Emilija Škarnulytė. Waters call me home

Emilija Škarnulytė lädt zu einer immersiven Reise zwischen Dokumentation und Imagination ein. In einer vielschichtigen Raumerfahrung aus Video, Licht, Klang und Artefakten erkundet sie die unsichtbaren Strukturen unserer Welt – vom Kosmischen und Geologischen bis zum Ökologischen und Politischen.

Mit mythologischen Symbolen und weiblichen Gestalten wie der von ihr verkörperten Sirenomelia entwirft Škarnulytė eine Perspektive jenseits des Menschlichen. Ihre Arbeiten fragen nach der Zukunft einer Welt, die durch den Menschen gezeichnet ist – und halten zugleich an der Hoffnung fest, dass Leben auch nach der Zerstörung weiterbestehen kann.

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Wie lässt sich das Unsichtbare sichtbar machen?

In der Einzelausstellung im kuppelförmigen Space01 verwandelt Emilija Škarnulytė den Raum in ein immersives Zusammenspiel aus Video, Licht, Sound und Artefakten. Ihre Installation lädt dazu ein, in die verborgenen, mystischen Schichten unserer Welt einzutauchen.

Werke in der Ausstellung

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Sunken Cities

Video, 9 min, 2021

Sunken Cities führt uns in die antike römische Stadt Baiae. Einst ein Ort des Überflusses, liegt die Stadt heute vollständig unter Wasser, versunken durch jahrhundertelange vulkanische Aktivität. Unter den Wellen offenbaren sich 2.000 Jahre alte Ruinen des hedonistischen Ferienorts: Marmorkorridore, Steingänge, seltsame Gerüste und mit Korallen bewachsene Mosaike. Diese gleiten langsam über die Leinwand, während Škarnulytė den Meeresboden in eine Reflexion über Zeit, Erinnerung und Vergänglichkeit verwandelt. Als Unterwasserarchäologin treibt sie lautlos durch eine versunkene Landschaft, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schwebend. In Škarnulytės Vision wird das Versinken zur Transformation: Kultur überdauert in Sedimenten, Erinnerung entwickelt sich zu Ökosystemen und menschliche Spuren verschmelzen mit größeren planetarischen Zyklen. Sunken Cities ist eine visuelle Meditation über die Beständigkeit des Wandels. Zivilisationen mögen verschwinden, doch ihre Spuren werden weiterhin durch Wasser, Stein und Zeit widerhallen.

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Aphotic Zone

Video, 15 min, 2022

Aphotic Zone untersucht die lichtlosen Tiefen der pazifischen Seeberge vor der Küste Costa Ricas und dringt dabei mehr als vier Kilometer unter die Meeresoberfläche vor. Die Videoarbeit zeigt eine Zone, in der biolumineszente Organismen und Tiefseetechnologien koexistieren müssen. Sie gleicht einer Umgebung, die sowohl ferne Vergangenheit als auch mögliche Zukunft evoziert. Ein ferngesteuertes Fahrzeug mit Manipulatorarmen entnimmt Proben von Tiefseekorallen. Bilder des Meeresbodens und von Ölplattformen, erzeugt mithilfe von 3D-Laserscannerdaten und einer Deep-Vision-Kamera, werden zu einer Landschaft prähistorischer Kreaturen und fortschrittlicher Technologien. Der Videosound kombiniert Aufnahmen aus Mexiko-Stadt zum 500. Jahrestag der Eroberung von Tenochtitlán mit Unterwasserfrequenzen. So entsteht eine akustische Verbindung zwischen historischen und gegenwärtigen Formen der Expansion und Kontrolle. Aphotic Zone bewegt sich zwischen Dokumentation und spekulativer Fiktion und nähert sich der Meerestiefe als einem Raum, in dem wissenschaftliche Beobachtung, technologische Wahrnehmung und kulturelles Gedächtnis zusammenfließen.

 

Im Auftrag und produziert von der Fondazione In Between Art Film für die Ausstellung Penumbra (Complesso dell’Ospedaletto, Venedig, 2022).

