Privatbauten unterstützen die Lichtshow. Über dem Lichtermeer thront der Uhrturm, der eher einem Leuchtturm gleicht. Auf der Bastei sieht man die leuchtenden Jahreszahlen „1128–1928“. Illustre Gäste sind an diesem Tag angereist, um Worte zu Ehren der Stadt an das gespannte Publikum zu richten. Bürgermeister Vinzenz Muchitsch wacht als Hausherr über die Feierlichkeiten.

Postkarte, Stadtparkbrunnen bei Nacht, Erika-Verlag, 1928, Postkartensammlung GrazMuseum

Doch auch Neider finden sich, die schon ein paar Tage vor dem Höhepunkt der Feierlichkeiten das Stadtbild kritisieren. Im Salzburger Volksblatt vom 27. September werden die negativen Seiten der Transformation der Jubilarin beschrieben: „Auf dem Jakominiplatz ist ein häßlicher Zeitungskiosk entstanden; knapp daneben hat ein Klavierfabrikant einen etwa drei Meter hohen Bau errichtet, dessen Plattform einen schwarzen ,Konzertflügel‘ trägt. Der Volksmund nennt die holzgewordene Idee eines geschickten Reklame-Fachmannes das Grazer Schubert-Denkmal. Von der Querdrähten der elektrischen Straßenbahn hängen nicht nur in der Herrengasse, sondern auch auf den anschließenden Plätzen zahllose, dreieckige Plakate, die schreiend mahnen: Kaufen Sie…! Diese Dinge passen nicht recht zu dem vornehmen Charakter der Stadt, sie erinnern zu stark an die Geschäftsstraßen rein kaufmännischer Orte. Deshalb darf man wohl erwarten, daß alle diese häßlichen Beigaben zu den Grazer Festtagen nach dem 7. Oktober wieder verschwinden werden. Wie es überhaupt nötig schiene, in Graz dem Reklame-Unfug ein wenig Einhalt zu tun.“

Alfred Steffen, Festbeleuchtung zur 800 Jahrfeier der Stadt Graz, Uhrturm und Glockenturm, 1928, Postkartensammlung GrazMuseum

Graz ist wohl auch in diesen Tagen nicht Berlin. Es fehlt der von Franz Datner beschriebene „kultivierte Kitsch“, für den man sich nicht schämt. In Berlin gab es „feenhafte Kinopaläste mit Brokat, mit venezianischen Lustern, mit kostspieligen Reklametafeln und Samtfauteuils nach amerikanischen Muster“. Aber hatte Berlin ein originelles Schubert-Denkmal? Und ein Schlossberg mit einem Uhrturm fehlte dort sicherlich auch!

Die Ausstellung Land bei Nacht. Fotoexpedition in die nächtliche Steiermark im Museum für Geschichte zeigt das nächtliche Leben in Graz und in den steirischen Regionen.

Kategorie: Museum für Geschichte
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