Pilze und Lebensmittel – vielfältige Nutzung und neue Möglichkeiten

Heribert Holzer

Die Chemismen der Makromoleküle der Pilzzelle (DNA, RNA, Proteine/Enzyme, Polysaccharide) führen zu einer über das „landläufige“ Bild von Pilzen hinausgehenden Vertiefung des Verständnisses dieser Organismen. Die Prägung des Vortrages durch molekularbiologische Aspekte und chemische Thematisierung ausgesuchter Pilzaktivitäten war als perspektivische Anregung gedacht.

 

Pilze sind heterotrophe eukaryotische Mikroorganismen mit vielseitigen Stoffwechselvorgängen und chemischen Leistungen. Sie sind für ihren Stoffwechsel auf die von anderen Lebewesen gebildeten Stoffe angewiesen. Man kann sie bestaunen, sammeln, bestimmen, essen, einordnen und biotechnologisch nutzen. Pilze können Stoffe abbauen, umbauen und aufbauen, sie können aber auch vergiften, krank machen und zerstören. Die Chemismen der Pilze liefern ein weites Feld noch zu entdeckender Möglichkeiten.  

 

Obwohl von den ca. 140.000 bekannten Pilzarten etwa 200 beim Menschen verschiedene Krankheiten verursachen können, überwiegt ihr Nutzen bei weitem (Speisepilze, Heilpilze, Antibiotikaproduktion, Lebensmittelproduktion, Abfallwirtschaft, Umwelt).

 

Molekularbiologische Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte führten zu einer Aktualisierung der Mykologie. Morphologische und physiologische Merkmale als taxonomische Langzeit-Kriterien sind durch genotypische erweitert. Auf Basis zahlreicher Untersuchungen (rRNA bzw. rDNA als molekularer Marker) werden die zellulären Lebewesen in 3 Domänen (Bacteria, Archaea, Eukaria) eingeteilt. Mit Hilfe statistischer Rechenmethoden und Modelle werden auf der Basis von Gen-Sequenzanalysen phylogenetische Stammbäume erstellt (Ziel: universeller Lebensbaum).

 

Die mikrobielle Biotechnologie gilt als eine zentrale Technologie unseres Jahrhunderts. Im Arzneimittelbereich wird die vielfältige stoffwechselphysiologische Aktivität von Pilzen zur Produktion von Antibiotika genutzt, im Lebensmittelbereich zur Produktion von bestimmten Lebensmitteln, Enzymen, Zusatzstoffen und Aromastoffen. Obwohl so gewonnene Aromastoffe z. T. erheblich teurer sind als die entsprechenden chemisch-synthetisierten, soll dadurch dem Trend zu „natürlichen“ Lebensmitteln entsprochen werden.

 

Der Haupteinsatz von Pilzen in der Lebensmittelindustrie ist die Fermentation. Exoenzyme von Schimmelpilzen bewirken einen Abbau, Umbau oder Aufbau von Ausgangsstoffen, häufig unter Beteiligung von Bakterien (z. B. Käse, Salami). Dabei werden komplexe größere Moleküle in aromaaktive niedermolekulare Verbindungen gespalten, was auch zu besserer Bekömmlichkeit führt (z. B. Protein- und Fettabbau zu freien Amino- und Fettsäuren, Abbau von Flatulenz verursachenden Oligosacchariden). Als Biofermenter hauptsächlich zur Herstellung von Alkohol, Zitronensäure (E 330; Aspergillus niger, Submersverfahren), D-Gluconsäure (E 574; A. niger), Pullulan (E 1204; Aureobasidium pullulans), Vitamin C, Enzymen (Amylase, Cellulase, Chymosin, Glucoamylase, Hemicellulase, Invertase, Lipase, Pektinase, Protease), Aromastoffen (Vanillin aus Ferulasäure; Stoffe mit pilzigen, modrigen, fruchtigen, aromatischen Aromaeindrücken; stereospezifische Aromastoffe wie in der Natur vorkommend; Biotransformation von Terpenen).

 

Pilze haben aber auch als Heilpilze (ganze Pilze oder Extrakte als Nahrungsergänzungsmittel) Bedeutung erlangt. Triterpene, Polysaccharide, Glykoproteine und Enzyme gelten als wesentlich für das gesundheitsförderliche Potential. Von den Polysacchariden stehen im Focus die β-(1,3)-(1,6)-β-D-Glucane.