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Burial

Video, 60 min, 2022, Needle

Gedreht im Inneren des riesigen Kernkraftwerks Ignalina in Litauen, erkundet Burial eine Infrastruktur, die von den Folgen von Energie, Kontamination und Ideologie geprägt ist. Ignalina, einst eine der größten Atomanlagen Europas, durchläuft nun einen langsamen Prozess der Stilllegung – ihre Betonkammern und Kühlbecken werden nach und nach von radioaktiven Stoffen befreit. Škarnulytės Kamera gleitet präzise durch diese „verstrahlte“ Architektur. Sie spürt den Überresten eines Systems nach, das einst als Inbegriff des Fortschritts galt und eine utopische Zukunft versprach. Eine riesige Python, die sich langsam über ein verlassenes Bedienfeld schlängelt, verbindet das Technologische mit dem Mythischen. Burial vermittelt nicht eine Ruine, sondern einen fortwährenden Übergang, in dem die zyklischen Kräfte der Natur gegen die beunruhigende Stille des Überholten fortbestehen.

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Æqualia

Video, 9 min, 2023

Gedreht am Zusammenfluss des milchig-weißen Gletscherwassers des Rio Solimões und des trüben, nährstoffreichen schwarzen Schlamms des Rio Negro im brasilianischen Amazonasgebiet, folgt Æqualia einer posthumanen Gestalt, die sechs Kilometer lang durch das Wasser gleitet. Von oben betrachtet, bildet das Zusammentreffen der beiden Flüsse – die sich in Temperatur, Farbe und Zusammensetzung deutlich unterscheiden – eine Grenze, die sich einer Vermischung dramatisch widersetzt. In dieser Schwellenzone inszeniert Škarnulytė eine Meditation über Gleichgewicht und Zerbrechlichkeit. In der Verkörperung einer Chimäre (halb Fisch, halb Mensch) schwimmt die Künstlerin – als Zeugin und Teilnehmerin – durch den Flusslauf und folgt dabei aufmerksam den fraktalen Strömungswirbeln. Ihre Bewegungen erfassen deren Turbulenzen und Rhythmus. Kurz nach Fertigstellung der Arbeit erlebte die Region eine extreme Dürre. Dadurch trocknete die Stelle, an der die Flüsse zusammenfließen, aus und die dort heimischen, einzigartigen rosa-grauen Flussdelfine (Botos) starben. Æqualia reflektiert den Fluss als lebendige Metapher für gegenseitige Abhängigkeit und hebt eine Verbundenheit hervor, die über Artengrenzen hinausgeht. Gleichzeitig hält der Film einen Moment extremer Verletzlichkeit fest, der zwischen dokumentarischer Beobachtung und symbolisch aufgeladenen Bildern balanciert.


Das Werk wurde gemeinsam von der 14. Gwangju Biennale und Canal Projects (New York) in Auftrag gegeben.

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Riparia

Video, 10 min 14 sec, 2023

Riparia untersucht den Fluss als geografische Grenze, als lebendiges Wesen und Ursprung menschlicher Besiedlung. Das Video wurde entlang der Rhône gedreht: einem Wasserweg, der seit Jahrtausenden von Menschen genutzt wird. Es reflektiert die Rolle von Flüssen als treibende Kraft bei der Gestaltung von Austauschsystemen, Machtstrukturen und Glaubensvorstellungen. Auf der Leinwand umarmen sich zwei göttinnenähnliche Fabelwesen und gleiten durch eine riesige Wasserfläche stromabwärts eines Schweizer Wasserkraftwerks. Die beiden Seeschlangenwesen verweisen auf den Mythos der Zwillinge, die auch Hüter*innen von Geheimnissen und Kommunikation und vor allem Symbol für Wandelbarkeit und Veränderung sind. Langsame, meditative Aufnahmen verknüpfen diese Wesen mit den Theorien der litauischen Archäologin und Anthropologin Marija Gimbutas (1921–1994). Gimbutas erforschte neolithische Gesellschaften entlang europäischer Flüsse. Sie interpretierte sie als matriarchalisch und auf die Verehrung von Wassergottheiten ausgerichtet. Solche historischen und mythologischen Figuren sind ebenso Teil der sedimentierten Geschichte des Flusses wie die heutigen Wasserkraftwerke. Sie verdeutlichen, wie menschliche Eingriffe und Ressourcenausbeutung frühere Formen der Verehrung von Wasser verdrängt haben.


