Superstition
Dingwelten des Irrationalen
Millionen Menschen verfolgen täglich ihr Horoskop in der Zeitung. Zwei Drittel aller Jugendlichen brauchen unbedingt einen Talisman, um eine Schularbeit schreiben zu können. 85 Prozent der amerikanischen Hochhäuser besitzen kein 13. Stockwerk. An Polterabenden wird Geschirr zerschlagen, wir verschenken vierblättrige Kleeblätter oder wünschen jemandem „Hals und Beinbruch“. All dies geschieht in einer hoch technisierten, rationalen, von wissenschaftlichen Werten gelenkten Gesellschaft – und zwar umso intensiver, je heftiger sich die Welt von Krisen geschüttelt sieht.
Das Volkskundemuseum Graz besitzt mehr als 1.000 Objekte aus dem 18. bis ins beginnende 20. Jahrhundert, die als abergläubisch, volksmagisch oder einfach als Zaubermittel bezeichnet werden. Wie im Kuriositätenkabinett finden sich hier Tiermumien als Bauopfer, Amulette aus Natternwirbeln, Nepomukzungen, Alraunen, Bezoare, Zweifelknöpfe, Neidfeigen, Neunmondmesser und viele eigentümliche Dinge mehr, die einst Schutz vor üblen Schicksalsschlägen, gefürchteten Krankheiten, Unwettern oder dem Bösen Blick bieten sollten.
So kurios diese Gegenstände scheinen mögen, so wenig sind sie es. Vielmehr verbirgt sich hinter ihnen ein paralleles Denksystem. Von den offiziellen Religionen und den aufgeklärten Wissenschaften wurde es immer schon bekämpft. Doch auch magisches Denken beruht auf Grundsätzen und Logik, wie dem der Analogie (Gleiches wird mit Gleichem bekämpft) oder dem pars pro toto (ein Teil steht für das Ganze). Die Wissenschaftler des Volkskundemuseums gehen diesen Hintergründen in einem Forschungsprojekt auf den Grund und bereiten eine groß angelegte Ausstellung zum sogenannten Aberglauben in der Steiermark vor.
Forschungsprojekt – detaillierte Projektbeschreibung:
Superstition – Dingwelten des Irrationalen
Von der Rockenphilosophie zum Esoterikshop
Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung
www.formuse.at
Laufzeit: Juli 2009 bis Juli 2011
Mitarbeiter: Dr. Eva Kreissl, Dr. Roswitha Orac-Stipperger, Dr. Gabriele Ponisch, Mag. Michael Greger, Matthäus Vobruba
1. Problemstellung

Magisches Handeln beabsichtigt die Beeinflussung des Schicksals oder der Zukunft unter Verzicht auf die Überprüfbarkeit eines empirischen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung der dazu eingesetzten Mittel. Diese Form irrationalen Handelns ist ein rezenter Bereich der Alltagskultur, dessen gegenwärtige Entwicklung durch eine Vielzahl von Einflüssen aus fremden Kulturen gekennzeichnet ist und immer weitere soziale Kreise und Lebenszusammenhänge erfasst.
Das Volkskundemuseum Graz verfügt über einen im wissenschaftlichen Kontext der europäischen Ethnologie/Kulturanthropologie herausragenden Sammlungsbestand an apotropäischen und magisch besetzten Artefakten des steirischen Raums. Sie stammen – bis auf wenige Einzelstücke der Gegenwart – aus dem 18. bis frühen 20. Jahrhundert, wurden zum überwiegenden Teil in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesammelt und umfassen hauptsächlich drei ineinander verschränkte Komplexe:
- Schicksalsbeeinflussung der privaten religiösen Praxis (Votivgaben, Skapuliere – Breverln, Amulette, Wetterkerzen, Schutzbriefe, etc.)
- außerkirchliche Apotropäa und Schutzzauber (Amulette, Blitzkugeln, Feigen, Zweifelknopf, Bezoar, mumifizierte Bauopfer etc.)
- magische Volksheilkunde (Fieberketten, Segenszettel, Fraisenhäubchen, Mineralien, Neunmondmesser, Schluckbilder etc.).
