13. Juni 2019 / Ulrich Becker
“1809” und andere Napoleonica aus der kulturhistorischen Sammlung
Das Blatt
Ein nächtliches Theatrum belli: Der Schauplatz ist in Grundzügen klar erkennbar, ebenfalls die vergeblichen Sturmangriffe der Belagerer. Wichtig ist aber nicht nur der Ausgang des Gefechts, in dem sich Major Hackher und seine Truppe behaupten können. Was zählt, ist der dramatische, spektakuläre Effekt – abgesehen von der alles in allem topografisch getreuen Wiedergabe.
Nächtliche militärische Aktionen, Gefechte, Belagerungen und Brände waren ein beliebtes Sujet der Zeit, besonders wenn Zerstörungen zu sehen sind. Faszination mischt sich mit Schrecken, es ist eine Variante des „Erhabenen“, man spricht vom „Kanonenfieber“. Bekannt ist die Schaulust, die Goethe ergreift, als er 17 Jahre früher, im September 1792, das legendäre Artilleriegefecht von Valmy als Augenzeuge erlebt. Er wird später von einer historischen Wende, „einer neuen Epoche der Weltgeschichte“ schreiben.
Auch für den anonymen Grazer Grafiker ist der Anschein der Augenzeugenschaft wichtig: Er will ein spektakuläres Ereignis in Szene setzen, als sei er – wie der Dichter bei Valmy – persönlich dabei gewesen. Auch gilt es, die Leistung der Belagerten zu würdigen, die unter starkem Beschuss standhielten – wobei stillschweigend unterschlagen wird, dass schwere Belagerungsartillerie erst gar nicht zum Einsatz gekommen ist.
Die Technik
Schabkunst, auch Mezzotinto genannt, ist eine grafische Technik, die auf dem Aufrauen der Kupferplatte durch ein Wiegemesser beruht und eine samtene, weichzeichnende Wirkung hervorruft, die an Gemälde erinnert. Sie wird im 17. Jahrhundert in Deutschland erfunden, erlebt aber ihren Höhepunkt in England, wo sie im 18. Jahrhundert eine beliebte Reproduktionstechnik darstellt. Einen bedeutenden Bestand vor allem englischer Schabkunstblätter aus dem 18. Jahrhundert, der vor einigen Jahren in einer Ausstellung zu sehen war, besitzt das Kupferstichkabinett der Alten Galerie. Die dort erreichte Perfektion geht dem Grazer Blatt deutlich ab, was aber seinen historischen Zeugniswert keinesfalls mindert.
Historischer Kontext
Wie kaum ein anderes militärgeschichtliches Ereignis ist die Belagerung des Grazer Schlossberges zu einem steirischen Mythos geronnen, als hätte eine kleine Grazer Besatzung – wie Erzherzog Karl bei Aspern – den „Unüberwindlichen“, also Napoleon, überwunden.
Kriegsentscheidend ist dieser Abwehrerfolg nicht. Schon die Gefechte in der Steiermark verlaufen zugunsten der Franzosen. Napoleon selbst führt vor den Toren Wiens, bei Wagram, die Entscheidung herbei. Im Frieden von Schönbrunn muss Österreich empfindliche Gebietsverluste hinnehmen und den Sieger als künftigen Schwiegersohn des Kaisers akzeptieren. Die Heirat mit der Habsburgerin Marie-Louise 1810 gibt Napoleon die – letztlich vertane – Möglichkeit, seine militärische Hegemonie durch Begründung einer eigenen Dynastie zu nobilitieren und so nachträglich zu legitimieren.
Der Triumph Napoleons scheint überwältigend, ist aber nicht fleckenlos: Trotz aller im Kampagnenjahr 1809 errungenen Siege – in Süddeutschland und Österreich – wiegt die Bilanz des Kampfes gegen Erzherzog Karl und dessen reorganisierte Armee überaus schwer, vor allem bei Aspern und Wagram. Die Verluste sind sehr hoch, aber zum Fälschen gibt es die bulletins, die amtlichen Verlautbarungen. Fake News sind keine Erfindung unserer Zeit.
Hinzu kommt das nicht minder belastende Trauma durch den desaströs verlaufenden Spanienfeldzug von 1808, verstärkt durch den zeitweise bedrohlichen Aufstand in Tirol: Beide Erhebungen sind Volkskriege, die von allen Beteiligten mit größter Härte ausgefochten werden. Und vor aggressiven Volkskriegern, die sich nicht an die Regeln halten, hegt Napoleon seit jeher große Furcht, ein Gefühl, das er übrigens mit seinen gekrönten Gegnern teilt.
Unter dem Druck der Ereignisse wandeln sich Napoleons Armeen spürbar: Um die Lücken wieder aufzufüllen, die der permanente Krieg in seine Reihen reißt, sieht er sich mehr und mehr gezwungen, auf die Truppen der Vasallen, der Rheinbundstaaten, zurückzugreifen.
