Lara Favaretto, Thinking Head (2018), Venedig, 2019 Foto: Barbara Steiner

23. Mai 2019 / Barbara Steiner

Biennale di Venezia

Kunsthaus Graz

Unter dem Motto „May you live in interesting times.“ wurde am 11. Mai die 58. Biennale di Venezia eröffnet.

Die diesjährige Biennale di Venezia, geleitet von Ralph Rugoff, steht unter dem Motto: „May you live in interesting times.“ Übersetzen könnte man dies so: „Mögest du in interessanten Zeiten leben.“ Es sind Umbruchszeiten, in denen vieles von dem, was lange gültig schien, erschüttert wird, Selbstverständliches verschwindet und Orientierung in einer komplexer werdenden Welt zunehmend schwierig erscheint. Die Biennale reagiert darauf, der Grundton ist melancholisch, es dominiert eine von Schwermut , Schmerz,Traurigkeit oder Nachdenklichkeit geprägte Gemütsstimmung. Ruinen, Fragmente, Dystopien – jedoch kein Kopf-in-den-Sand-Stecken, keine Weltflucht. Eher spürt man ein Innehalten, eine kritische Reflexion des Ist-Zustands der Welt und eine Sensibilisierung gegenüber Ressourcenverschwendung, Ausbeutung und gesellschaftlichen Asymmetrien.

Haris Epaminonda, VOL. XXVII. 2019 Foto: Barbara Steiner

Foto: Barbara Steiner

Warteschlange, vor den französischen und englischen Pavillons. Foto: Barbara Steiner

Ghana und Litauen
Gewinner des diesjährigen Biennale-Pavillonpreises ist Litauen. Der Beitrag Sun & Sea (Marina) hat die Form einer Oper und ist eine bissige Kritik zum Freizeitverhalten und Klimawandel. Bis zuletzt war auch der ghanaische Pavillon im Rennen. Der erste Auftritt des westafrikanischen Landes auf der Biennale wurde von der Fachwelt sehr positiv wahrgenommen. Sechs Künstler – El Anatsui, Ibrahim Mahama, Felicia Abban, John Akomfrah,  Selasi Awusi Sosu und nd Lynette Yiadom-Boakye – zeigen ihre Arbeiten in von Lehmmauern begrenzten, ellipsenartig angelegten Räumen. Dass Ghana letztendlich nicht ausgewählt wurde, soll damit zu tun haben, dass die meisten Künstler/innen inzwischen in westlichen Großstädten leben. Der Goldene Löwe für den besten Künstler ging an den US-amerikanischen Filmemacher Arthur Jafa für sein Video The White Album. Den Preis für sein Lebenswerk erhielt der ebenfalls in den USA lebende Jimmy Durham.

Der österreichische Pavillon

Im österreichischen Pavillon werden Arbeiten von Renate Bertlmann gezeigt. Sie ist die erste Künstlerin, die den Pavillon alleine bespielen darf. Für viele Jahrzehnte war Bertlmann nur einem kleinen kunstinteressierten Kreis bekannt, nun ist sie in vielen Ausstellungen präsent, demnächst auch in der am 25.5. eröffnenden Niederösterreichischen Landesgalerie in Krems. Bertlmann ist eine feministische Künstlerin der ersten Stunde, und das zeigt die Ausstellung deutlich. Kuratorin, Felicitas Thun-Hohenstein, und Künstlerin haben sich für eine sehr reduzierte, klare Präsentation entschieden, unterstützt von der klugen Architektur des StudioVlayStreeruwitz. Sie haben dem von Josef Hoffmann 1934  errichteten Pavillon eine zweite, dünne Schicht verpasst, die sich subtil, aber bestimmt über den Ausgangsbau legt. Großformatige Wandtapeten, die Skizzen performativer, älterer Arbeiten zeigen, heben das Werk Bertlmanns auf eine konzeptuelle Ebene.

Im Hof ist eine neue Installation der Künstlerin zu sehen, die zwischen „Kitsch“ und „starkem feministischem Statement“ kontrovers diskutiert wurde und eine der am häufigsten abgebildeten Arbeiten im Netz ist: 312 Rosen aus Muranoglas, jede verschieden, bergen scharfe Klingen in sich. Mir ist die Verbindung von Schönheit und Aggression im Jahr 2019 zu binär gedacht und auch zu plakativ, auch wenn Bertlmann bereits vor 50 Jahren mit scharfen Klingen gearbeitet hat. In einer ihrer Performances trat sie mit einer bedrohlichen Prothese auf: aus künstlichen Brüsten ragten Skalpelle. Die nährende Brustwarze wurde so zur verletzenden Waffe. Die damalige Notwendigkeit einer solchen Drastik ist für mich durchaus nachvollziehbar, in unserer Gegenwart,  in der es gar nicht genügend drastische Setzungen geben kann, sieht es für mich jedoch anders aus.

Der Schriftzug an der Fassade „Amo ergo sum“ („Ich liebe, also bin ich”) – eine Bertlmannʼsche Abwandlung von Descartesʼ „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) – hat für mich überzeugende transformatorische Kraft. Wie die architektonische Intervention im Inneren legt sich eine weitere Schicht über das Gebäude und lässt den repräsentativen Gestus Hoffmans hinter sich.

 

Kategorie: Kunsthaus Graz
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