Dieser Bestand von rund 1.000 Objekten ist wissenschaftlich unzureichend bearbeitet und soll einem systematischen, wissenschaftlichen Hintergrund zugeordnet und auf seine allgemeine Aussagekraft für Bedeutung, Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten von Glaubenshaltungen und Lebenseinstellungen der unterbürgerlichen Schichten von der Romantik bis ins 20. Jahrhundert untersucht werden.
Die Sammlung soll mit zwei weiteren Beständen magischer Objekte der Steiermark (Hans-Gross-Kriminalmuseum der Universität Graz und die Sammlung Pramberger im Stift St. Lambrecht) vernetzt und in einer Datenbank zusammengeführt werden. Weiters sollen die steirischen Museen (Bad Blumau, Trofaiach, Murau, Mariazell, Haus im Ennstal, Trautenfels, Frauenberg), die ebenfalls über superstitiöses Sammlungsgut verfügen, gesichtet werden, um einen umfassenden Überblick über die Objektlage in der Steiermark zu gewinnen. Die Sammlung Pramberger soll im Rahmen dieses Projekts an den Inventarisierungsstandard des Volkskundemuseums angepasst werden.
In einem zweiten Schritt will das Volkskundemuseum die notwendige Forschungsarbeit zur Komplettierung und Aktualisierung der eigenen Sammlung in Angriff nehmen, um sich zu einem überregionalen Kompetenzzentrum für Fragen und Objekte zur Kultur des magischen Dinggebrauchs zu entwickeln, der mehr denn je das Alltagsleben der Menschen beeinflusst und wie bereits vor Jahrhunderten als profanes Derivat in einem vielschichtigen Spannungsverhältnis zu zeitgenössischen okkulten Lehren und Theorien steht.
Als Grundlage für den Entwurf eines Sammlungskatalogs für die kommenden Jahre soll neben der Aufarbeitung der historischen weltanschaulichen Wurzeln magischen Denkens eine Feldforschung zu Verfügbarkeit, Gebrauch und Beurteilung superstitiöser Sachgüter und ihrer Verwendung in der Gegenwart durchgeführt werden.
2. Zentrale Forschungsfragen

2.1. Sammlungsaufarbeitung
2.1.1. Geben die Sammlungsbestände des Museums die volkskundlichen Erhebungen des Museumsarchivs zu Magie und apotropäischem Handeln wieder?
Superstitiöse Objekte haben eine individuelle Praxisgeschichte, die für die einzelnen Objekte im Inventar des Volkskundemuseums nicht verzeichnet ist. Das Volkskundemuseum besitzt jedoch drei umfassende volkskundliche Erhebungen und Archive aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (Romuald Pramberger, Franz Ferk sowie von Theodeor Unger und Victor Theiss) zu den Themen Magie, Zauber und magische Heilung, die jedoch nie den Sachgütern der Sammlung gegenübergestellt wurden. Diese Quellen sollen auf Übereinstimmungen und Verweise mit den Sammlungsbeständen untersucht und die Bedeutung der Objekte herausgearbeitet werden.
2.1.2. In welchem historischen Kontext sind die superstitiösen Sammlungsbestände des Museums zu beurteilen?
Unter Einbeziehung einschlägiger historischer Gebrauchstexte aus der Bibliothek des Volkskundemuseums sowie der Steiermärkischen Landesbibliothek und dem Landesarchiv (Wahrsage- und Ratgeberliteratur, astrologische Schriften, Kunst- und Wunderbücher, Segens-, Zauber- und Amulettformeln sowie den sog. Volksbüchern zum magischen Denken und Handeln) wird der historische, geografische und soziale Kontext der Objekte untersucht. Besonders aufschlussreich sind auch zeitgenössische kirchliche oder aufklärerische Schriften, die sich gegen Aberglauben, Zauberei und magische Vorstellungen richten.
2.1.3. Welche Anschauungen und Weltbilder prägten die Anwendung der superstitiösen Gegenstände und Praktiken?
Die steirischen Belege sind im Zusammenhang mit einem komplexen System magischen Denkens zu lesen, das sich in Abwandlungen und Deutungsschwankungen in ganz Europa nachweisen lässt. Ihre Funktion und Sinnhaftigkeit lassen sich nur vor diesem weltanschaulichen Hintergrund verstehen, der in der Vergangenheit mit „Volksglaube“ unzureichend bezeichnet und entweder ohne kritisch beurteilende Distanz oder stark ideologisch voreingenommen untersucht worden ist. Für die Bearbeitung der Sammlungsbestände ist von Bedeutung, die einzelnen Stränge und Überlappungen dieses synkretistischen Denksystems aus animistischen Vorstellungen, Alchemie, Sympathiedenken, Derivaten der Temperamentenlehre und christlichen Glaubensinhalten zu entflechten und systematisch zu interpretieren.
