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16. Oktober 2019 / Monika Holzer-Kernbichler

SENDEN und SOUND

Kunsthaus Graz

Monika Holzer-Kernbichler im Gespräch mit Claudia Holzer und Lale Rodgarkia-Dara

MHK: Radio Helsinki ist heuer ein wichtiger Kooperationspartner für unsere Aktionswoche „Siebdruck und Sound“, die wir im Rahmen der Ausstellung Connected. Peter Kogler with… im Kunsthaus Graz im Oktober 2019 veranstalten. Was wird unsere Besucher/innen bei euch im Space04 erwarten?

CH: Die Besucher/innen können im Space von Radio Helsinki viele Spielarten von Tönen, Sound und Funk ausprobieren. Vom Tonband-Bemalen und experimentellen Arbeiten mit Sound bis zur technischen Umsetzung und Erklärung von Funk gibt es einiges zu erleben.
Radio Helsinki wird sich als Freies Grazer Radio vorstellen und am Samstag es gibt die Möglichkeit, am Workshop „RadI/0“ mit der Soundkünstlerin Lale Rodgarkia-Dara teilzunehmen. Lale bildet übrigens seit vier Monaten gemeinsam mit Peter Petz auch die Geschäftsführung von Radio Helsinki.

MHK: Warum sind analoge Radiosendungen in Zeiten digitaler Streamingkultur noch immer wichtig?

CH: Radio Helsinki sendet 24 Stunden im Raum Graz, wobei das Programm von rund 200 Menschen in 11 Sprachen gestaltet wird. Mit unterschiedlichsten Formaten und Sendeschwerpunkten werden wichtige politische und kulturell relevante Themen angesprochen. Radio Helsinki ist ein Community-Radio und zugleich ein sozialer Ort, an dem Austausch stattfindet. Die Sendungen von Radio Helsinki reflektieren auch die Grazer Gesellschaft.

LRD: Ich denke, dass so ein anachronistisches Medium wie Radio in den letzten Jahren stark an Relevanz verloren hat. Das betrifft natürlich nicht nur Radio Helsinki, sondern viele Medien. Wenn ich mit unter 20-Jährigen spreche, so erzählen sie mir, dass sie Radio meist nur im Auto der Eltern hören. Mit der „Fridays for Future“-Bewegung, an der sich das Radio seit Kurzem mit einer selbst organisierten Tipping-Point-Redaktion beteiligt, ist es bald aus mit dem Autofahren – und wo sollen die unter 20-Jährigen da noch Radio hören? Nein, so schnell geht das natürlich nicht – auch wenn wir beim „Earth Strike“ mitgemacht haben. Aber zurück zum Radio: Für uns ist es wichtig, in Zeiten von ungreifbarem, fluidem Mediennutzungsverhalten eine Konstante zu erzeugen, und zwar sowohl im realen Raum als auch im Äther und Internet. Die Freien Radios in Österreich – zur Zeit sind es 14, die im Verband der Freien Radios organisiert sind – waren in den letzten Jahren durchwegs Innovatoren. So gibt es seit vielen Jahren Podcast-Abos auf der CBA, dem gemeinsamen Archiv der Freien Radios – und flutsch: Heute ist das total en vogue und wir schauen alt aus. Ich denke, dass wir diese Innovationen immer – zum Teil auch unbewusst – mitgetragen haben und dass sie heute mehr in der sozialen Komponente stecken. Wir sind ein Ort, an dem die sprichwörtliche segregierte Gesellschaft, die uns im Alltag in Echokammern und Lebensräumen begegnet, ein wenig ausgehebelt wird. Das ist natürlich auch nicht friktionsfrei, aber ein eindeutiges Signal gegen Homogenisierung und Normierung. Die Faszination am Radio teilen ganz unterschiedliche Menschen und diese Pluralität gilt es zu pflegen und weiterhin zu ermöglichen.

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Zusätzlich kommt der große Vorteil des Low-Tech. Ich kann mit relativ einfachen Mitteln analog Radio machen, also auch denjenigen einen Ort für ihr Wort geben, die ihn sonst nicht haben. Das wird in den nächsten Jahren eine wichtige Funktion des Radios sein, denn zum Radiomachen muss man in keiner Sprache alphabetisiert sein. Das klingt natürlich ein wenig sozialromantisch, denn genau diese Funktion haben wir schließlich in den vergangenen Jahren an Social Media abgegeben. Aber wir haben Strukturen geschaffen und versuchen sie stetig auszubauen, wir behalten die Deutungshoheit und die Wahrung sowie Wartung in greifbarer Nähe. Und wir gehen Kooperationen ein – mit mur.at oder Funkfeuer auf der einen Seite und Organisationen wie dem Kunstverein, ISOP, Mafalda oder jetzt dem Kunsthaus auf der anderen. Wir sind eine Community und für diese da, ohne in einem von „Blut und Boden“ getränkten Provinzialismus zu schwimmen.