Koproduziert mit Ferme-Asile (Sion, Schweiz) und der Taurus Foundation for Arts and Sciences.

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Xirasia

Video, 7 min 4 sec, 2023

Xirasia erkundet die Beziehung zwischen neolithischen Ritualstätten und dem gegenwärtigen ökologischen Wandel in einer von Sümpfen, Sedimenten und Wasserwegen geprägten Landschaft. Nach Æqualia und Riparia ist das Video der dritte Teil einer Trilogie von Flussfilmen, die sich auf die archäomythologischen Theorien von Marija Gimbutas (1921–1994) stützt. Insbesondere auf das von ihr entwickelte interdisziplinäre Forschungsgebiet, das sie zur Untersuchung von Glaubensvorstellungen, Ritualen und Sozialstrukturen alter Gesellschaften etablierte. Xirasia nähert sich dem Fluss als Ort der Transformation. Der Film wurde an der Mündung des Guadalquivir in Südspanien gedreht. Die Kamera bewegt sich durch felsiges Gelände, wo Spuren uralter Kultstätten auf die Infrastruktur moderner Landwirtschaft treffen; Tempel, die einst Wassergöttinnen gewidmet waren, stehen heute neben modernen Bewässerungssystemen und trockengelegten Feuchtgebieten. Als eigenständische metaphysische Kraft offenbart der Fluss seine Subjektivität als Träger kultureller und ökologischer Erinnerung, geformt von den landschaftsprägenden Kräften der Mythologie, der Geschichte und des Kapitals.

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Hypoxia

Video, 11 min 48 sec, 2023

Der Sauerstoffgehalt der Ozeane sinkt, Erstickung breitet sich aus und Methan steigt an die Meeresoberfläche. Hypoxia untersucht das zunehmende Phänomen der Todeszonen, in denen der Sauerstoffgehalt so stark gesunken ist, dass kein Leben mehr existieren kann. Dieser Film entstand in der Ostsee, einem Binnenmeer,  in dem der Wasseraustausch sehr langsam erfolgt. Hier gibt es einige der größten Todeszonen der Welt. Ein Abtauchen in diese Umgebung offenbart einen Meeresboden, der von Verschmutzung, Industrieabfällen und den Überresten militärischer Infrastruktur gezeichnet ist. Giftstoffe reichern sich im Meer an, durch jahrzehntelang verrottende Maschinen aus der Zeit des Kalten Krieges sowie Methan, das aus explodierten Pipelines und durch geopolitische Sabotage austritt. Wissenschaftlich beobachtend und poetisch imaginierend kombiniert Škarnulytė Bilder von Lebensformen, die auf dem Meeresgrund ums Überleben kämpfen. Sie verweist auf die sogenannte Ostsee-Anomalie, ein angeblich auf dem Meeresgrund liegendes Raumschiff, sowie auf die Meerjungfrauengöttin Jūratė, die in der litauischen Mythologie ebenfalls auf dem Meeresgrund lebt. In der aquatischen Vision einer erstickenden Unterwasserwelt verschwimmen die Grenzen zwischen historischem Mythos, zeitgenössischer Wissenschaft und futuristischer Science-Fiction.