2.2. Sammlungserweiterung
2.2.1. Welche Strömungen magischen Handelns sind gegenwärtig von Bedeutung und für die Alltagskultur der Steiermark bestimmend?
Die radikalen Wandlungen, die mit der Entwicklung von Technik und Wissenschaft im Zeitalter der Globalisierung verbunden sind, haben zu einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber den Orientierungsangeboten der Wissenschaft, den Heilmethoden der Schulmedizin und der Deutungsmacht der Kirchen geführt. Die Pluralisierung der Lebensstile und die Zunahme an Kontingenzerfahrungen erzeugen Defizite, die sich verstärkt in der Kreation von magisch interpretierten Gegenwelten manifestieren.
Das Volkskundemuseum will seinen Sammlungsauftrag für diesen aktuellen Bereich der Alltagskultur als umfassende Spezialsammlung wahrnehmen. Dazu bedarf es zunächst einer kulturwissenschaftlichen Grundlagenforschung als Überblick zu den gegenwärtigen Tendenzen und Strömungen magischen und esoterischen Handelns. Sie soll historische Entwicklungsströme nachvollziehen und den Übernahmen fernöstlicher Spiritualität oder indigener Kulturen gegenüberstellen.
2.2.2. Wie lässt sich der Sammlungsbestand des Museums in Zukunft sinnvoll fortführen?
Den theoretischen Grundlagen soll eine empirische Erhebung zu Relevanz und Verbreitung rezenter Praktiken in der Steiermark folgen. Aus den Ergebnissen sollen Sammlungskriterien und eine eingrenzende Systematik entwickelt werden, die zum einen den Einflüssen von Globalisierung, Tourismus, Medien und der Zunahme an Wissen über andere Kulturen Rechnung trägt, sich durch strukturelle Parallelen zugleich an den Altbeständen der Sammlung orientiert, um zu einem aktuellen und fortlaufenden Gesamtbestand zu führen. Die Kriterien umfassen auch die Bedingungen für die praktische Sammlungstätigkeit und begleitende empirische Erhebung, damit neben den zu sammelnden Gegenständen umfassende Informationen über deren Gebrauch, Verbreitung und Relevanz zur Verfügung stehen.
3. Ziele des Vorhabens

1. Heranführen des Sammlungsbestandes an aktuelle kulturwissenschaftliche Standards
2. Erarbeitung der theoretischen Grundlagen, Kategorien und Strategien für die künftige Sammlungstätigkeit
3. Positionierung des Volkskundemuseums als Kompetenzzentrum zu Fragen des superstitiösen Denkens und Handelns in Vergangenheit und Gegenwart
4. Erfassung der Objektdaten historischer Sammlungen zum magischen Dinggebrauch in Form einer Datenbank (IMDAS)
5. Fotoaufnahmen aller in der Datenbank erfassten Objekte als niedrig aufgelöste Arbeitsgrundlage und in Druckqualität
4. Theoretischer und methodischer Zugang

Wir setzen uns mit den historischen und aktuell gebräuchlichen Objekten und Praktiken, die auf magische Denkweisen schließen lassen, in einer Haltung des "methodologischen Agnostizismus" auseinander, wie ihn Hubert Knoblauch für die qualitative Religionsforschung empfiehlt. (Knoblauch 2003, 41f.) D. h., dass wir von der Existenz von Glaubensvorstellungen ausgehen können, ohne die Wirklichkeit dessen, was geglaubt wird, anerkennen zu müssen oder zu sollen. Es soll nicht beurteilt werden, ob bestimmte Praktiken etwa in theologischem oder schulmedizinischem Sinne richtig oder falsch sind bzw. wirksam oder unwirksam. Wir entscheiden nicht, ob es höhere Wesen, transzendente Wirklichkeit und magische Kräfte gibt oder nicht, sondern nur, ob Menschen höhere Wesen oder die transzendente Wirklichkeit in ihren Erfahrungen und Handlungen als existent ansehen oder nicht.
