Vitrine 2
Ethnologischer Blick
Die Figurinen im Überblick |


Auf der Suche nach der „Urtracht“
Die Vorlage für die Kleidung des Slawen und der Slawin vom 10. bis zum 19. Jahrhundertentnahm Viktor Geramb der romantischen Darstellung von Karl Ruß (1810), einem Kammermaler von Erzherzog Johann. Auf diesem Bild ist das Paar barfuß und in weißer Kleidung dargestellt, diese wird mit einem einfachen Ledergürtel zusammengehalten.
Rettung traditioneller Volkskultur oder ethnische Stereotypisierung?
Handelt es sich bei der Darstellung der Slawin/des Slawen um eine Anfang des 20. Jahrhunderts auch in der Volkskunde verankerte Sehnsucht nach dem „Urtümlichen“ oder „Primitiven“ bzw. dessen Revitalisierung? Oder stützte das Museum hier kulturelle Stereotypisierungen von Menschen aus Südosteuropa, wie sie schon im 19. Jahrhundert gängig waren? Schließlich nationalisierte, ethnisierte und biologisierte auch die frühe Volks- und Völkerkunde die Menschen. Die Klassifizierung und Darstellung von „Anderen“ in Abgrenzung zum „eigenen Volk“ fand ihren sichtbaren Ausdruck unter anderem in der als Nationalkostüm verstandenen „Tracht“. Auch in den südosteuropäischen Teilen der Habsburgermonarchie entstanden farbige Trachten im Zuge nationalistischer Bestrebungen und Viktor Geramb selbst hatte die „slawische Tracht“ stets als bunt beschrieben. In der Vitrine jedoch vermittelt die Nachbarschaft der unterschiedlich gekleideten Figurinen die Ungleichzeitigkeit von Lebensweisen und kultureller Entwicklung. Den hier als Slawe/Slawin Verkörperten wurde durch ihre behauptete jahrhundertelange Bloßfüßigkeit und ungefärbte Kleidung ein hinterer Platz auf der Entwicklungsstufe zugewiesen.
Figurine: Alexander Silvieri, Fassung: Fritz Silberbauer zugeschrieben, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto Figurine: N. Lackner/UMJ
Abbildung: Karl Ruß, Kroatische Bauern an der (ehemals) steirischen Grenze bei Friedau an der Drau, Aquarell, 1810, abgebildet in: Viktor Geramb (Hg.): Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1, Graz 1932, S. 100
Text: Birgit Johler


Auf der Suche nach der „Urtracht“
Die Vorlage für die Kleidung des Slawen und der Slawin vom 10. bis zum 19. Jahrhundertentnahm Viktor Geramb der romantischen Darstellung von Karl Ruß (1810), einem Kammermaler von Erzherzog Johann. Auf diesem Bild ist das Paar barfuß und in weißer Kleidung dargestellt, diese wird mit einem einfachen Ledergürtel zusammengehalten. Auf dem Bild trägt die Frau den Krug auf dem Kopf. Der Krug in der Vitrine – eine Schwarzhafner Ware – wurde im Jahr 1935 auf einem Markt in „Oberradkersburg“ (heute Gornja Radgona, Slowenien) erworben und war ein Geschenk an das Museum.
Rettung traditioneller Volkskultur oder ethnische Stereotypisierung?
Handelt es sich bei der Darstellung der Slawin/des Slawen um eine Anfang des 20. Jahrhunderts auch in der Volkskunde verankerte Sehnsucht nach dem „Urtümlichen“ oder „Primitiven“ bzw. dessen Revitalisierung? Oder stützte hier das Museum kulturelle Stereotypisierungen von Menschen aus Südosteuropa, wie sie schon im 19. Jahrhundert gängig waren? Schließlich nationalisierte, ethnisierte und biologisierte auch die frühe Volks- und Völkerkunde die Menschen. Die Klassifizierung und Darstellung von „Anderen“ in Abgrenzung zum „eigenen Volk“ fand ihren sichtbaren Ausdruck unter anderem in der als Nationalkostüm verstandenen „Tracht“. Auch in den südosteuropäischen Teilen der Habsburgermonarchie entstanden farbige Trachten im Zuge nationalistischer Bestrebungen und Viktor Geramb selbst hatte die „slawische Tracht“ stets als bunt beschrieben. In der Vitrine jedoch vermittelt die Nachbarschaft der unterschiedlich gekleideten Figurinen die Ungleichzeitigkeit von Lebensweisen und kultureller Entwicklung. Den hier als Slawe/Slawin Verkörperten wurde durch ihre behauptete jahrhundertelange Bloßfüßigkeit und ungefärbte Kleidung ein hinterer Platz auf der Entwicklungsstufe zugewiesen.
Figurine: Lt. Inventar Geschenk von Alexander Silveri, Fassung: Fritz Silberbauer zugeschrieben, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto Figurine: N. Lackner/UMJ
Abbildung: Karl Ruß, Kroatische Bauern an der (ehemals) steirischen Grenze bei Friedau an der Drau, Aquarell, 1810, abgebildet in: Viktor Geramb (Hg.): Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1, Graz 1932, S. 100
Text: Birgit Johler


