8. Juni 2017 / Astrid Aschacher und Walter Feldbacher
Eine Königsmutter im Exil in der Sackstraße 16: Marie Caroline Herzogin von Berry
Ihr Mann, Karl Ferdinand Herzog von Berry (1778–1820), wurde 1820 ermordet und ihr Schwiegervater, Karl X. (1757–1836), 1830 als König von Frankreich durch den aus der bourbonischen Nebenlinie Orleans stammenden Bürgerkönig Louis Philippe (1773–1850) abgelöst. Karl ging ins Exil nach Prag. Nach erfolglosen Versuchen Marie Carolines, eine bourbonische Restauration gegen Louis Philippe voranzutreiben und einer damit in Zusammenhang stehenden Verhaftung durch die französischen Behörden, musste sie ebenfalls das Land verlassen.
Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem neapolitanischen Adeligen Ettore Lucchesi Palli (1805–1864) ließ sie sich im damals österreichischen Venedig nieder. Da ihre Kinder aus erster Ehe sich jedoch bei ihrem Schwiegervater in Prag befanden, ersuchte sie die Regierung in Wien, ihr einen der Moldaumetropole näher gelegenen Ort als Exil zuzuweisen.
In Wien überlegte man gründlich, wie mit der durchaus heiklen Anfrage umzugehen sei. Man wollte die aktuelle französische Regierung keinesfalls brüskieren, indem man den Eindruck erweckte, der politisch Umtriebigen zu viel Raum zu gewähren. Schlussendlich entschied man sich dafür, Marie Caroline Graz als Ort ihres Exils zuzuweisen, und so zog die Nichte von Kaiser Franz I. (1768–1835) 1834 ins Palais Herberstein. Dort bewohnte sie vorerst einige straßenseitig gelegene Räume im zweiten Stock.
Um den Ansprüchen der Herzogin zu entsprechen, wurden die von ihr genutzten Räume dem damaligen schlichten Zeitgeschmack angepasst und der Stuck, der in den Prunkräumen bis heute erhalten blieb, in den Augen der damaligen Zeit aber höchst unmodern war, wurde aus ihren Zimmern entfernt. In einem am 6. Oktober 1835 abgeschlossenen Vertrag erweiterte die Herzogin ihre Wohnung. Von nun an standen ihr zwei Stockwerke zur Verfügung.
Es dauerte nicht lange und Marie Caroline wurde der Mittelpunkt der Grazer Gesellschaft. Immer wieder fanden in den Prunkräumen Veranstaltungen statt. So richtete die Herzogin beispielsweise am Neujahrstag 1836 eine Soiree für den hohen Adel der Stadt aus und jeden Montag gab es Empfänge mit Gedeck. Ihre Tage verbrachte sie mit Theaterbesuchen oder Spazierfahrten nach Gösting, Mariatrost oder St. Gotthard.
Besonders berühmt war auch die Kunstsammlung der Herzogin, über die Gustav Schreiner in seinem 1843 erschienen Buch Grätz schreibt:
„Zu den größten Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört, ob ihrer Kunstschätze, gegenwärtig die Wohnung Ihrer köngl. Hoheit der Frau Herzogin von Berry im gräflichen Herberstein’schen Hause im ersten Sack. (…) Alles was irgendeine theure Reliquie der Familie Bourbon oder ein Zeichen der Freundschaft, ein theures Andenken an werthe Freunde war, ließ dieselbe aus den verschiedenen Pallästen und Lustschlösschen, über die sie einst als Herrin gebot oder ihr Sohn noch gebietet, hierher schaffen und ihre Privatwohnung damit ausstatten.“
Zum bereits Vorhandenen gesellten sich im Laufe der Zeit immer wieder Neuerwerbungen, wie die Grazer Zeitung in ihrer Ausgabe vom 9. März 1843 zu berichten wusste:
„Der reiche Kunstschatz ihrer königl. Hoheit der Frau Herzogin Berry erhielt neuerlich einen schönen Zuwachs durch vier Gemälde des neapolitanischen Künstlers Vinzenco Abbati, die sowohl der interessanten Gegenstände als auch der kunstvollen Ausführung wegen vorzügliche Würdigung verdient.“
Dies konnte den Worten der Zeitung zufolge auch jeder tun, denn
„die durchlauchtigste Frau Eigenthümerin dieser Kunstwerke gestattet jedermann den genussreichen Anblick derselben, zu welchen Zwecke sie in dem von Ihrer königl. Hoheit bewohnten Palais einige Zeit ausgestellt bleiben.“
1837 erwarb Marie Carolines Gatte Schloss Brunnsee bei Mureck, wo die Familie vor allem die Sommermonate verbrachte. Hier investierte sie nicht nur großzügig in das Interieur des Schlosses, sondern vor allem auch in die Ausgestaltung des prachtvollen Landschaftsgartens im englischen Stil. Bereits beim Ankauf waren mit der Herrschaft Brunnsee die bedeutenden Güter Weinburg, Oberrakitsch, Rabenhof und Weitersfeld verbunden.