Religiöse und magische Positionen werden lediglich als Inhalte menschlichen Bewusstseins, Handelns und Kommunizierens, somit als Forschungsobjekt und nicht als Statements der Forschung gesehen.
Die Erfassung der historischen Objekte erfolgt mit der am Landesmuseum Joanneum verwendeten Datenbank IMDAS und auf Basis eines gründlichen Studiums zeitgenössischer Quellen sowie nach Sichtung und Verschlagwortung der drei wichtigen volkskundlichen Archive am Museum (Pramberger, Unger-Theiss und Ferk). So können die Objekte bei der Inventarisierung mit einschlägigen Textpassagen und Kontextverweisen korreliert werden.
Um Kategorien für eine weiterführende Sammlungstätigkeit zu entwickeln, führen wir begleitend zur Lektüre von Quellen und rezenter forschungsrelevanter Literatur Feldforschungen im steirischen Raum durch, bei denen in Gesprächen mit AnwenderInnen, HändlerInnen und Multiplikatoren esoterischen Wissens auf die Verbreitung verschiedener Sachgüter und Praktiken geschlossen werden kann. Weiters werden die aktuellen Sortiments von Esoterikshops, Apotheken und weiteren einschlägigen Geschäften und Internetanbietern gesichtet und gelistet.
5. Innovative Aspekte

Sachvolkskunde galt in der volkskundlichen Forschung nach dem Paradigmenwechsel der 80er Jahre auch in der österreichischen Forschungslandschaft längere Zeit als obsolet. Unter veränderten Gesichtspunkten, nämlich auch im Hinblick auf ihre strukturelle oder symbolische Bedeutung, bilden Objekte heute wieder wichtige Grundlagen der aktuellen kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung.
Ausgehend von den Objekten und den mit ihnen verbundenen Praktiken und Denkweisen, wollen wir lange Zeit getrennt bearbeitete Forschungsfelder mit einander verbinden: innerhalb der Volkskunde sind dies Volksfrömmigkeit, Volksmagie und Volksmedizin, darüberhinausgehend Bereiche der Religionssoziologie und der Esoterikforschung. Wesentlich ist ein kritisch reflektierter Gebrauch der Begriffe "New Age" und "Esoterik", der sich von zuweilen sehr vereinheitlichenden Konzepten in einigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen unterscheidet. Wir orientieren uns dabei u.a. an der kritischen Analyse Bochingers (1994) und an Konzepten von Faivre (2001), Stuckrad (2004), Bowman und Sutcliffe (2000).
Wir verbinden tradionelle Forschungsansätze aus dem Bereich der Volksfrömmigkeit, also wichtige Arbeiten etwa von Kriss, Kriss-Rettenbeck, und der Volksmedizin (Grabner, Mader) mit neueren Richtungen der Esoterikforschung.
6. Bezug zum internationalen wissenschaftlichen Stand der Forschung

Für den Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit esoterischen Konzepten und Denkweisen, mit denen wir das superstitiöse Material der Sammlungen systematisieren wollen, lohnt sich unbedingt ein Blick nach Frankreich, Holland und England. "Esoterik" wird zwar an einigen Universitäten bereits als spezifisches Forschungsgebiet anerkannt, dennoch hat der Begriff die Eigenheit, ein ganzes Bündel von Haltungen und eine Vielzahl von Diskursen aufrufen zu können. Für den Begriff der Esoterik gilt wie für kaum einen anderen, dass die in den Medien und der Öffentlichkeit verwendeten Attribute keineswegs denen entsprechen, die in der wissenschaftlichen Forschung diskutiert werden.
Der Charakter des Begriffes hat sich laut Bochinger seit Ende des 19. Jahrhunderts von einer besonderen Wissenstradition zu einem eigenen Typus von "Religion", dem "Weg nach Innen", gewandelt. "Esoterik" wurde damit – ähnlich dem Wort "Spiritualität" – zu einem Ersatzwort für "Religion", das deren subjektivistische, auf innere Erfahrung bezogene Elemente betont.