Ein auffallend gearbeiteter Webstoff
Sowohl für die Kleidung als auch für den Kopf des Ostgermanen hatte Viktor Geramb Darstellungen auf römischen Denkmälern sowie Originalfunde aus den Mooren in Norddeutschland und Dänemark als Vorlage verwendet. Das vierschäftige Muster webte sehr wahrscheinlich Marietta Maieritsch, die auch für den ponchoartigen Überzug verantwortlich war. Im Vergleich zu den Figurinen in der unmittelbaren Nachbarschaft wirkt die Kleidung des Ostgermanen ausgefeilt. Nicht zuletzt die Erzeugung und Verarbeitung von Loden hätten die Germanen, so das Steirische Trachtenbuch, selbstständig verbessert.
Gewollt oder ungewollt: Ein Beitrag zur „völkischen Volkskunde“
Die Einrichtung des Trachtensaals fällt in die Zeit der völkischen wie nationalsozialistischen Germanenforschung in der Wissenschaft und in der politischen Schulung. In der Volkskunde mit ihrer „Reinhaltung der Volksart“, wie sie auch Viktor Geramb propagierte, waren wesentliche Elemente einer völkischen Ideologie schon vor dem Nationalsozialismus angelegt. In den 1930er-Jahren versuchte eine „völkische Volkskunde“ den Nachweis der Kontinuität „germanischer Gesittung“ vom Altertum bis in die Gegenwart zu leisten. Dabei sprach sie der nordischen Kultur den höchsten Rang unter den Kulturen der Völker zu. Auf diese Weise strickten auch jene Volkskundler*innen an der Ideologisierung eines Germanen-Mythos mit, die sich aufgrund ihrer christlich-kirchlichen Orientierung vom Nationalsozialismus absetzte.
Figurine: Alexander Silveri, Fassung: Fritz Silberbauer, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto: N. Lackner/UMJ
Text: Birgit Johler


Eine Outdoorkleidung aus Naturmaterialien
Dieser Lindenbast-Umhang wurde dem Museum im Sommer 1932 von Karl Stöffelmaier, Oberlehrer in St. Lorenzen bei Eibiswald, geschenkt. Laut Aufzeichnungen soll er noch um 1900 in Hadernigg (Bezirk Deutschlandsberg) benützt worden sein. Der Scheibenhut aus Filz wurde 1913 für das Museum erworben und stammt laut Inventar aus dem Stubalpgebiet. Als Vorlage für die Ausstattung des Südsteirischen Hirten dienten dem Trachtenforscher Viktor Geramb u. a. farbige Abbildungen, die sich heute in der Sammlung des Museums befinden.
Hut und Umhänge dieser Art schützten vor zu viel Sonne und Regen, Wind und Wetter. Sie waren laut Geramb schon für die Hirten und Schiffer im alten Griechenland beschrieben. Für volkskundliche Museen waren solche Regenschutzumhänge von jeher ein begehrtes Sammlungsobjekt. Sie verwiesen auf die vormoderne Wirtschaftsweise und konnten auch aus Gras, Schilf, Stroh oder anderen Naturmaterialien bestehen – je nach den Rohstoffen vor Ort.
Barfuß durch die Alpen?
Die Figurine des Südsteirischen Hirten fällt nicht nur durch ihren ungewöhnlichen Umhang auf: Wie für die Slawin und den Slawen hatte Viktor Geramb auch für diese Figur, in der Kartei als „Alpenslawe“ vermerkt, ungefärbte Leinenkleidung und keine Schuhe vorgesehen. Die museale Repräsentation des „Primitiven“ schließt gleichzeitig die Praxis der Abgrenzung zum kulturell „Anderen“ ein. Mit dem Begriff des „Alpenslawen“ verwies Geramb aber auch auf die Vorfahren der Slowen*innen und damit auf die jahrhundertelange zweisprachige Geschichte der Steiermark sowie die slowenische Štajerska – ab dem Mittelalter Teil des Herzogtums Steiermark.
Figurine: Laut Inventar Geschenk von Alexander Silvieri, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto Figurine: N. Lackner/UMJ
Abb.: Kupferstich, o.D., Nachbildung nach einem Aquarell von Karl Ruß, 1811
Text: Birgit Johler


