Franz Fauth, Pedalritter im „Hof-Atelier“, undatiert, Multimediale Sammlungen

27. April 2017 / Christoph Pietrucha

Auch der Ritt auf dem Drahtesel will gelernt sein – Winterradfahrschule im Palais

Museum für Geschichte

Im Depot der Kulturhistorischen Sammlung befinden sich einige Fahrräder aus dem 19. Jahrhundert. Beispiele dafür sind auch im neuen Schaudepot des Museums für Geschichte zu sehen.

Sie zeugen vom einstigen Interesse für dieses neu aufgekommene Fahrzeug, das auch in der Steiermark viele Fans gefunden hat. Bereits Ende 1894 zählte allein Graz 800 bis 1000 Radfahrerinnen und Radfahrer, die an Sonn- und Feiertagen mit ihren Rädern Ausflüge machten. Das Fahrrad wurde aber auch zunehmend als alltägliches Verkehrsmittel genutzt. In Winter-Radfahrschulen wurde unter anderem das Fahren erlernt bzw. wurden die Fahrkünste verbessert.

Nur wenige wissen, dass sich eine solche Winter-Radfahrschule auch „in dem gräflich Herberstein’ schen Gebäude, Sackstrasse 16“ befand. Wo heute das Museum für Geschichte angesiedelt ist, haben eifrige Damen und Herren das Fahrradfahren erlernt. Am 27. Oktober 1897 wurde die Eröffnung der Fahrschule im „Grazer Tagblatt“ angekündigt. Sie richtete sich sowohl an „Anfänger als auch solchen Herren und Damen, die das Reigenfahren erlernen wollen.“ Die Räumlichkeiten bestanden aus einem „großen Fahrsaale und mehreren kleinen Sälen für Garderobe und Sprechzimmer.“ In einer weiteren Anzeige vom 31. Oktober wurde versichert: für „Bequemlichkeit ist nach jeder Richtung hin bestens gesorgt.“ Als Veranstalter werden die „,Graziosa‘-Fahrradwerke Benedict Albl & Comp.“ genannt.

„Winter-Radfahrschule“, in: „Grazer Tagblatt“, 31. Oktober 1897.

„Winter-Radfahrschule“, in: „Grazer Tagblatt“, 31. Oktober 1897.

Das Reigenfahren war eine besondere Form des Fahrradfahrens. Eine Gruppe von Fahrerinnen und Fahrern bildeten einen „Reigen“ – es galt, gemeinsam eine Anzahl nacheinander folgender Fahrübungen vorzuführen. Zu diesem Zweck wurde ein Saal für das Training gemietet. Für Josef Adametz war der Zweck des Saalfahrens, „den Fahrer, namentlich den Hochradfahrer, in der sicheren und leichten Führung seines Rades auszubilden und zu vervollkommnen; gleichzeitig soll es ihm die Gelegenheit bieten, sich eine gefällige, elegante Haltung anzugewöhnen.“ Er schreibt in der am 14. Februar 1896 in Wien erschienen Zeitschrift „Radfahr-Sport“, dass die verbesserte Körperhaltung „das Ansehen des Radsportes in den Augen der nichtfahrenden Bevölkerung gewiss nur heben wird; dies wird namentlich bei gemeinschaftlichen Ausfahren, Durchfahrten grösserer Orte etc. zur Geltung kommen.“ Die Saalfahrten würden sich dabei sowohl für Hochräder als auch Niederräder eignen.

Franz Fauth, stolzer Radfahrer in Korbin, undatiert, Multimediale Sammlungen;

In seinem Artikel verwendet Adametz mit Vorliebe das Wort „stramm“: So ist auch für den Unterricht ein „erfahrener Fahrer erforderlich, der ein strammes, militärisches, turnerisches Commando zu führen vermag und der nebst dieser Gabe auch mit einem gehörigen Vorrathe von Geduld, Ausdauer, Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit ausgestattet ist.“ Diesem Trainerhelden sollen seine Schützlinge „in nichts widersprechen, sondern dessen Anforderungen pünktlich und mit militärischer Genauigkeit nachkommen.“ Und natürlich sind auch Regeln einzuhalten: „Während des Schulfahrens sei das Betreten des Fahrfläche von Seiten der Nichttheilnehmer unbedingt verboten; auch sei es denselben strengstens untersagt, durch geräuschvolle Unterhaltung oder laute Beurtheilung des Fahrenden deren Aufmerksamkeit von der Uebung abzulenken. Die Fahrer selbst dürfen während des Schulfahrens weder rauchen noch untereinander Unterredungen führen; ein Ein- und Austreten sei nur mit Bewilligung des Uebungsleiters erlaubt.“ Spaß ist schließlich eine ernste Angelegenheit!

Doch nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land war das Fahrrad sehr beliebt. Selbst in kleineren Orten bildete sich eine reiche Fahrradkultur aus. Das Fahrrad stand zu einem für individuelle Mobilität, zum anderen für Geselligkeit in Radsportvereinen.

Franz Fauth, “Dame mit Fahrrad im Atelier”, um 1910, Multimediale Sammlungen/Universalmuseum Joanneum

Auch der Sulmtaler Fotograf Franz Fauth (1870–1947) hat einige Männer und Frauen abgebildet, die sich stolz als Fahrradbesitzer/innen zeigen. In der Sonderausstellung der Multimedialen Sammlungen im Museum für Geschichte – Fauth fotografiert. Ein weststeirisches Hof-Atelier – sind einige dieser Fotografien zu sehen. Kaum vorstellebar ist allerdings, dass die gemeinsamen Übungen der Pedalisten auch auf dem Lande so „stramm“ gehandhabt wurden, wie es Josef Adametz forderte.

Kategorie: Museum für Geschichte
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Ein Gedanke zu “Auch der Ritt auf dem Drahtesel will gelernt sein – Winterradfahrschule im Palais

  1. Friedrich Klementschitz

    Sehr geehrte Damen und Herren!

    Die Ausstellung über die Mur und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung war mir einen Besuch wert. Die Präsentation der Objekte war sehr gut gelungen, was mir allerdings abging, war das fachkundige Gespräch mit Expertinnen und Experten. Die anwesenden Leute kontrollierte die Eintrittskarten, waren aber zu dem Thema ahnungslos. Schade, denn sie hätten von mir etwas erfahren können. Nur auszustellen und den Leuten vielleicht ein Gerät umzuhängen, wird in Zukunft kaum reichen. Aber das soll nicht mein Problem sein.

    Mit freundlichen Grüßen, Ihr Friedrich Klementschitz aus Leitring

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