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren entwickelte sich eine akademische Forschungslandschaft, die sich intensiv mit Esoterik beschäftigt. Man versucht, Esoterik als eine bestimmte Form der Welterklärung zu fassen, die sich aus naturphilosophischen, religiösen und literarischen Traditionen herauskristallisierte. Weit davon entfernt, sie als etwas Exotisches, Marginales oder Obskures zu betrachten, sucht die neuere Forschung Esoterik als ein Strukturelement der europäischen Religions- und Kulturgeschichte darzustellen, das bei der Entstehung der Moderne nicht unwesentlich beteiligt war. (Vgl. Stuckrad 2004, 10) Entscheidenden Anteil an der Profilierung der Esoterikforschung hatte Antoine Faivre.
Seit den 1980er Jahren setzte er sich intensiv mit der Religionsgeschichte der Renaissance und der Neuzeit auseinander und erarbeitete ein Verständnismodell des Esoterischen, das mehrere Traditionslinien zusammenfasst und Esoterik als eine Denkform charakterisierte. Er nennt vier zentrale Komponenten der Esoterik (Vgl. Faivre 2001, 24-33):
1. Das Denken in Entsprechungen sei als Grundkonstitutivum jeder Esoterik zu betrachten, nämlich die Annahme, die verschiedenen Ebenen oder "Klassen" der Wirklichkeit (Pflanzen, Menschen, Planeten, Mineralien etc.) bzw. die sichtbaren und unsichtbaren Teile des Universums seien durch ein Band der Entsprechungen miteinander verbunden. Diese Verbindung ist nicht kausal, sondern symbolisch zu verstehen, ganz im Sinne des berühmten hermetischen Satzes "wie oben, so unten". Alle Veränderungen geschehen parallel auf allen Ebenen der Wirklichkeit.
2. Die Idee der lebenden Natur fasst den Kosmos als komplexes, beseeltes System auf, das von einer lebendigen Energie durchflossen wird. Dieses naturphilosophische Modell wirkte auf die sogenannte Magia naturalis der Renaissance ebenso ein wie auf pantheistische, monistische und holistische Entwürfe des Kosmos, die vom Mittelalter bis heute fester Bestandteil europäischer Religionsgeschichte waren.
3. Imagination und Mediationen (Vorstellungskraft und Vermittlungen) weisen darauf hin, dass das esoterische Wissen um die Entsprechungen hohe symbolische Vorstellungskraft erfordert, was gerade für die praktische magische Arbeit von Bedeutung ist. Außerdem wird das Wissen durch spirituelle Autoritäten (Götter, Engel, Meister oder Geistwesen) offenbart. Auf diese Weise ist es möglich, die "Hieroglyphen" der Natur zu entziffern.
4. Die Erfahrung der Transmutation stellt eine Parallele her zwischen äußerem Handeln und innerem Erleben; in Analogie zur Alchemie geht es darum, den Menschen auf seinem spirituellem Weg zu läutern und eine innere Metamorphose zu ermöglichen. Diese Metamorphose kann auch in Metaphern der Erkenntnis und Vernunft gefasst werden, nämlich in der Erkenntnis des höheren Wissens, das den Menschen vollständig verwandelt.
Anstatt, wie früher gerne geschehen, das Esoterische antithetisch der Aufklärung und der Wissenschaft gegenüber zu stellen, erkennt die jüngere Forschung zunehmend die inneren Zusammenhänge zwischen Esoterik, Wissenschaft und Aufklärung. Es ist wichtig zu betonen, dass Faivres Definition idealtypischen Charakter hat und daher Ordnungen anbietet und keine Rückschlüsse zulässt auf eine Definition, was Esoterik wirklich ist und was nicht.
Die Schwäche dieses Ansatzes besteht vor allem darin, dass Faivre seine Typologie aus einem ganz bestimmten Teil der neuzeitlichen Religionsgeschichte extrapolierte und andere Aspekte von vornherein ausklammerte. Das betrifft nicht nur die Antike, das Mittelalter und vor allem die Moderne, sondern auch die jüdische und muslimische Esoterik, und für die Gegenwart auch den Buddhismus, der die europäische Esoterik des 20. Jahrhunderts stark beeinflusste. (Vgl. Stuckrad 2004, 14) Faivre argumentiert zwar, dass es gelte, den Aufgabenbereich einer Disziplin in einem "nicht allzu universalistischen Sinn" (2001, 35) zu präzisieren. Deshalb erscheint ihm auch das Vorhaben, eine Domäne zu begründen, welche die "weltweite Esoterik" zum Gegenstand hätte, wie z.B. im Konzept Riffards, wenig geeignet, das Fachgebiet zu profilieren.
