Artist in Residence 2011

Ohne Titel, Fernanda Gomes

01.04. - 31.10.2011
Eine kreisförmige Fläche aus brauner Erde von 3,60m Druchmesser in einer Lichtung des Skulpturenparks. Eine kreisförmige Fläche aus brauner Erde von 3,60m Druchmesser in einer Lichtung des Skulpturenparks.

Bildinformationen

Laufzeit

01.04. - 31.10.2011

Ort

Österreichischer Skulpturenpark

Kuratiert von

Elisabeth Fiedler

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Über das
Projekt

Weggeworfenes, Übriggelassenes, Vergessenes, Unbeachtetes - das sind Materialien von Fernanda Gomes.

 

Die Wurzeln ihrer Arbeit liegen historisch in der Arte Povera, der Minimal Art und den Neokonkretisten. Auffallend dabei ist nicht allein die materielle Herleitbarkeit, sondern vor allem deren Untersuchungen zu Raum und Zeit, die Einbindung bzw. Berücksichtigung des eigenen Körpers und die Suche nach primären Strukturen unter Einbeziehung sensitiver Energien.

 

Die Abwendung sowohl vom Maschinellen als auch vom Expressiv-Gestischen, das Aufbrechen von Grenzen zwischen einer Kunst des Raumes und einer Kunst der Zeit, wie Lessing sie aufgestellt hatte, sind Eckpunkte aus den 1950er- bis zu den 1970er-Jahren, die auch für Fernanda Gomes von Bedeutung sind.

 

Suchten die Neokonkretisten aber noch nach einem poetischen Raum in Bewegung, ließen sie die Linien und Formen vibrieren, füllten sie ihre Leinwände, bestehende Räume oder Städte, so zieht Fernanda Gomes sich zurück, lässt sich auf die jeweilige Umgebung behutsam ein, leert diese und sich so gut wie möglich und lässt sich selbst zum Werk werden, in deren Inneres wir schließlich Einblick nehmen dürfen.

 

Ohne eine politische Künstlerin sein zu wollen, reagiert sie auf neoliberale kapitalistische Haltungen, wobei sie sich in höchster Konzentration und Reduktion in nahezu unsichtbarer Eleganz, Stille und Ästhetik äußert. Sie bleibt in ihrer Arbeit so ephemer zurückhaltend, dass sie nicht schnell zufriedengestellt werden Wollende bedient, sondern dazu einlädt, sich mit Prozessen, Besonderheiten und Fokussierungen auf spezielle atmosphärische Dichten einzulassen. Im Moment zu sein, Wahrnehmung zu erweitern, ist für sie ebenso entscheidend wie für die Betrachtenden.

 

So ist ihr nicht die Arbeit als Ware wichtig, als verkäufliches Endprodukt, sondern das Annehmen, Aufnehmen und Erleben derselben.

 

Ihre Arbeitsweise besteht daher darin, sich mit einer Vorstellung, aber ohne vorgefertigte Exponate auf Räume und Orte einzulassen. Die Materialität und die Wesenheit des Ortes erforschend, indem sie sich hineinbegibt, ihn auf sich wirken lässt, sich öffnet und in Kontakt mit ihm tritt, ist wesentlicher, Kraft in Anspruch nehmender Teil ihrer Arbeit.

 

Im Österreichischen Skulpturenpark fand sie eine landschaftsarchitektonisch konstruierte Umgebung vor, innerhalb derer sie zu einer Stelle fand, die einer unbemerkten Lichtung gleicht. An dieser Stelle, die bewusst wild wachsend belassen worden war, wo Rasenschnitt deponiert wird und in deren von hohen Bäumen geschütztem Umfeld Pflanzen in einem eigenen Biotop wachsen und aufeinander reagieren, nahm sie mit eigenen Händen einen etwa zwei Menschengrößen, ca. 3,60 m, durchmessenden Kreis aus der Wiese aus. Dieser wurde mithilfe der einzigen mitgebrachten Werkzeuge, eines Astes und eines Fadens, gezeichnet. Die nun zum Vorschein gekommene Erde siebte sie säuberlich und strich sie behutsam mit einer Bürste glatt.