Ich denke, dass das Radio in Zeiten von Deep Fake massiv seine Gatekeeper-Funktion stärken muss und darin sehe ich eine weitere Chance fürs Überleben von Community-Medien. Wer sagt mir, dass Videos oder Audiomitschnitte keine Fälschungen sind? Hier ist es ganz wichtig, dass nicht nur in elitären Kammerln, sondern in einer breiten Gesellschaft ein Bewusstsein geschaffen wird. Momentan versuchen wir gerade als erstes Freies Radio in Österreich eine digitale Archivarin zu finanzieren, durch ein Archiv auch professionelle Recherche und Erinnerungskultur zu pflegen und gleichzeitig für sichere, verschlüsselte Kommunikation zu sensibilisieren und auszubilden. Im kommenden Jahr haben wir im Rahmen von „Graz 2020“ ein Soundscape-Projekt laufen, wir veranstalten unzählige Workshops und in den kommenden Jahren werden wir uns um die Grazer/innen kümmern – als Radiomacher/innen ebenso wie als Hörer/innen. Du hast natürlich auch die Möglichkeit, Mitglied bei uns zu werden.

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MHK: Was ist euch bei euren Produktionen wichtig?

CH: Die Vermittlung von experimentellem und handwerklichem Zugang zu Sound und Ton und ein einfaches, niederschwelliges Kennenlernen von Radioarbeit.

LRD: Claudia skizziert es genau. Hier im Kunsthaus steht die medienpädagogische und künstlerische Position im Vordergrund. Im Radio gibt es neben der künstlerischen und medienpädagogischen Seite noch die wissenschaftliche, kulturelle, technische, soziale und journalistische und noch rund 200 radiomachende Positionen.

CH: Bei uns werden aktuelle gesellschaftspolitische Themen angesprochen. Unser Radio wird von Grazerinnen und Grazern aus unterschiedlichen Umfeldern gestaltet. Wir haben eine Vielzahl an Zugängen zur Radioarbeit – ob Musiksendung oder Nachrichtenformate. Radio Helsinki ist als Community in Graz eine wichtige Drehscheibe von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus dem sozialen und kulturellen Umfeld.

 

Info zu Radio Helsinki:

Radio Helsinki, das Freie Radio in Graz, betreibt auf der Frequenz 92,6 MHz ein nichtkommerzielles, werbefreies und gesellschaftspolitisch engagiertes Radio mit offenem Zugang, das im Großraum Graz zu empfangen ist. Das Freie Radio bietet vor allem gesellschaftlich und medial unterrepräsentierten Gruppen sowie der lokalen und regionalen Kunst-, Kultur- und Musikszene Raum zur multimedialen Selbstrepräsentation im Großraum Graz. Radio Helsinki mischt sich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen ein und greift Themen auf, die im medialen Mainstream nicht oder zu wenig vorkommen.

Mit seinen rund 200 Sendungsmachenden und 130 verschiedenen Sendungen in 11 Sprachen sowie einem multiprofessionellen Team versteht sich Radio Helsinki sowohl als Teil der kritischen regionalen Zivilgesellschaft als auch als Teil einer internationalen freien Medienszene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, demokratische Diskurse zu fördern.

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Claudia Holzer ist als freie Medienpädagogin und Tontechnikerin in unterschiedlichen Grazer Institutionen tätig. Sie ist seit 2002 Sendungsgestalterin bei Radio Helsinki – Freies Radio Graz und aktives Vereinsmitglied. Von 2012 bis 2013 war sie im Vorstand von Radio Helsinki. Zusätzlich ist sie in der freien Theaterszene aktiv, was einen experimentelleren Zugang zu Licht- und Tontechnik sowie Videosound einschließt. Ihre radiophilen Arbeiten reichen von Hörspiel bis zum Sampling.

 

Lale Rodgarkia-Dara ist seit 2019 strategische Geschäftsführerin von Radio Helsinki. Sie werkt als Medieninstallateurin, Elektroakustikerin und Autorin in Wien und Graz. Sie erfindet Projekte mit Literatur, medialer Kunst und zumeist in transitorischen Räumen oder im Radio. Sie ist Gründerin der Elektronik Teatime (existent bis 2015) und Wiener Produzentin im internationalen Kunstradio-Netzwerk radia (radia.fm), Teil des Kollektivs Mz. Baltazar’s Laboratory (www.mzbaltazarslaboratory.org) und beteiligt sich an verschiedenen Kollektiven. Sie ist als Lektorin an verschiedenen Universitäten tätig, z. B. TU Wien – SKUOR, Kunstuniversität Graz (2017/18) oder Akademie der bildenden Künste in Wien.

 

Monika Holzer-Kernbichler leitet die Kunstvermittlung im Kunsthaus Graz und in der Neuen Galerie Graz. Sie studierte Kunstgeschichte in Graz und ist seit 1993 in der Kunstvermittlung tätig. Von 2000 bis 2005 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des „SFB Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“ an der Karl-Franzens-Universität Graz, von 2005 bis 2008 Mitarbeiterin der Museumsakademie Joanneum. Seit 2008 leitet sie die Kunstvermittlung am Kunsthaus Graz, seit 2011 auch die Kunstvermittlung der Neuen Galerie Graz. Als Lektorin für Kunstgeschichte ist sie seit 2005 an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Zudem ist sie Fachbeirätin für bildende Kunst der Stadt Graz.

 

Kategorie: Kunsthaus Graz
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