Ähnlich wie die Arbeiten von Doering-Manteuffel und Webb berücksichtigt unser Ansatz jedoch beide Konzepte, da aktuell gerade Elementen aus mittelalterlichen sowie fernöstlichen oder schamanistischen Traditionen große Bedeutung zukommt, und wir stimmen mit Sutcliffe/Bowman überein, die meinen: "Many aspects of vernacular religion and contemporary spirituality fall outside the traditional purlieu of academic studies of religion, to the detriment of a rounded understanding of religious and spiritual culture(s). However, as scholars in a variety of disciplines have become aware of the changes in belief and praxis, it is becoming increasingly difficult to characterise what is 'mainstream'. To see religious experimentation, customisation and change as 'deviant' behaviour is no longer appropriate." (Sutcliffe/Bowman 2000, 3)
Literatur
Bochinger, Christoph (1994): "New Age" und moderne Religion. Religionswissenschaftliche Analysen, Gütersloh
Doering-Manteuffel, Sabine(2008): Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung, München
Faivre, Antoine (2001): Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens, Freiburg
Knoblauch, Hubert (2003): Qualitative Religionsforschung, Paderborn
Riffard, Pierre (1990): L' ésoterisme, Paris
Stuckard, Kocku von (2004): Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens, München
Sutcliffe, Steven u. Marion Bowman (Hg.) (2000): Beyond New Age. Exploring Alternative Spirituality, Edinburgh
Webb, James (2008): Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur und Okkultismus im 20.Jahrhundert, Wiesbaden
7. Bedeutung der zu erwartenden Projektergebnisse für das Forschungsgebiet

Die Ergebnisse des Projekts entsprechen den Forschungsprinzipien zur Sammlungsforschung des Förderungsprogramms. Nicht nur soll ein bestehender Sammlungskomplex nach neuen Forschungskriterien untersucht und sein synkretistischer weltanschaulicher Hintergrund erforscht werden, um ihn aus dem Status des Kuriosen herauszulösen. Es soll auch eine stringente Sammlungsstrategie zur Fortführung der Sammlung entwickelt werden, die auch in der Zukunft Fragen nach Enstsehung und Einordnung irralionaler Schicksalsbeeinflussung auf dinglicher Ebene beantworten kann. Das heißt auch, dass das Volkskundemuseum einmal frühe Formen alternativer Heilpraktiken oder auch Irrwege auf der Suche nach einer nicht auf Wirkstoffen basierenden Medizin wird belegen können.
Die Weitergabe der Ergebnisse durch Publikationen, eine Ausstellung, eine Lehrveranstaltung und ein Symposion soll Besucher, künftige Kollegen und Mitarbeiter anderer Museen anregen, sich von den gängigen Unterscheidungen in „Volksfrömmigkeit“, „Volksmagie“ oder „Volksmedizin“ zu lösen, sich in einen Diskurs zu begeben, der das gegenwärtig als esoterische Praxis eingestufte Verhalten nicht wertet, sondern als Antwort auf die Komplexität von Lebenswelten begreift und untersucht.
Als Kompetenzzentrum öffnet das Volkskundemuseum die zunächst drei Sammlungen (Volkskundemuseum, Stift St. Lambrecht, Hans Gross-Kriminalmuseum) umfassende Datenbank für weitere interessierte Fachleute, um den Datenaustausch und die Vernetzung mit weiteren Sammlungen zu ermöglichen. Die ersten Schritte für eine die Steiermark umfassende Datenbasis setzt bereits das Projekt in der Hoffnung auf eine weitere Vernetzung mit anderen Museen und Sammlungen über das Bundesland hinaus.
8. Darstellung des Forschungsvorhabens im Rahmen der Forschungsstrategie der förderungswerbenden Organisation

Das Landesmuseum Joanneum versteht sich als Universalmuseum mit einer weit gefächerten transdisziplinären Forschungstradition. Gerade im Bereich der Volkskunde hat sich in den letzten Jahren ein neuer Ansatz zur Bearbeitung und Bewertung von Sachgütern durchgesetzt, der sich auch in der Neuaufstellung der Schausammlung im Jahre 2003 niedergeschlagen hat. Formale und ästhetische Aspekte treten in den drei Sammlungsschwerpunkten „Haus und Wohnen“, „Kleidung und Tracht“ sowie „Glaube und Ritual“ nunmehr in den Hintergrund, um Fragen nach Struktur und Bedeutung einen weiteren Raum zu geben. So werden etwa Jahresbräuche nicht nach ihren Daten geordnet präsentiert, sondern die wesentlichen Erscheinungsformen einzelner Ritualhandlungen wie Lärm, Umzüge, Orakel, Schmuck oder Verkleidung vorgestellt und interpretiert.
