Leopoldsteiner-See, © Sammlung Kubinzky

7. Mai 2020 / Christoph Pietrucha

Ansichtskartengrüße aus der Quarantäne

Ausstellungen | Museum für Geschichte

Die gegenwärtige Epidemie verlangt von uns eine räumliche Distanzierung, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die politisch geforderte soziale Distanzierung ist jedoch ein etwas missverständlicher Begriff, denn es geht dabei nicht um einen gesellschaftlichen Abstand: Das Ziel ist nicht die Unterlassung familiärer und freundschaftlicher Kontakte, sondern die Senkung der Zahl der Infizierten durch körperliche Distanz. Anrufe und E-Mails sind nur zwei Möglichkeiten, um dennoch Kontakt zu uns wichtigen Menschen zu wahren. Auch Postkarten sind eine Option, wobei hier nicht digitale Grüße – wie sie gegenwärtig dominieren – gemeint sind.

Wie vielfältig die Motive eines Papierrechtecks sein können, zeigt die Ausstellung Dein Graz! Die Sammlung Kubinzky am Joanneum. Viele der hier ausgestellten Bilder sind Ansichtskarten, also Postkarten mit einem Bilddruck oder Foto auf der Rückseite. Sie stammen allesamt aus der Sammlung des Geografen und Historikers Karl Albrecht Kubinzky. Mit Fotografien, Ölbildern, Autokennzeichen und unzähligen weiteren Objekten widerspiegelt seine Kollektion die Grazer Stadtgeschichte der letzten rund 100 Jahre. Die Postkarten deuten dabei an, was bis heute als besonders wichtig und besuchenswert empfunden wird. Sie stellen uns die wichtigsten Identifikationspunkte eines Ortes vor – wie den Grazer Uhrturm –, die dadurch zu Pilgerzielen des Tourismus werden. Sie entfalten aber auch ganze Landschaften vor unseren Augen, die so in eine wortwörtlich greifbare Nähe rücken.

Aussee, Partie, © Sammlung Kubinzky

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickeln sich Postkarten und somit auch Ansichtskarten zu einem wahren Massenmedium. Es ist eine Zeit, die durch die Entstehung des Massentourismus geprägt ist. Auslöser sind eine fortschreitende Industrialisierung, Bevölkerungsentwicklung, Verstädterung und Verkehrsrevolution. Auch verbesserte sozial- und arbeitsrechtliche Verhältnisse, gesteigertes Realeinkommen und damit veränderte Bedürfnisse verändern den Lebensstil vieler Menschen. Gleichzeitig wandeln sich die Städte, die immer mehr an Ausdehnung gewinnen. Die Vielfalt an Motiven von Ansichtskarten bezieht sich somit nicht nur auf die nun erreichbaren touristischen Ziele, sondern auch auf die unterschiedlichen Facetten der Stadt.

Erzherzog-Johann-Brücke, Ansichtskarte,
Sammlung Kubinzky

Um 1900 wird Graz noch als das „österreichisches Pensionopolis“ bezeichnet. Der wenig schmeichelnde Titel betont den beschaulichen und gemütlichen Charakter der Stadt, der vor allem Angehörige des Militärs dazu verlockte, hier ihren Ruhestand zu verbringen. Die steirische Metropole wird aufgrund ihrer klimatischen Vorzüge „zur Zeit von Epidemien [als] ein sicheres Refugium“ betrachtet. Das jedenfalls versichert uns die „Österreichische Alpenzeitung“ von 1905, die auch einen Überblick über die Erholungsorte in Graz und der Umgebung gibt. „Herrliche Naturgenüsse bieten dem Einheimischen und Fremden der Hilmteich und Stadtpark“, wie es dort heißt. Der Hilmteich zählt in dieser Zeit jedenfalls zu den beliebtesten Ansichtskartenmotiven, sodass er bis heute ohne Schwierigkeiten auf einem steirischen Flohmarkttisch zu finden ist.

Bruck an der Mur, Nachtstimmung,
© Sammlung Kubinzky

Zu den frühen beliebten Ansichtskartenmotiven zählen aber auch Ortsansichten, die mit ihren Kirchtürmen in die Landschaft eingebettet sind. In der Ausstellung Immer schön! Die Steiermark in der Sammlung Kubinzky wird ab Herbst im Museum für Geschichte ein bildliches Panorama entfaltet, das die damit transportierten Selbst- und Wunschbilder thematisiert. Gleichzeitig wird auf idealtypische Konstruktionen von Stadt und Land, den Charme des Seriellen und die Bedeutung von Farbe sowie die Schaffung bestimmter Atmosphären eingegangen.

Dachsteinsüdwände,
© Sammlung Kubinzky

Ansichtskarten überbrücken somit Distanzen, indem sie das Ferne nach Hause transportieren. Es geht aber nicht nur um Motive, sondern auch um die mit ihnen gesendeten Kurznachrichten, die vielfach keine Notiz von dem Bild auf der Vorderseite nehmen. Auch wenn die oft kurz und bündig verfassten Botschaften nur sehr selten geistreiche Erzählungen sind, verkürzen sie soziale Distanzen, da sie uns auch an die Absender/innen erinnern. Für einen kurzen Augenblick ist das Motiv nicht das wichtigste Bild in unserem Kopf, und genau dieser Moment vermag räumliche Distanzen zu schließen und soziale Nähe wieder zu stärken.

Cigale, Promenadeweg,
© Sammlung Kubinzky

Kategorie: Ausstellungen | Museum für Geschichte
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