Napoleon selbst ist in Graz nicht anwesend. Auf einen leichten Sieg hoffend, hat er die Belagerung seinen Untergebenen überlassen. Dabei ist gerade die Belagerungskunst sein ureigenes Metier: Als gelernter Artillerieoffizier hat er seine ersten Lorbeeren vor Toulon 1793 geerntet, als er zur Einnahme des britisch besetzten Mittelmeerhafens beiträgt. Aber all das wird überstrahlt vom Italienfeldzug 1796/97, womit der noch nicht 30-Jährige seinen Ruf als Meister des Bewegungskrieges begründet. Belagerungen stören da nur, sie sind zeitraubend, kostspielig und verlustreich, dazu traumatisch, nicht selten für beide Seiten.
Auch Wien muss 1809 eine Beschießung erdulden – Anlass für eine Reihe zeitgenössischer, sehr dramatisch gehaltener Darstellungen, geprägt durch heranfliegende, rotglühende Artilleriegeschosse und nächtliche Brände.
Noch ist es Napoleon gewöhnt, dass man ihm, dem Sieger, demütig die Schlüssel der Stadt überreicht, mit oder ohne Belagerung. Nur wenige Jahre später, während des Russlandfeldzuges von 1812, wird sich das auf bestürzende Weise ändern.
Napoleonica allgemein
Seit über 200 Jahren sind Napoleonica ein eigenes Sammelgebiet. Napoleon selbst hat seit Beginn seiner Laufbahn ständig an der eigenen Legende gestrickt. Er ist nicht nur ein Meister des Krieges, sondern auch der Selbstvermarktung; er bleibt das auch bis zum Exil von St. Helena, wo er sein berühmtes „Vermächtnis“ diktiert, um die eigene Rolle für die Nachwelt ein für alle Mal festzuschreiben. Man wird sich noch lange an ihm abarbeiten.
So sind es eben nicht nur die unübersehbaren, noch heute stehenden Monumente, Triumphbögen und Siegessäulen, die seinen Ruhm verewigen sollen. Eine wahre Flut von Kleinobjekten, von Devotionalien, begründet den Kult aufs Neue bzw. trägt ihn weiter. Die hier gezeigte Eisenguss-Büste ist recht grob, stellt aber deswegen ein authentisches Zeugnis für die quasi-religiöse Verehrung dar.
Pfeifenköpfe sind beliebte Gesinnungsausweise: Napoleon, „Weltgeist zu Pferde“ und Gegner der alten, später als Träger der Restauration auftretenden Mächte, wird zu einer Art Freiheitssymbol, wiewohl er erwiesenermaßen ein Despot ist. Ungewöhnlich ist die Szene, die ihn als Verwundeten zeigt. Ein großes Historienbild bzw. ein danach erstellter Stich sind die Quelle für jenen Moment, wo er auf dem Feldzug von 1809 vor Regensburg zum ersten und einzigen Male in seinem Soldatenleben verwundet wird. Napoleon lässt die Verletzung nur kurz behandeln, um bald darauf den Sturm auf die Stadt zu leiten – mit viel gravierenderen Folgen für alle Beteiligten, als dies in Graz der Fall gewesen ist.
Nicht minder aufschlussreich ist die Perspektive der Gegner. Ein wohl in Berlin gefertigtes Tintenzeug aus Eisenguss in Form eines fiktiven klassizistischen Sarkophags wird vom legendären Hut Napoleons bekrönt, dem bicorne. Innen, am Boden des Sarkophags, ist eine Darstellung des Korsen zu sehen, ganz so wie er 1821 in Uniform und Feldherrenmantel auf St. Helena bestattet wurde.
Ein dauerhaftes, der Verehrung gemäß überdimensioniertes Grab erhielt Napoleon erst 1840, als der Leichnam nach Paris überführt und im Invalidendom zentral beigesetzt wurde. Initiator ist Louis-Philippe, der sich der Ruhmlosigkeit seines eigenen Bürgerkönigtums bewusst war. Es brauchte einen großen Helden für die kleinen Leute, in Frankreich wie anderswo auch. Der Mythos wirkt bis heute.
Beliebt waren auch sogenannte Schraubmedaillen, wie sie in Augsburg hergestellt wurden. Kettenartig zusammenhängende Papierbilder zeigen in schematischer Form Siege der drei alliierten Monarchen, die bald die „Heilige Allianz“ bilden werden, im letzten Feldzug gegen Napoleon 1814, bevor die legendären Hundert Tage, Napoleons überraschende Rückkehr auf den Thron, ein erneutes Eingreifen erfordern, das zur Entscheidung von Waterloo führt. Die Überwindung des lange für unbezwingbar geltenden Napoleon wird zum Befreiungswerk emporstilisiert, aber eine Befreiung im staatsbürgerlichen Sinne ist das nicht. Die Restaurationszeit ist nun am Wort.
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