Sozial besser gestellt
Die Kleidung dieser Figurine wurde nach einer Illustration des Wassermann-Zeichens in einem St. Lambrechter Brevier aus dem späten 12. Jahrhundert rekonstruiert. Diese hatte der Maler und Grafiker Fritz Silberbauer für Viktor Geramb kopiert. Der blaue Leibrock mit gefüttertem Gürtel, die weichledernen Beinlinge und Schuhe sind auf der Bildvorlage deutlich zu erkennen. Das Gewand beschrieb Geramb als mit Indigo gefärbt – ein Hinweis auf die soziale Stellung des hier dargestellten Mannes: Der aus der Indigo-Pflanze gewonnene Farbstoff war bis zum 12. Jahrhundert selten und gelangte nur in kleinen Mengen aus Indien nach Europa.
Figurenwechsel
Die Figurine des Mannes um 1180 trug zwischendurch eine andere Kleidung und erzählte dadurch auch eine andere Geschichte: In den 1980er-Jahren verwandelte die damalige Wissenschaftlerin des Museums, Maria Lackner-Kundegraber, den mittelalterlichen Mann in einen Bergmann in festtäglicher weißer Bergmannstracht aus der Obersteiermark und verortete ihn dadurch im Lokalen. Die Bergmannstracht wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Uniform, sie zu tragen mitunter durch entsprechende Maßnahmen erzwungen. Die Uniform war ein Geschenk und wurde von August Zahlbruckner, Direktor der Österreichischen Alpine-Montangesellschaft von 1924 bis 1934 und Juli-Putschist, dem Volkskundemuseum übergeben.
Figurine: Alexander Silveri, Fassung: Fritz Silberbauer, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto Figurine: N. Lackner/UMJ
Abb.: Das Zeichen des Wassermanns aus einem St. Lambrechter Brevier, Ende 12. Jhdt., aus: Viktor Geramb (Hg.): Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1, Graz 1932, S. 250.
Text: Birgit Johler


Das Zeichen der Jungfrau als Vorlage
Die Rekonstruktion des Wollkleides und der Kleidungsteile der Frau um 1180 erfolgte wie auch beim Mann um 1180 auf Grundlage von Bildquellen aus dem späten 12. Jahrhundert. Fritz Silberbauer hatte die bildhafte Darstellung des Jungfrau-Sternzeichens aus einer Buchmalerei in St. Lambrecht für Viktor Geramb kopiert. Die Kopfbedeckung entnahm der Volkskundler der Darstellung einer Heiligen, ebenfalls abgebildet in einem St. Lambrechter Brevier.
Erneuert
Wie der Mann um 1180 wurde auch diese Figurine bei der Wiedereröffnung des Trachtensaals im Jahr 1985 mit neuer Kleidung ausgestattet. Die mittelalterliche Frau verwandelte sich in eine Dirndlträgerin mit erneuerter Tracht, einem Sulmtaler Dirndl mit hochgeschlossener Bluse aus dem Steirischen Heimatwerk.
Figurine: Alexander Silveri, Fassung: Fritz Silberbauer, Kleidung: Melitta Maieritsch
Entstehungszeit: 1936/37
Foto Figurine: N. Lackner/UMJ
Abb.: Das Zeichen des Wassermanns aus einem St. Lambrechter Brevier, Ende 12. Jhdt., aus: Viktor Geramb (Hg.): Steirisches Trachtenbuch, Bd. 1, Graz 1932, S. 244.
Text: Birgit Johler
Volkskundemuseum
Paulustorgasse 11-13a
8010 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9810
volkskunde@museum-joanneum.at
Öffnungszeiten
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