 

Dieser Kreis zentriert nicht nur, er öffnet uns von Neuem die Augen, weckt unsere Wahrnehmung anders. Fernanda Gomes, die sich immer wieder mit den elementaren Kräften von Luft, Wasser und Erde beschäftigt bzw. sie miteinbezieht, ist es wichtig, dass sie nichts dazugegeben oder weggenommen hat. Es ist ein Punkt, der die Durchlässigkeit scheinbarer Grenzen thematisiert. Alles hinterlässt Spuren: Die Witterung hinterlässt sie ebenso wie Hasen oder andere Tiere von oben, von unten sind es Gräser oder andere Pflanzen, möglicherweise Maulwürfe oder Gerinnsel. Gleichzeitig fokussiert der Kreis, lässt uns auch die Umgebung anders wahrnehmen, wie beispielsweise ein Insekt, das innerhalb des Kreises fliegt, er stellt die Frage nach dem Verschwinden ebenso wie nach totaler Konzentration. Wesentlich ist das Immaterielle, wobei das Paradox darin besteht, dass das Immaterielle aus dem Materiellen kreiert werden muss, es materialisiert sich und wird autonom.

 

Dabei handelt es sich nicht um Land Art, sondern die Arbeit von Fernanda Gomes verfolgt eine Form der Durchlässigkeit, die Ewigkeit ebenso andeutet, wie sie gleichzeitig Verschwinden und unsichtbar Werden kommuniziert. Es geht ihr nicht um Informationsübermittlung, sondern um die Setzung eines Punktes in einem spezifischen Naturumfeld, dessen Weiterbestehen bzw. Entwicklung mit allen möglichen Veränderungen nicht von der Künstlerin vorgegeben ist, sondern dynamisch weiterlebt – die Beobachtung der Arbeit im Augenblick, aber auch in ihrer Genese sind dabei das Wesentliche.

 

So hat Fernanda Gomes mit einer einfachen Aktion händisch einen besonderen Raum geöffnet, ohne Transporte oder Maschineneinsatz zu verursachen. Dies ist eine ebenso wesentliche Komponente innerhalb ihrer Vorgangsweise wie ihr körperliches „In-der-Arbeit-Sein“. Dieser Raum verändert sich nun, er wird dunkel, wenn Regen auf ihn fällt, er wird von unten bewachsen, von Tieren begangen, Herabfallendes bleibt liegen, er hat ein eigenes Klima und beeinflusst außerdem die Wahrnehmung des ihn umgebenden Feldes. Dabei lässt Gomes äquivalent zur Wertschätzung scheinbar unbedeutender Dinge im Skulpturenpark einen „Unort“ zu einem Ort werden. „Kunst“, sagt sie, „hat die Möglichkeit, aus gewöhnlichen Dingen Außerordentliches zu machen.“ Und es sind immer wieder diese „Dinge“, die sie anziehen, denn alles und jedes „Ding“ erscheint ihr sehr reich und wertvoll.

 

Ausgehend von ihrem mentalen, emotionalen und physisch anregenden Impuls lädt sie die Betrachtenden ein, sich auf diese Besonderheit einzulassen, sie zu sehen und zu erkennen.

 

Damit schuf Fernanda Gomes einen zentralen Energiepunkt, der sukzessive die Spuren der Zeit freigibt, aber auch Erinnerungen zulässt und Geschichte speichert.

 

Ähnlich einer Archäologin öffnet sie Schichten und lässt dem Seienden in laborähnlicher Situation entgegen jedem lauten Spektakelgedanken seine Entwicklung. Sie selbst beobachtet die Natur aus dem Fokus der Kunst. Sehen und Atmen sind ihr dabei existenzielle Zustände, ihr Begreifen von Skulptur als durchgängigem Werk ist ein besonderes, das von Sonnenbestrahlung, dem Schattenwurf beeinflusst wird, zwischen Stillleben und realem Leben changiert, das Geräuschen, Gerüchen, Wind, Regen oder Schnee ausgesetzt ist. Ebenso wie sie die Skulptur in den Boden gezeichnet hat, versteht sie auch diese Zeichnung als Skulptur, enthebt sie damit jeder Eindeutigkeit und lässt sie in ihrer Ambivalenz schweben.

Zusatzinformationen

Der Österreichische Skulpturenpark lädt nationale und internationale Künstler*innen sowie Kunstklassen zur Auseinandersetzung mit dem Park und Entwicklung eigener temporärer Werke für den Skulpturenpark ein.