Katzenbaum: Socially Distanced

01.07. - 14.09.2020

Bildinformationen

Laufzeit

01.07. - 14.09.2020

Eröffnung

01.07.2020, 10 Uhr

Ort

Kunsthaus Graz, Katzenbaum für die Kunst, Foyer

Kosten

Eintritt frei

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Über die
Ausstellung

Eine reagierende Ausstellung am Katzenbaum für die Kunst.


Social Distancing

Ein Begriffspaar, das über das Jahr 2020 hinaus unser gesellschaftliches Verständnis von Nähe und Ferne prägen wird. Aus diesem Grund sind auf dem Katzenbaum im Kunsthaus-Foyer derzeit Arbeiten zusammengestellt, die sich diesem Thema widmen. Die neue Wendung, die sprachlich einen Widerspruch in sich trägt – sozial als das Gemeinsame, Distanzierung als aktive Trennung – öffnet dementsprechend multiple Bilder von Nähe und Distanz, von aktiver Segregation, von Rückzug, aber auch von sozialen Klüften. "Social Distancing" macht den Bedarf an Platz ebenso spürbar wie die daraus resultierende Einsamkeit mit all ihren gesellschaftlichen und körperlichen Grenzen. Fragen rund um Sicherheit und Freiheit sind nicht erst seit ein paar Wochen virulent.

Auch in der digitalisierten Gesellschaft haben reale Erfahrungen im sozialen Miteinander bis vor Kurzem noch immer zur oberste Maxime gehört. Eventuell sind wir nun im Begriff, das zu ändern. Abstand und Arbeit im geschützten Privatraum könnten zu einer neuen gesellschaftlichen Raumordnung führen.
Für die digitale Gesellschaft sah Peter Weibel schon in den späten 1960er-Jahren die Ferne als wesentliches Element eines funktionierenden Miteinanders. Davon spricht etwa die 2018 geschaffene Arbeit 365 Routines von Nina Kurtela und Hana Erdman, wenn ein tänzerischer Bewegungsdialog und eine tägliche Improvisation über die Grenzen des physischen und zeitlichen Raumes hinweg zu einem Manifest gegen die Einsamkeit und für die digitale Nähe werden. Dass digitalisiertes Arbeiten auch ein "gläsernes Arbeiten" unter ständiger Kontrolle sein wird, zeigen uns die kritischen Arbeiten und Kommentare des Zeichners Aldo Giannotti, der in den letzten Monaten in seinem Virus Diary die staatlichen Empfehlungen und deren Folgen genau beobachtet hat.

Organisierte Ferngesellschaft

Wenn man in Städten seit Jahren optimistisch von Verdichtung und Platzmaximierung zugunsten aller spricht, müssen die Einzelnen sich in der Ferngesellschaft tatsächlich nicht mehr physisch treffen, um zu interagieren, sondern können bei sich zu Hause bleiben – so wie wir es in den letzten Monaten in vielen Homeoffices getan und real – endlich, sagt Weibel – gelebt haben. Dass für eine organisierte Ferngesellschaft mehr Regeln aufkommen werden als bisher, lässt sich seit den Beschränkungen infolge von Corona nun immer deutlicher erahnen. In diesem Sinne haben wir von Hannes Priesch, der schon vor zwei Jahren für das Kunsthaus die von Kunst- und Museumsversicherungen sowie Sicherheitsbeauftragten vorgeschriebenen Abgrenzungen überarbeitet und in ihrer Form klug überspitzt hat, für den Katzenbaum eine Arbeit ausgewählt: Seine Interpretation der Flagge Österreichs (Rot-Weiß-Rot, 2018) nimmt Bezug auf die Distanzierungen, die Staaten auch in einem vereinten Europa nach wie vor vollziehen. Die Künstlergruppe Zweintopf widmet sich in einem Kurzfilm aus „found footage“ dem Objekt der Grenze als solche, die im Bedürfnis der Abgrenzung auftaucht. Sie haben schon in den Jahren 2018 und 2019 zu den Klüften und Grenzen eine beeindruckende, rasend schnell ablaufende Kompilation privater Aufnahmen von Grenzzäunen aus dem Internet geschaffen.

Als Flickermovie aus Maschendrahtbildern hinterlässt es ein beeindruckendes Nachbild der Angst vor Annäherung, die heute, anders als 2015, vor allem Assoziationen der Furcht vor dem Unsichtbaren aufmacht. In Brigitte Pokorniks Himmelhölle-Spiel (REM-Galerie, 1985) hingegen oder ganz ähnlich 30 Jahre später in René Stessls Perfomance Gemeinsam,die 2014 im Kunsthaus ein Eröffnungsessen mit überlangen Löffelnals Performance begleitete, wird aus der Bedingung des Abstands die Frage nach Abhängigkeit undBeteiligung. Man würde vor dem vollen Teller "verhungern", wenn nicht andere den langen Löffel für einen "bedienen". Bei Friedl Kubelkas Bildern von Franz West ist es genau umgekehrt: Für West waren die Passstücke – wie verlängerte Körperteile wirkende, tragbare Skulpturen – Sinnbilder von Neurosen oder Prothesen, Missbildungen oder Krankheiten, die andere Menschen im Leben meistens auf Distanz bringen. Hermann Knoflachers Stehzeug hingegen machte schon in den 1980er-Jahren auf den Effekt des Platzbedarfs Einzelner über Automobilität aufmerksam und zeigt auf, wie viel Platz in Städten nach wie vor von unseren fahrbaren Untersätzen eingenommen wird.

Wie sich die Pandemie auf lange Sicht auf unsere Höflichkeits-Etikette auswirken wird und ob wir das Händeschütteln wie in Anna Vasofs unberührbaren Objekt an der Wählscheibe eines alten Telefons nur noch im Museum bestaunen können, wird sich noch zeigen.

Mit Werken von
Brigitte Pokornik, "Himmelhölle-Spiel", 1985

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Aldo Giannotti, aus: Viral, 2020 (Far apart), © Bildrecht, Wien 2020

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Performance

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