Michael Annoff & Nuray Demir:

Kein schöner Archiv! Zum immateriellen Erbe der postmigrantischen Gesellschaft

© Dr. Eike Wittrock

Die Debatten, wie sich postmigrantische Kulturen sammeln, darstellen und ausstellen lassen, drehen sich bisher vor allem um materielle Kultur. Meistens dominieren die üblichen erinnerungspolitischen Narrative, hinter denen die Lebenswelten nicht repräsentierter Menschen verborgen bleiben. Kann immaterielles Kulturerbe einen Beitrag zu neuen Perspektiven leisten? Nuray Demir und Michael Annoff meinen: ja! und lassen in ihrem Projekt „Kein schöner Archiv“ seit 2018 eine Sammlung immateriellen Erbes entstehen. Anders als die UNESCO es bislang tut, interessiert sich das Kollektiv für das Erbe der postmigrantischen Gesellschaft. Es macht unsichtbare Geschichte(n) der Einwanderungsgesellschaft wieder sichtbar. Das Projekt von Michael Annoff und Nuray Demir war in Berlin schon am Haus der Kulturen der Welt, am HAU Hebbel am Ufer, District*Berlin und an vielen weiteren Orten zu Gast.  

 

Im Rahmen ihrer Museumsakademie-Residenz in Graz lag der Fokus auf der Frage, welche Rolle kulturelle Praktiken und Kulturtechniken der >Selbst-Verteidigung!< für das postmigrantische Kulturerbe spielen. Ebenso gingen sie der Frage nach, welche Rolle die Institution Museum in diesem Kontext einnehmen kann. Denn immaterielles Erbe lässt sich nicht in einen Schaukasten sperren, vielmehr gilt es, die performative Qualität des Alltagslebens in einer postmigrantischen Gesellschaft einzufangen und zu konservieren. ‚Living Heritage‘, wie es daher auch heißt, wird in seinen Communities gelebt und weitergegeben. Annoff und Demir begegnen diesem Umstand mit ihrer transdisziplinären Arbeitsweise – zwischen Kulturwissenschaft und bildender sowie darstellender Kunst – und entwickeln formal und analytisch äußerst überraschende Strategien des Sammelns und Zeigens. Sie untersuchen die spannungsreichen Beziehungen zwischen materiellen Sammlungen und immateriellen Interventionen im musealen Raum sowie den Stellenwert der Erhaltung von Objekten in Gegenüberstellung zur prozess- und diskursorientierten Neuausrichtung vieler Museen. Auch Fragen nach der Zukunft musealer Arbeit wird in diesem Zusammenhang nachgegangen. 

 

Mehr über das Projekt Kein Schöner Archiv finden Sie auf der Webiste oder Instagram

 

 

 

Kurzbiografien: 

 

Michael Annoff ist politischer Kulturanthropologe und Kulturarbeiter. 2012–2013 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Graduiertenschule für die Künste und die Wissenschaften der Universität der Künste Berlin, seitdem arbeitet er als freier Kurator und Lehrbeauftragter. 2016–2022 arbeitete er an der Fachhochschule Potsdam im Lehrgebiet Kultur & Vermittlung. 2021 erhielt er den Brandenburger Landeslehrpreis. 

Er interessiert sich vor allem für kollaborative Forschungsprozesse in den Grenzbereichen von performativen Künsten, empirischen Kulturwissenschaften und Aktivismus. Er vertritt einen sehr weiten Kunst- und Kulturbegriff und spricht lieber von Kulturarbeit als von Kunst, um sich über traditionelle Autonomiebehauptungen hinwegzusetzen. 

 

Nuray Demir ist Künstlerin und Kuratorin im Bereich der visuellen, darstellenden / performativen Künste. Ihre Praxis ist von einem forscherischen und radikal transdisziplinären Ansatz gekennzeichnet. 

Für ihre Projekte arbeitet sie kollaborativ mit Personen aus unterschiedlichen Bereichen, mit denen sie temporäre Ensembles bildet. 

Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten insbesondere mit Debatten und Begriffen der feministischen und postkolonialen Theorie, die sie in ihr künstlerisches_kuratorisches Werk übersetzt. Demirs Arbeit ist dabei von einem kritischen Blick auf soziale Ausschlüsse und komplexe hierarchische Verhältnisse gekennzeichnet; mit ihrem Werk entwirft sie künstlerische Irritationen und Gegenpositionen und formuliert damit einen Vorstellungs- und 

Ermächtigungsraum für soziale Gleichstellung. Sie realisierte Projekte an diversen Institutionen, wie etwa Kampnagel in Hamburg, die „Sophiensaele“ in Berlin, das HAU/Hebbel am Ufer in Berlin und die Wiener Festwochen. Zuletzt zeigte sie ihre Performance „Semiotiken der Drecksarbeit“ am HAU Hebbel am Ufer. 2018–2021 gehörte sie zum künstlerischen Leitungsteam von District* Schule ohne Zentrum. Zudem trägt sie ihre Ansätze in die Lehre, etwa an der Universität der Künste Berlin. 

Museumsakademie Joanneum

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