 

Pilze und Schimmelpilze können essbar sein, aber auch giftig und hochtoxische, kanzerogene Stoffe (Mykotoxine, z. B. Aflatoxin B1) bilden. Nach dem 2-Phasen-Modell für den Metabolismus von Xenobiotika entstehen einige ultimale Kanzerogene im menschlichen Organismus intermediär als Metabolite in Phase I durch Oxidation der Stoffe (z. B. Epoxidierung) mit Hilfe von Enzymen (Monooxygenasen) des CYP 450 Enzymsystems. Die hochreaktiven Epoxid-Verbindungen, wie Aflatoxin-8,9-epoxid, werden zum Diol hydrolysiert, docken aber auch kovalent an der DNA (bevorzugt an Guanin) an.

 

Viele Pilzarten enthalten Hämolysine oder andere hitzelabile Gifte, die erst durch Erhitzen zerstört werden. Erhitzen der Speisepilze (kochen, braten), inkl. der Steinpilze, vor dem Verzehr ist daher geboten. Bestimmte N−N-Strukturen, wie Hydrazin- (N−N), Azo- (−N=N−), Azoxy- (−N=N+O﹣−) und Diazoniumstrukturen (−N+≡NX﹣) gelten i. a. als toxikologisch bedenklich.

 

Pilze können Schwermetalle (Hg, Cd) und Radionuklide kumulieren. Betreffend Cs 137 ist besonders die Hutfarbe (Chelatierung Norbadion-A-Kalium+-Komplex) von Bedeutung. Im Unterschied zu Maronenröhrlingen enthalten Steinpilze keine Xerocomsäure und somit kein Badion A.

 

Die Chemie der Pilzfarbstoffe ist wegen der Vielzahl der Verbindungen sehr komplex. Einige Farbstoffe liegen in reduzierter Form als Leukoverbindung vor. Farbstoffe vom Pulvinsäuretyp kommen bei Röhrlingen, insbesondere bei Boletus und Xerocomus, vor. Die Blaufärbung von Röhrlingen nach deren Verletzung entsteht durch enzymatische Oxidation von Hydroxypulvinsäuren.

 

Phänomenologisch, aber auch mit zunehmender Kenntnis der Chemie der Pilze kommt es immer wieder zu Neubewertungen von Speisewerten (z. B. Kahler Krempling; toxische γ-Guanidinobuttersäure in Pilzen von China).

 

Als Beispiel für einen ökonomischen Nutzen von Pilzen seien die Strobilurine enthaltenden Zapfenrüblinge genannt. Lichtstabilere chemisch synthetische Strobilurine kommen als Fungizide in der Landwirtschaft zum Einsatz. Sie wirken durch Hemmung der Zellatmung.

 

Die Sicherheit der Lebensmittel ist das zentrale Thema im EU-weiten Lebensmittelrecht. Was „sichere Lebensmittel“ sind, wird nicht explizit ausgeführt, sondern die Umstände, die Lebensmittel als nicht sicher qualifizieren.

 

Höchstwert-Regelungen für bestimmte Kontaminanten sorgen für entsprechende Prävention: BGBl. Nr. 251/1986 „Höchstgehalt von Mykotoxinen bei Lebensmitteln“, VO(EG) Nr. 1881/2006 „Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln“, VO(EG) Nr. 165/2010 „Änderung der VO (EG) 1881/2006 hinsichtlich Aflatoxinen“.

 

In der Speisepilzverordnung BGBl. II Nr. 386/1997 ist das In-Verkehr-Bringen von Speisepilzen geregelt. Das ÖLMB III Kapitel B 27 (Anhang) enthält eine Liste der üblicherweise als Marktpilze in Verkehr gebrachten Pilze. 

 

In der Speisepilzverordnung BGBl. II Nr. 386/1997 ist das In-Verkehr-Bringen von Speisepilzen geregelt. Das ÖLMB III Kapitel B 27 (Anhang) enthält eine Liste der üblicherweise als Marktpilze in Verkehr gebrachten Pilze.

 

Literaturhinweise zur Molekularbiologie der Pilze:
1) Carl Woese „The 3 domains of life“// https://thebiologynotes.com/three-domain-system/ 
2) http://de.wikipedia.org/wiki/RNA-Welt-Hypothese
3) Phylogenie der Pilze http://www.landesmuseum.at/pdf_frei_remote/DENISIA_0020_0351-0366.pdf

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