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If Water Could Weep (Mermaid Tears)

Glas, bis zu 48 cm (hoch) und 18 cm (breit), 2023–2025

Die Skulpturenserie If Water Could Weep (Mermaid Tears) interpretiert den litauischen Mythos von Jūratė – einer Meeresgöttin, die sich in einen Sterblichen verliebt – neu. Jūratės Vater, ein Donnergott, ist über diese Liebe so erzürnt, dass er ihren Unterwasserpalast zerstört und ihren Geliebten tötet. Wenn Bernsteinstücke an den Ufern der Ostsee angespült werden, soll es sich um die Tränen der ewig trauernden Jūratė handeln. Aus dieser epischen Geschichte des Verlustes hat Škarnulytė eine materielle Meditation über Transformation entwickelt. Jede Skulptur scheint zwischen festem, flüssigem und gasförmigem Zustand gefangen zu sein. Bernstein – die durchsichtigen, versteinerten Überreste von Baumharz, die oft Spuren alter Lebensformen beinhalten – dient als konzeptionelles Bindeglied zwischen Mythos und Materie. In Škarnulytės Neuinterpretation wird Glas zu seinem zeitgenössischen Analogon – durch Hitze und Druck transformiert, transparent und doch undurchdringlich. Die Skulpturen scheinen Licht zu atmen, als hätte das Meer selbst sie im Augenblick des Ursprungs des Lebens geformt. Sie spiegeln die Fremdartigkeit und das Wunder wider, Zeuge eines fortwährenden Werdens zu sein – ähnlich einem langsam erstarrenden Lavastrom oder der atmosphärischen Ausdehnung kosmischen Staubs. In den Tränen der weinenden Meerjungfrau kollidieren planetarische Prozesse mit ozeanischen Mythologien und verwandeln emotionale Erfahrungen in physische Formen.

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The Code

Videoanimation, 4 min, 2024

Zwei Pythons schlängeln sich ineinander, ihre sich langsam bewegenden Körper wirken erotisch und bedrohlich zugleich. Eingebettet in einen sakralen, tempelartigen Raum, verwandeln sich die Schlangen in eine DNA-Doppelhelix. Sie transformieren sich von magischen Symbolen in genetische Sequenzen und zurück. In einer Endlosschleife erinnern sie an das Symbol des Ouroboros – einer alten Ikone einer sich häutenden Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst und in verschiedenen Kulturen und Epochen zu finden ist. Im Allgemeinen als Symbol für die schöpferischen und zerstörerischen Kräfte der Lebenszyklen angesehen, kann sie auch als Zeichen der Fruchtbarkeit interpretiert werden – sich durch genetische Mutation auflösend, um sich dann neu zu formieren.


Im Auftrag der Kunsthall Trondheim.

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Serie von Zeichnungen

Arbeiten auf Papier, 2024–2025

Mit Zeichnungen, in denen sie sich mit Mineralien als autonome Materie beschäftigt, setzt Škarnulytė ihre Auseinandersetzung mit geologischen Zeiträumen fort. Natürliche Materialien – gemahlene Steinmineralien, Planktonwasser, verschiedene Öle, vulkanische Sedimente, Senfpigmente, kanarisches Meersalz – vermischt sie dafür zu schimmernden, metallischen Tinten. Der Akt des Zeichnens wird dadurch in eine physische Aufzeichnung von Ansammlung, Sedimentation, Erosion und Fluss verwandelt. Auf dem Papier verhält sich die flüssige Materie wie ein lebendes Element, das von der Schwerkraft absorbiert, verteilt und geformt wird. Jedes Blatt Papier wird zur Oberfläche einer langsamen Transformation; jeder Strich ist bewusst gesetzt, geprägt vom Rhythmus des Atems und einem Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Loslassen.


Die Zeichnungen zeigen keine starren Formationen, sondern sich entfaltende Beziehungen zwischen Geste und Schwerkraft, Pigment und Papier, lebender Materie und fester Form. Die mineralischen Pigmente tragen Spuren geologischer Formationen in sich, von verschiedenen vulkanischen, ozeanischen und küstennahen Gebieten in St. Ives (Großbritannien), Teneriffa (Spanien), Villefranche-sur-Mer (Frankreich) oder der Izu-Halbinsel (Japan). Sie spiegeln eine fortwährende Auseinandersetzung mit der Erde als Sujet und Medium wider. Die so entstandenen Werke oszillieren zwischen Schrift und Kartografie und erscheinen als Oberfläche und Tiefe, Körper und Landschaft, mikroskopischer Organismus und kosmische Wolke.