Die Schausammlung zeigt eine Auswahl superstitiöser Objekte im Spannungsfeld zwischen Religion, Magie und Medizin. Der nächste Schritt in der Neuorientierung des Museums besteht in einer systematischen Bearbeitung dieses Sammlungsschwerpunktes und seiner Fortführung in die Gegenwart durch dieses Projekt.
9. Disseminationsstrategien und erwarteter Nutzen von Kooperationen und Netzwerkbildungen, geplante Anwendung der Ergebnisse

1. Vernetzung der Objektdaten historischer Sammlungen zum magischen Dinggebrauch in der Steiermark in Form einer Datenbank
In dem Projekt sollen die Bestände aus drei Sammlungen in einer Datenbank erfasst werden. Darüberhinaus sollen die Bestände weiterer Regionalmuseen (Bad Blumau, Trofaiach, Murau Mariazell, Haus im Ennstal, Trautenfels, Frauenberg) gesichtet werden, um die Möglichkeit einer Aufnahme in die Datenbank zu beurteilen und mit den zuständigen Museumsleitern den Aufbau eines Datennetzwerkes zu erörtern.
2. Erarbeitung einer Grundlage für Lehrveranstaltungen am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz
Die Angleichung des Museumsbestandes an den internationalen Stand der Forschung, der Überblick über die Objektlage in der Steiermark und die Eröffnung neuer Beurteilungskriterien für Museumsobjekte bieten ein geeignetes Feld für die Lehrtätigkeit am Grazer Universitätsinstitut, das sich in den letzten Jahrzehnten von Themen der Sachvolkskunde entfernt hatte.
3. Grundlagenarbeit für eine Ausstellung am Volkskundemuseum in Zusammenarbeit mit dem Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie und unter Einbeziehung der St. Lambrechter Sammlungsbestände
In Folge der Lehrveranstaltung soll gemeinsam mit Studierenden und auf Grundlage der im Projekt erarbeiteten Ausstellungsvorbereitungen eine Ausstellung am Volkskundemuseum durchgeführt werden, die neue, junge Zielgruppen an das Museum heranführt.
4. Abschließendes Symposion in Zusammenarbeit mit dem Hans Gross-Kriminalmuseum und dem Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie
Die Ergebnisse des Projekts sollen einem interessierten Fachpublikum im Rahmen eines Symposions vorgestellt werden. Dazu werden Wissenschaftler und Museumsfachleute aus dem In- und Ausland eingeladen, ähnliche Unternehmungen zu präsentieren sowie Probleme der Kategorisierung, Darstellung und Vermittlung zu diskutieren. Dieses Symposion wird als Anstoss gesehen, das Datennetzwerk über die Steiermark hinaus auszubauen.
10. Einbeziehung der Kategorie Gender

Rationalität und Logik werden als männliche Domänen angesehen, während Begriffe wie „weibliche Logik“, „Spinnstubenphilosophie“ und „Altweiberglauben“ wiedergeben, dass die kleinen magischen Handlungen des Alltags angeblich einen weiblichen Zugang zur Lebensbewältigung darstellen. Doch sowohl die weltanschaulichen Lehren, die den Hintergrund zu den magischen Alltagsriten lieferten, als auch die überwiegende Anzahl der historischen Multiplikatoren in der Praxis waren Männer.
Sowohl die Gegenüberstellung mit den historischen volkskundlichen Erhebungen als auch die notwendigen Begleiterhebungen der künftigen Sammeltätigkeit widmen sich explizit der Frage nach dem Geschlecht der AnwenderInnen magischer Praktiken und sollen u.a. die These überprüfen, dass die Konnotation von Aberglauben – Weiblichkeit – Bildungsferne lediglich der Diffamierung regelwidrigen Verhaltens durch rationalistische und positivistische Kräfte in Kirche und Aufklärung dient.
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