Hier im unteren Murtal richtete sie einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb ein, den auch Erzherzog Johann im Rahmen des in Graz abgehaltenen deutschen Naturforschertages besuchte. Bei der umliegenden Landbevölkerung erfreute sich die Herzogin größter Beliebtheit. So konnten die Bewohner der umliegenden Dörfer unentgeltlich Medikamente in der Schlossapotheke holen und ihr Leibarzt Dr. Ferdinand Pitner behandelte oftmals die Bauern der Umgebung kostenlos. Die Herzogin sorgte auch für den Ausbau der Dorfschulen ihrer Herrschaft und zahlte sogar die Aussteuer für mittellose Mädchen.
Noch heute werden im Raum Mureck Geschichten und Legenden rund um die Herzogin von Berry mündlich tradiert. Sie zeugen von einer großen Wohltäterin genauso wie von Prunk und Glorie französischer Hofhaltung:
„Im Brunnseer Park habe man im Sommer einen Zuckerberg aufgeschüttet, um Schlittenfahren zu können.“
Übrigens: Schloss Brunnsee ist auch der Schauplatz von Alfred Kolleritschs Roman Die Pfirsichtöter.
Immer wieder wurde darüber spekuliert, wann die Herzogin ihre Wohnung in der Sackstraße aufgeben werde. Was sie schlussendlich 1844 tat. Danach wohnte sie bei ihren kurzen Aufenthalten in Graz stets im Hotel „Stadt Triest“. Ihre Winter verbrachte sie fortan in Venedig, wo sie 1844 das Palais Vendramin Calergi erworben hatte, das sie bis zum Tod ihres Mannes 1864 nutzte.
Die Herzogin zog sich schließlich ganz nach Brunnsee zurück und übergab auch ihren Besitz an ihren Sohn Prinz Henri Bourbon – der sich im Exil Graf von Chambord nannte –, für dessen Thronanspruch die „königliche Amazone“ zeit ihres Lebens vergeblich gekämpft hatte. Marie Caroline Herzogin von Berry verstarb 1870 im Schloss Brunnsee und wurde in der Grabkapelle der Familie Lucchesi-Palli auf dem Friedhof von Mureck beigesetzt.
Schlagworte: Palais Herberstein
Nusbaumer
Ich arbeite an dem französischen Maler Henri-François Riesener (1767-1828).
Im Jahr 1837 erinnert eine Publikation: La Mode an die Sammlungen der Herzogin von Berry im Schloss Brünnsee: Wir haben Karl X. erneut durch Riesner ausgezeichnet.
Haben Sie Informationen zu diesem Gemälde, das sich später (1988) in den Sammlungen der Familie Wurmbrand Stuppach in Frohsdorf befand?
Oder hätten Sie alte Fotos von den Zimmern und anderen Räumen des Schlosses?
Vielen Dank.
Anita Brunner-Irujo
Vielen Dank für Ihre Anfrage, ich habe sie an unser Team im Museum für Geschichte weitergeleitet und es wird sich demnächst wer melden. Viel Glück bei der Recherche! Grüße aus Graz, Anita Brunner-Irujo